Wilhelmsburg. Seit 20 Jahren arbeitet ein Wilhelmsburger Verein daran, Bewegungsdefizite beim Nachwuchs zu kompensieren – mit Erfolg und Expansionswunsch.
„Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ sagten schon die alten Römer und trainierten. Auch im fernen Osten nutzt man Körperübungen, um den Geist zu stärken und bei uns war es Turnvater Jahn, der den Römer-Gedanken wieder aufnahm. Besonders wichtig ist Bewegung für die geistige Entwicklung von Kindern, und hier tun sich schnell Klassenunterschiede auf: Wo der Platz zum Toben und Tollen fehlt, leidet oft die seelische und intellektuelle Entwicklung. Vor 20 Jahren beschlossen Pädagogen aus Wilhelmsburg, gegenzusteuern.
Gestartet mit Gerüstbohlen und Kolakisten
Was mit Gerüstbohlen und Kolakisten als Sportgeräten begann, ist mittlerweile ein Ganztags-Psychomotorik-Angebot geworden. Der „Verein zur Förderung der Integration in Wilhelmsburg“ feiert nicht nur sein 20-jähriges Bestehen, sondern plant auch die Zukunft, und die kostet. Uli Gomolzig, ehemaliger Leiter des Haus der Jugend (HdJ) Wilhelmsburg und seine Mitstreiter suchen ständig Sponsoren, derzeit aber besonders.
Die Sporthalle des HdJ heute: Kästen, Kletterwände, Hängematten, Schaukelsäcke und Schwungtaue sowie Weichbodenmatten verwandeln den quaderförmigen Raum in einen verwirrenden Parcours. Tarek Bebilli und Filiz Sen haben den Überblick, immerhin haben sie sich diese Anordnung ausgedacht. Jede Woche sonntags wird in der Halle anders angeordnet neu aufgebaut. Ein Dutzend Kinder bewegt sich frei durch den Raum. Bei einigen helfen die Eltern noch beim Klettern und Schaukeln, andere wollen lieber allein spielen. In der Nähe sind die Eltern aber trotzdem. Tarek Bebilli und Filiz Sen schlagen Übungen vor, passen auf und erklären Eltern und Kindern die Geräte.
Vereinsbeiträge können viele Eltern hier nicht zahlen
Die vierjährige Majla steht in dem Schaukeltuch und schwingt sanft hin und her, dreht ein paar Hängetuchpirouetten und gluckst glücklich. Mutter Nermina hat gerade nichts zu melden. Eben, am Schwungtau, musste sie noch etwas helfen. „Ich bin so froh über dieses Angebot“, sagt sie. „Passende Kindersportangebote gibt es hier in Wilhelmsburg sonst nicht!“
Natürlich gibt es auch in Wilhelmsburg Sportvereine mit Kindergymnastik und -turnen, aber die wollen auch Beiträge und Bindung. Das können sich nicht alle Eltern mit geringem Einkommen leisten, zumal sich Kinder schnell umentscheiden und dann immer noch der Beitrag für das ganze Jahr fällig bleibt. Das offene Nachmittagsangebot dieses Vereins hingegen ist kostenlos.
Hier klappt der multikulturelle Austausch ganz nebenbei
650 Kinder toben jede Woche durch die Bewegungslandschaft. Vormittags kommen regelmäßig Kindertagesstätten mit ganzen Gruppen an, nachmittags Eltern mit ihren Kindern. Sie kommen hier auch miteinander ins Gespräch. „Der interkulturelle Austausch findet hier ganz nebenbei statt,“ sagt Uli Gomolzig.
Interkultureller Austausch ist in Wilhelmsburg wichtig, nicht nur zwischen den deutschen Wilhelmsburgern und „den Ausländern“. Auf der Elbinsel finden sich Einwanderer aus so ziemlich jedem Land, aus dem man auswandern kann. Multikulti ist auch für die Nichtdeutschen untereinander eine notwendige Herausforderung. Hier klappt es. Die somalische Mutter mit Kaftan und Kopftuch schnackt locker mit der Serbin in Leggins und T-Shirt und der kolumbianische Vater mit dem türkischen Trainer.
Ehrenamtliche sind heute schwerer zu finden
„Von besonderer Bedeutung ist es, dass die Eltern in die psychomotorischen Angebote aktiv eingebunden werden“, sagt Uli Gomolzig. „Die Eltern erfahren den Sinn der Angebote und sehen die Lernfortschritte und Erfolgserlebnisse ihrer Kinder. Manche Väter und Mütter erlernen in der Gemeinschaft das gemeinsame Spielen mit ihren Kindern neu.“
Über den Verein werden stetig Ehrenamtliche in die Sportangebote eingebunden. „Ohne sie könnten etliche Angebote nicht durchgeführt werden“, sagt Gomolzig. „Wir beobachten leider zunehmend, dass es immer schwieriger wird helfende Hände zu gewinnen.“
Erweiterung des Projekts nach Harburg geplant
„Als positiv hat es sich erwiesen, dass innerhalb der Angebote auch Geflüchtete als Honorarmitarbeitende erfolgreich eingesetzt werden. Sie wirken oft in einer Vorbildfunktion auf andere Geflüchtete. Sie verstehen die sprachlichen Barrieren vieler junger Menschen, ihr Leben und ihr Leiden besonders gut.“
- „Wer sich nicht bewegt, bleibt sitzen!“
- Sonntags nie! Flohmarkt verboten - Erstmal kein FlohZinn mehr
- Große Leseschwäche bei Grundschulkindern – wie Tanzen hilft
Der Verein hat viel erreicht, möchte sich darauf aber nicht ausruhen – kann es auch gar nicht. Verschlissenes Gerät muss erneuert werden, oder zumindest gepflegt. In diesem Jahr hat es die Hüpfburg, die an warmen Tagen draußen aufgeblasen wird, erwischt: Abnutzung und Ermüdung. Außerdem plant der Verein die Erweiterung. Zusammen mit dem Harburger Integrationsrat soll ein ähnliches Angebot auch in Harburg geschaffen werden. Eine Halle in Sinstorf hat man schon halb in Aussicht. Sie muss nur erst noch gebaut werden.
Uli Gomolzig und seine Freunde sind daher ständig auf der Suche nach Spendern und Sponsoren. Damit der Klassenunterschied nicht schon im Kleinkindalter beginnt. „Ohne die langjährige großartige Förderung durch zahlreiche Sponsoren würde es das Erfolgsprojekt in dieser Form nicht geben. Herzlichen Dank dafür“, sagt Uli Gomolzig.