Hamburg. Einsamer Tod einer Hamburger Seniorin: Die Aufklärung des erschütternden Falls hat begonnen. Woran die Ermittlungen aktuell hängen.

Wie hat Rentnerin Vera A. die letzten Stunden ihres Lebens verbracht? Darüber kann niemand etwas sagen, denn die alte Dame starb einsam und allein in ihrem Haus in einer Neugrabener Wohnstraße – obwohl sie selbst und eine Pflegefachkraft offenbar bereits früh am Tag mehrere Notrufe abgesetzt hatten, sowohl bei der Feuerwehr als auch beim Kassenärztlichen Notruf 116 117.

Doch weder der Rettungsdienst der Feuerwehr noch der kassenärztliche Notdienst suchten die betagte Dame am 22. Mai über Stunden in ihrem häuslichen Umfeld auf – bis eine besorgte Nachbarin Vera A. gegen Mittag leblos in ihrem Wohnzimmer fand. Reanimationsversuche einer inzwischen herbeigeeilten Notärztin blieben erfolglos.

Hamburg-Fischbek: Gestorben trotz Notruf – war der Tod von Vera A. vermeidbar?

Als erstes hatte die Hamburger Feuerwehr am 30. Mai Stellung zu dem erschütternden Vorfall genommen und damit erstmals Transparenz geschaffen. Doch weiterhin bleiben viele Fragen unbeantwortet – die bei weitem wichtigste: Hätte der Tod von Vera A. verhindert werden können?

Auch aus diesem Grund hatte André Trepoll, Bürgerschaftsabgeordneter und einer der Wahlkreisabgeordneten für Süderelbe, am 29. Mai eine schriftliche kleine Anfrage (SKA) an den Hamburger Senat gerichtet. Sie trägt den Betreff: „Tragischer Tod einer Seniorin aus Neugraben-Fischbek: Wie konnte es zu diesem Versagen kommen?“

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Was sich genau am Morgen des 22. Mai abgespielt hat, erfährt man nicht

Am heutigen Freitag erging nun die Antwort des Senats. Darin wird den Angehörigen der verstorbenen Frau zunächst ein tief empfundenes Mitgefühl ausgesprochen – man bedaure den beschriebenen Verlauf der Geschehnisse außerordentlich. Aber: Was sich genau am Morgen des 22. Mai 2024 im Haus der verstorbenen Seniorin abgespielt hat, erfährt man aus der Senatsantwort nicht.

„Der Senat sieht im Hinblick auf die Gefahr der Beeinträchtigung von Ermittlungen von Auskünften über die bisherigen Ermittlungsergebnisse ab“, heißt es in dem Dokument.

Was macht die Feuerwehr, wenn ein Notruf unter 112 eingeht?

In ausführlichen Worten werden stattdessen die Aufgaben der Feuerwehr und des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes bei der Annahme und Einschätzung telefonisch eingehender Notrufe dargelegt:

  • Um zu identifizieren, ob ein Fall vorliegt, bei dem unmittelbare Lebensgefahr droht oder schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, verwendet die Rettungsleitstelle der Feuerwehr Hamburg eine standardisierte Notrufabfrage der Firma NoraTec (DIASSOP).
  • Ziel einer standardisierten Notrufabfrage ist es, lebensbedrohliche Situation schnellstmöglich zu erkennen und eine systematische Erfassung der relevanten Symptome sicherzustellen.
  • Durch die Standardisierung wird gewährleistet, dass Notrufende grundsätzlich und zu jeder Zeit die immergleiche Hilfe erhalten.
  • Die in der Rettungsleitstelle eingehenden medizinischen Notrufe, die nach dem Ergebnis der standardisierten Notrufabfrage ergeben, dass es sich nicht um Notfallpatientinnen und -patienten handelt, sollen an den Arztruf Hamburg der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) abgegeben werden.
  • Diese Abgabe an die 116 117 ist in geeigneter Weise zu dokumentieren.

Staatsanwaltschaft Hamburg hat bislang keine Ermittlungen eingeleitet

Den Stand der Ermittlungen erklärt der Senat in aller Kürze: „Die Polizei Hamburg hat am 22. Mai 2024 ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, das bei der Staatsanwaltschaft am 28. Mai 2024 erfasst wurde.“ Tatsächlich habe die Staatsanwaltschaft bislang kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, teilte Sprecherin Liddy Oechtering am Freitag auf Abendblatt-Anfrage mit.

Dies könne erst erfolgen, wenn die Obduktion des Leichnams Hinweise auf Fremdverschulden ergebe. „Nach erfolgter Sektion und Begutachtung durch das Institut für Rechtsmedizin Hamburg wird die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu prüfen sein“, heißt es. „Bislang liegen die Ergebnisse der Sektion hier aber noch nicht vor.“

Deshalb sei bei der der Staatsanwaltschaft bislang lediglich ein Todesermittlungsverfahren anhängig.

Kassenärztlicher Notdienst verweist auf die laufenden Ermittlungen

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Trägerin des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117, hält sich weiterhin bedeckt. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir im Hinblick auf die Möglichkeit der Beeinträchtigung von Ermittlungen keine Angaben zu dem entsprechenden Sachverhalt machen“, teilte Sprecher Jochen Kriens schriftlich auf Abendblatt-Anfrage Anfang dieser Woche mit.

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Für André Trepoll ist die Aufarbeitung des Falls mit der Antwort des Senats nicht erledigt. „Der entsetzliche einsame Tod der Seniorin aus Neugraben-Fischbek beschäftigt viele Harburgerinnen und Harburger noch immer“, sagt der CDU-Abgeordnete. „Umso wichtiger ist es, dass das eingeleitete Ermittlungsverfahren zügig vorangetrieben wird – nicht nur, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sondern vor allem, um zu klären, wie es zu diesem dramatischen Fall kommen konnte. Es ist absolut inakzeptabel, dass stundenlang keine ärztliche Hilfe kommt, wenn man sie so dringend benötigt.“

Der Hamburger Senat müsse dafür sorgen, dass die ärztliche Versorgung in Notfällen sowohl über die Feuerwehr als auch über den Arztruf in kurzer Zeit gewährleistet ist – egal, wo man sich in Hamburg aufhält, so Trepoll.