Harburg. Beschäftigte der Stadt verdienen klar weniger als ihre Umland-Kollegen. Viele kündigen. In Harburg ist das Problem besonders groß.

„Wir geben ständig 100 Prozent, die Stadt nicht einmal 10,5!“, stand auf einem der Transparente, die am Donnerstag Menschen durch Harburg trugen, die sonst eher nicht auf Konfrontation mit der Stadt aus sind. Schließlich ist die Stadt ihr Arbeitgeber.

Harburg war diesmal Ort der zentralen Warnstreikkundgebung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Schwerpunkt lag auf den Jugendämtern. In allen sieben Bezirken legten Fallmanager, Familienbetreuer, Sozialarbeiter und Verwaltungskräfte die Arbeit nieder. 1200 waren zur Auftaktkundgebung im Kulturpalast, zum Demonstrationszug durch Harburg und Abschluss auf dem Harburger Rathausplatz gekommen.

Woanders wird besser bezahlt. Und woanders ist in Harburg nicht weit weg

Ein Bummeltag war das für die Streikenden nicht. Im Gegenteil: Die Arbeit läuft nicht weg und wird irgendwie aufgeholt, allein schon im Interesse der Kinder und Jugendlichen, um die es geht. „Wir sind nicht diejenigen, die nicht zur Arbeit gehen wollen, sondern wir sind diejenigen, die noch bleiben, um die Arbeit zu erledigen“, sagte Tanja Seemann, Fallmanagerin im Allgemeinen Sozialen Dienst des Harburger Bezirksamts auf der Bühne des Lautsprecherwagens. Damit sprach sie ein wichtiges Problem an: Den Hamburger Jugendämtern laufen die Mitarbeiter weg. Woanders wird besser bezahlt. Und woanders ist in Harburg nicht weit weg.

Tanja Seemann und Volkhard Cruse gingen mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf die Straße..
Tanja Seemann und Volkhard Cruse gingen mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf die Straße.. © HA | Lars Hansen

Allein im vergangenen Jahr seien im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Bezirks Harburg neun Mitarbeiter gegangen, schätzt Seemanns Kollege, Volkhard Cruse, Sozialarbeiter im ASD Süderelbe. „Die Fälle werden dann auf die verbliebenen Mitarbeitenden verteilt“, sagt Cruse. „Wir übernehmen Familien, die wir nicht kennen, und müssen sie erst einmal nach Aktenlage betreuen.“

Viel mehr, als Aktenlage bleibt oft auch nicht: „Im Idealfall kann ein Mitarbeiter zwischen 35 und 40 Fälle betreuen“, sagt Cruse. „Zeitweise steigt die Fallzahl pro Mitarbeiter auf über 70, dann wird wieder umgeschichtet, danach wächst die Fallzahl wieder. Die eigentlich halbjährlich stattfindenden Hilfeplangespräche finden oft nur noch jährlich statt.“

Stadtstaaten wie Hamburg wählen den günstigeren Tarifvertrag

Die unbesetzten Stellen sind nicht allein dem demografischen Wandel geschuldet. Der Grund liegt auch an der Ungleichbezahlung zwischen Stadt und Land. Ausgerechnet in den Stadtstaaten, für die es früher sogar eine Ortszulage gab, wird weniger gezahlt, als auf dem Land, wo das Leben günstiger ist. Das klingt für Außenstehende absurd, ist aber der Tariflogik geschuldet: Fast überall in Deutschland sind städtische Angestellte Mitarbeiter der Kommunen. Für sie gilt der – bessere – Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) und nicht der Tarifvertrag der Länder (TVL). Die Stadtstaaten sind Land und Kommune gleichzeitig und nutzen das aus: Ihre Arbeitnehmer sind dann beim Land angestellt, weil das billiger ist.

Derzeit sind es für einen Sozialpädagogen mit zehn Jahren Berufserfahrung 500 Euro Unterschied pro Monat, rechnet Volkhard Cruse vor; ab März 800, denn der TVÖD sieht einen Erhöhungsschritt vor. In den bislang zwei Verhandlungsrunden zum zum TVL hingegen gibt es noch nicht einmal ein Angebot der Länder. „Dazu kommt auch noch, dass de Aufstieg in den Gehaltsstufen im TVÖD schneller geht, als im, TVL“, sagt Cruse

Der Saal des Kulturpalasts war bis zum letzten Platz gefüllt.
Der Saal des Kulturpalasts war bis zum letzten Platz gefüllt. © HA | Lars Hansen

Und es ist nicht allein die Bezahlung, die ins Umland lockt. „Wir sind nie angetreten, um reich zu werden“, sagt Tanja Seemann, „sonst hätten wir etwas anderes studiert, aber wir müssen in Hamburg jeden Tag unter hohem Arbeitsdruck Entscheidungen treffen, die den Lebensweg eines Kindes und das Wohlergehen einer Familie für immer beeinflussen können; und das in einem Mängelsystem, das Kinder gefährdet, weil es zu wenig Plätze gibt, an denen man sie unterbringen könnte. . Es kommt vor, dass Kolleginnen und Kollegen vor Verzweiflung weinen und dieses Weinen steckt an. Wir können dann nicht aufmuntern. Wir können nur mitweinen.“

Streik in Harburg: Ver.di fordert eine Gehaltserhöhung von 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro

Das Bezirksamt Harburg ist da kein Einzelfall. Das zeigte auch die Menge der Streikenden, die an diesem Tag aus anderen Bezirken nach Harburg gekommen waren. Dazu kamen auch noch Mitarbeiter des Landesbetriebs Erziehung und Beratung, der unter anderem die Kinderschutzhäuser in Hamburg betreibt und Wohngruppen stellt, sowie Mitarbeiter der Sonderschulen. Sie alle klagen über hohen Arbeitsdruck, unbesetzte Stellen und Schwierigkeiten, ihre Arbeit an Menschen unter diesen Umständen menschengerecht auszuführen.

„Schon meine kleine Tochter fragt mich, wann ich die Arbeit wechsle“, sagt Tanja Seemann, „aber was sollen die Kinder und Familien, die ich betreue, dann machen? Die meisten Kolleginnen und Kollegen im Bezirksamt Harburg fühlen ähnlich. Andererseits wohnen viele von ihnen bereits im Landkreis. Da ist ein gutes Angebot dann schnell verlockend“

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fordert eine Gehaltserhöhung von 10,5 Prozent im öffentlichen Dienst der Länder, mindestens jedoch 500 Euro. Dazu soll noch eine Stadtstaaten-Zulage kommen, die die Mehrkosten für Arbeitnehmer in Berlin, Bremen und Hamburg ausgleicht. Solche Ortszulagen waren einst gängig. Die Arbeitgeberseite hat darauf bislang nicht reagiert. Verhandlungsführer der Länder ist der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Ver.di hat weitere Streiktage angekündigt.