Hamburg. Es ist soweit: Die einzigartige „Königsberger Straße“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg wird am Freitag mit einem Festakt eingeweiht.
Zehn Jahre Planung und Forschung sowie fünf Jahre Bauzeit hat es gekostet: das Projekt „Königsberger Straße – Heimat in der jungen Bundesrepublik“ am Kiekeberg, mit dem das Freilichtmuseum bundesweit einmaliges geschaffen hat: eine ganze Straße mit fünf Gebäudetypen, die die jüngere Geschichte, das Dorfleben in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, vermitteln.
Am kommenden Freitag, den 23. Juni, wird das Flüchtlingssiedlungshaus und die gesamte Baugruppe „Königsberger Straße“ feierlich im Rahmen eines Straßenfestes für die Fördervereinsmitglieder eröffnet. Ab Sonnabend, 24. Juni, ist die fertige Straße komplett Teil des Freilichtmuseums.
Projekt „Königsberger Straße“ macht Nachkriegszeit spür- und erlebbar
Ein Nachttisch mit Glasplatte und Häkeldeckchen, Retro-Tapeten sowie bestickte Kissen und wollige Tischdecken. Dazu Gummibäumchen in den Ecken, die Herta Matz züchtete. Zusammen mit ihrem aus Königsberg stammenden Ehemann Bruno und ihren Eltern zog die Geflüchtete 1955 in Tostedt in das Flüchtlingssiedlungshaus. Sie bauten Kartoffeln, Bohnen und Rhabarber an und hielten Schweine, Hühner sowie Kaninchen. Es ist die Nachkriegszeit von 1945 bis 1979, die nun spür- und erlebbar werden für die Besucher des Freilichtmuseums.
Vier Tage dauerte es, bis das 170 Tonnen schwere Haus vor zwei Jahren die 32 Kilometer unbeschadet in Rosengarten angeliefert wurde. Das Haus vervollständigt das Bauprojekt „Königsberger Straße“ und steht dort für das Ankommen von Geflüchteten nach dem Zweiten Weltkrieg und das Finden einer neuen Heimat.
„Gelebte Geschichte“ am 24. und 25. Juni im Freilichtmuseum am Kiekeberg
Zum Eröffnungswochenende erleben Interessierte am 24. und 25. Juni Führungen, Vorführungen, Mitmachaktionen und Darstellungen der „Gelebten Geschichte“ rund um das Landleben in den 1950er- bis 1970er-Jahren. Das Freilichtmuseum am Kiekeberg ist ganzjährig dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 11 Euro für Erwachsene, für Personen unter 18 Jahren und für Mitglieder des Fördervereins des Freilichtmuseums am Kiekeberg ist er frei.
An beiden Wochenendtagen, 24. und 25. Juni, erhalten Besuchende detaillierte Einblicke in das Flüchtlingssiedlungshaus und den Straßenzug. Zofia Durda, die inhaltliche Projektleiterin der „Königsberger Straße“, zeigt bei Führungen, wie die Eigentümerfamilie Malz/Stelzer mit drei Generationen in den frühen 1960er-Jahren in ihrem Haus lebte – vom Wohnzimmer mit selbst bestickten Kissen bis hin zum angebauten Kinderzimmer mit Puppenwagen.
Museumsgärtner Matthias Schuh geht an beiden Tagen mit Interessierten in den Selbstversorgungsgarten und in den Freizeitgarten vom Quelle-Fertighaus. An der 1950er Jahre-Tankstelle können Kinder Hüpfspiele spielen und mit Straßenkreide malen.
„Wir stellen dar, wie Einheimische, aber auch Zugezogene die Aufbauzeit erlebten“
Das restaurierte Haus der Geflüchteten im Landkreis Harburg zeigt beispielhaft, wie sich die Integration der Geflüchteten vollzog. „Der Landkreis Harburg nahm überproportional viele Menschen auf. Wohnten hier 1939 noch 62.602 Menschen, waren es zehn Jahre später bereits 124.397. Wir stellen dar, wie Einheimische, aber auch Zugezogene die Aufbauzeit erlebten“, erläutert Museumsdirektor Stefan Zimmermann.
Mehr als zwölf Millionen Vertriebene kamen nach Deutschland. „Heute bewertet man das als Erfolgsgeschichte, Vertriebene als Motor des Aufschwungs. Sie kamen mit wenig an und waren oft erfolgreich“, sagt Zimmermann. Es sei aber auch ein Prozess gewesen, der nicht reibungslos verlief.
Zugezogene trafen auf eine Bevölkerung, die nach dem Krieg zum Teil auch traumatisiert war. Viele Vertriebene aus dem Osten hatten oft jahrelang die Hoffnung auf Rückkehr, die durch den Kalten Krieg immer unwahrscheinlicher wurde. „Das eigene Haus war da ein großer Schritt, die neue Heimat anzugehen. Emotional hat die Verlusterfahrung die ältere Generation ein Leben lang geprägt.“
So sah der Alltag in den 70er-Jahren aus
Am Sonntag, dem 25. Juni, zeigt Matthias Gröll, ehemaliger Bewohner des Hauses aus Winsen, Interessierten sein einstiges Elternhaus. Mit originaler Einrichtung veranschaulicht es im Museum Menschen das Alltagsleben der 1970er Jahre.
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Ebenfalls am Sonntag verkörpern ehrenamtlich Darstellende erstmals die Zeit „1949-1969 – Dorfleben in der jungen Bundesrepublik“ im Museum: Besuchende sehen im Rahmen der „Gelebten Geschichte“, wie ein Tankwart an der Tankstelle seine Kundschaft im VW Käfer bedient. Ein Polizist macht seine Runde und inspiziert die Fahrzeuge im Dorf. Eine Familie macht einen Sonntagsausflug. Eine Hausfrau hängt Wäsche auf und arbeitet im Garten. Und zwischendurch liefert ihr ein Briefträger Post, Pakete oder Geldanweisungen aus.
Ehemalige Eigentümer halfen bei der Auswahl der Einrichtung
Sabine Stelzer, die ehemalige Eigentümerin des Hauses, und ihr Mann Manfred sind erleichtert über den Umzug ihres Elternhauses in die „Königsberger Straße“: „Nun steht es da. Es ist gut, dass das Haus erhalten bleibt.“ In enger Zusammenarbeit mit dem Museumsteam half sie auch bei der Auswahl der Einrichtungsgegenstände, die aus dem eigenen Besitz nicht mehr vorhanden waren. Doch noch ist nicht alles beisammen: Auf der Internetseite des Museums www.kiekeberg-museum.de gibt es unter der Rubrik „Königsberger Straße“ eine Bedarfsliste.
„Es geht fast jedem so, dass man sich an viele persönliche Dinge zurückerinnert, wenn man durch dieses Haus geht“, sagte Landrat Rainer Rempe. „Am Kiekeberg wird Geschichte eindrucksvoll erlebbar gemacht und schlägt eine Brücke in die Gegenwart und Zukunft. Die Gesamtkosten der „Königsberger Straße“ belaufen sich auf 6,14 Millionen Euro.