Harburg. Tempo 30, mehr Radwege? Der „zweite Ring“ um die Innenstadt wird neu eingestuft. Ganze Straßenzüge könnten verkehrsberuhigt werden.

Die Bezirksversammlung war sich einig und forderte die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) im Februar auf, zu prüfen, ob der „Zweite Harburger Ring“, das ist der Straßenzug Am Frankenberg – Langenbeker Weg – Marmstorfer Weg – Ernst-Bergeest-Weg – Friedhofstraße – Weusthoffstraße – Lohmannsweg – Milchgrund, aus dem Hauptstraßennetz entlassen werden kann. Jetzt kam die überraschende Antwort: Die BVM prüfte nicht nur, sondern entschied gleich: Sie hat den gesamten Straßenzug zwischen Winsener Straße und Cuxhavener Straße aus dem Hauptverkehrsstraßennetz zu Bezirksstraßen heruntergestuft.

An fast jeder der Straßen, die diesen Straßenzug bilden, gibt es ein anderes Problem

Das klingt sehr technokratisch, ist aber eine kleine Sensation und freut vor allem die Grünen, aus deren Feder der Antrag ursprünglich stammte. Aber auch die anderen Fraktionen hatten nicht ohne Grund zugestimmt und sind nun ebenfalls über den Erfolg erfreut, denn an fast jeder der acht Straßen, die diesen Straßenzug bilden, gab es ein anderes Problem. Am Frankenberg ist die Straße zu eng für eine Hauptstraße, am Langenbeker Weg, Marmstorfer Weg und an der Friedhofsstraße fehlen Rad- und Fußwege auf jeweils mindestens einer Seite, andere Straßen des Zuges laden durch ihre Dimensionierung zum Rasen ein.

An der Friedhofstraße
An der Friedhofstraße © HA | Ha

Jedes dieser Probleme war für sich in der Vergangenheit schon einmal Thema in der Bezirksversammlung, immer ohne Ergebnis, denn der Bezirk war nicht zuständig. das war der Hamburger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) und vor dessen Gründung die Hamburger Baubehörde. Wann immer sich das Interesse am reibungslos fließenden Durchgangsverkehr – der Straßenzug wird ja tatsächlich intensiv genutzt und die Anliegen der Anlieger widersprachen, wurde in Hamburg im Sinne des Verkehrs entschieden. Ale acht Straßen zählten unmissverständlich als Hauptstraßen.

Der „zweite Ring“ ist nicht mehr automatisch Hauptstraße, aber auch nicht automatisch keine Hauptstraße

Die Entscheidung der BVM bedeutet, dass der Bezirk nun die Kompetenz besitzt, über Umbau- und Erneuerungsmaßnahmen selbst zu entscheiden. Damit werden auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bezirksversammlung bei der Planung gestärkt und es gibt zum Beispiel mehr Möglichkeiten, Teile des Straßenzugs in Überlegungen zur Verkehrsberuhigung einzubeziehen.

Allerdings ist der „zweite Ring“ damit nicht automatisch nirgendwo mehr Hauptstraße. Darüber, welche Bezirksstraße als Hauptstraße behandelt wird, entscheidet die Bezirksversammlung nicht allein. Die Polizei redet mit und hat das letzte Wort. Nur ist der Hauptstraßen-Status nun nicht mehr so festgeschrieben.

Forderung: Mehr Tempo-30-Strecken und sichere Fußgängerquerungen

Der Grünen-Bezirksabgeordnete Michael Sander, Vorsitzender des Ausschusses für Mobilität und Inneres, zeigt sich zufrieden: „Der Bezirk gewinnt durch diese Maßnahme Handlungsspielräume innerhalb der Grenzen der Straßenverkehrsordnung und kann selbst die nötigen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen vorantreiben“, sagt er. „Oberste Priorität haben dabei der Tempo-30-gerechte Umbau Am Frankenberg und eine sichere Querung der Straße Milchgrund für die Schülerinnen und Schüler der Schule Grumbrechtstraße und andere Anwohnende.“

Der Verkehrsknoten Bremer Straße/Friedhofstraße/Ernst-Bergeest-Weg
Der Verkehrsknoten Bremer Straße/Friedhofstraße/Ernst-Bergeest-Weg © HA | Lars Hansen

Sichere Querungen schweben auch Frank Wiesner, Verkehrsexperte der Bezirks-SPD vor: „Wir haben am Langenbeker Weg die Bushaltestelle Osterfeldweg stadteinwärts ohne Fußgängerweg. Direkt daneben führt eine Stadtpark-Zuwegung direkt auf die Fahrbahn. Das ist nicht ideal und kann jetzt angegangen werden“, sagt er.

„Und etwas weiter im alten Marmstorfer Ortskern müssen die Schüler von Gymnasium und Grundschule, sowie alle Bewohner des alten Marmstorf den Marmstorfer Weg ohne Schutz im Kurvenbereich überqueren, wenn sie ohne langen Umweg zur Bushaltestelle wollen. Auch hier können wir jetzt eine Lösung planen.“

Grundidee der Ringstraße stammt aus den 1960er-Jahren

Ein direkter Anlieger dieser Problemstelle ist der Marmstorfer CDU-Abgeordnete Rainer Bliefernicht: „Es ist gut, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, eigene Entscheidungen zu treffen“, sagt er. „Allerdings ergibt das auch neue Probleme: Der Bezirk braucht dann auch Personal und Geld, um Umbauten zu planen und zu bezahlen!“

Am Ernst-Bergeest-Weg kommt es öfter zu Unfällen.
Am Ernst-Bergeest-Weg kommt es öfter zu Unfällen. © HA | Jan-Eric Lindner

Das ist laut Michael Sander allerdings gewährleistet: „Das Bezirksamt erhält eine zusätzliche halbe Stelle für die Straßenunterhaltung und die BVM hat finanzielle Unterstützung bei Umbauprojekten signalisiert“, sagt er.

Analog zum „Ring 2“ in Hamburg sollte es eine Kombination aus Straßen in Harburg geben

Der „zweite“ oder auch „mittlere Ring“ für den Bezirk Harburg ist eine verkehrspolitische Idee aus den 1960er-Jahren. Analog zum „Ring 2“ in Hamburg sollte es eine Kombination aus bestehenden Straßen geben, die die sternförmig ums Zentrum angeordneten Stadtteile Harburgs so miteinander verbinden, dass man nicht erst in die Innenstadt hinein und dann wieder herausfahren muss, um beispielsweise von Marmstorf nach Heimfeld zu gelangen.

Das war vor allem deshalb wichtig, weil man bereits das Aufgraben der gesamten Innenstadt für die S-Bahn und den inneren Harburger Ring plante. Von Bostelbek bis Rönneburg sollte der zweite Ring gehen, sogar je ein Stück von Friedhof und Stadtpark abschneiden, das Riegesche Gehölz in Langenbek durchtrennen und über die damals noch gar nicht existente Gordonstraße zur Vogteistraße führen. Die schmale Straße Am Frankenberg war eigentlich nicht für die Strecke vorgesehen.

Die Umsetzung der Pläne von einst scheiterte damals an den Grundstücken. Nicht alle Besitzer verkauften. Weil die Idee eigentlich tot ist, aber immer noch durch Harburg geistert, wurde sie auch schon als „verkehrspolitischer Zombie“ bezeichnet.