Ehestorf. Neues Geschäftshaus: Im Freilichtmuseum am Kiekeberg kann die Einkaufswelt der 1950er bis 1970er Jahre erlebt werden. Sonntag ist Eröffnung.
Die Einkaufswelt der 1950 bis 1970er Jahre kann ab kommenden Sonntag im Freilichtmuseum am Kiekeberg erlebt werden. Dann wird das neue Geschäftshaus mit sechs Läden in der „Königsberger Straße“ mit einem vielfältigen Programm eingeweiht.
Martina Redemund muss ein bisschen schlucken, als sie die Drogerie im neuen Geschäftshaus des Freilichtmuseums am Kiekeberg betritt. „Hier bin ich quasi aufgewachsen“, sagt sie. Die „Adler Apotheke“ aus Trittau ist einer von sechs Läden im neuen Geschäftshaus des Museumsprojekt „Königsberger Straße“im Freilichtmuseum am Kiekeberg, mit dem erstmals die Nachkriegsgeschichte beleuchtet werden soll. Das Museum hat die Einrichtung der Drogerie von der Familie Redemund übernommen – zusammen mit der berührenden Familiengeschichte. Denn die Mutter von Martina Redemund führte die Drogerie zusammen mit ihrem Vater mit viel Herzblut – bis zum Tod von Anna Redemund vor zwei Jahren.
„Meine Mutter ist mit 89 Jahren im Geschäft umgefallen“
„Meine Mutter ist mit 89 Jahren im Geschäft umgefallen“, sagt die Tochter, die bei ihren Eltern ebenfalls zur Drogistin ausgebildet wurde. Zusammen mit ihrem Bruder hatte sie zunächst versucht, die Drogerie weiter zu betreiben. „Doch diese Zeit war vorbei“, so Martina Redemund. „Heute machen sich die großen Ketten das Geschäft gegenseitig streitig.“ So ging ein Teil der Drogerie mit der Einrichtung aus den 1960er Jahren an das Kiekeberg-Museum. Dort ist nun zu erleben, wie sich eine der letzten Einzelhandelsdrogerien bundesweit von den bekannten Drogeriemärkten unterschied: Es gab Arzneimittel für Tier und Mensch, Chemikalien und Heilkräuter, Kosmetik, Farben und – ja auch dies – Tapeten.
„Ich erkenne alles wieder“
Auch Bernd Kofler, der ehemalige Betreiber der Firma „Foto Kofler“ als Nachfolger von „Foto Böhmer“ in Winsen, schaut gerührt auf die Auslage in dem historischen Foto-Laden der „Königsberger Straße“, denn er stand viele Jahre selbst dahinter, wenn er nicht gerade unterwegs war, um das soziale Leben in Winsen und Umgebung abzulichten.
Er hatte das Foto-Geschäft von Johann Böhmer 1975 übernommen und betrieb es bis 1990. „Ich erkenne alles wieder“, sagt er.
Neben Drogerie und Foto-Geschäft beherbergt das neue Geschäftshaus, das nach Plänen von 1961 für eine noch existierende Geschäftszeile am Appenstedter Weg in Meckelfeld rekonstruiert wurde, die Originaleinrichtung der Zahnarztpraxis Dr. Chrobok aus Stade aus den 1950er Jahren. Zu sehen ist eine Behandlungseinheit, die damals sehr modern war, die aber dem heutigen Betrachter ein Stoßgebet zum Dank für die Fortschritte der Medizin gen Himmel schicken lässt: Die Behandlungssäule mit Stuhl, „Kopfklemme“ und Lachgasbehälter wirken wenig einladend.
Zu sehen sind Fernsehgeräte, Radios, Musiktruhen, Lampen
Ein paar Meter weiter zeigt die im Museum wiederaufgebaute Schlachterei Rötting aus Bremervörde, wie wichtig der Fleischkonsum damals für die Konsumenten war und wie die gekaufte Wurst die traditionelle Hausschlachtung ersetzte. Im Textilgeschäft Gründahl aus Jork sind der Verkaufs- und Arbeitsraum zu sehen. Dort wurden über 100 Jahre lang Bett- und Leinenwaren für die Aussteuer verkauft, später vor allem Handarbeits- und Gardinenbedarf. Einzig das Elektrogeschäft mit Werkstatt ist eine Nachbildung eines üblichen Fachgeschäfts der 1960er Jahre.
„Wir wollten diesen wichtigen Aspekt unbedingt zeigen“, sagt Museumsdirektor Stefan Zimmermann. Zu sehen sind Fernsehgeräte, Radios, Musiktruhen, Lampen, sowie Haushaltsgeräte, die in den Haushalten zunehmend selbstverständlich wurden.
Jedes Geschäft stellt beispielhaft Innovationen für die Bewohner kleinerer Orte dar: Lange Wege zu Ärzten fielen weg, Gemeinschaftskühlhäuser und ein eigener Viehbestand wurden zunehmend unwichtiger. „Nach Zeiten der Not zeichnen sich im Wiederaufbau Mitte der 1950er Jahre ein Strukturwandel und steigender Wohlstand der Bürger ab“, so Zimmermann. „Es gibt das Bedürfnis, die Mangeljahre nachzuholen.“ Auch auf dem Lande halten die moderne Warenwelt und der Konsum Einzug, weg von der traditionellen Selbstversorgung hin zur Nahversorgung.
„Königsberger Straße“ besteht aus fünf Gebäuden mit entsprechender Einrichtung
In dem Großprojekt „Königsberger Straße“ errichtet das Freilichtmuseum bis zum kommenden Jahr eine Baugruppe mit Gebäudetypen, die typisch für das Leben in der Nachkriegszeit sind. „Mit der Fertigstellung des Geschäftshauses befinden wir uns auf der Zielgeraden“, sagt Museumsdirektor Zimmermann. Die „Königsberger Straße“ besteht aus fünf Gebäuden mit entsprechender Einrichtung: eine Tankstelle, ein Flüchtlingssiedlungshaus, ein Siedlungsdoppelhaus, ein Quelle-Fertighaus und die neue Ladenzeile mit sechs Geschäften. Das Gesamtprojekt ist auf 6,14 Millionen Euro angelegt.
Das Geschäftshaus mit den sechs Läden wird am Sonntag, 13. November, eröffnet. Am Eröffnungssonntag können Interessierte von 10 bis 18 Uhr in die Einkaufswelt der 1950er bis 1970er Jahre eintauchen. Auf die Besucher warten Führungen, Vorführungen und Mitmachaktionen. Das Kuratoren-Team gibt Einblicke. Um 13 Uhr führt Museumsdirektor Stefan Zimmermann durch die „Königsberger Straße“, ab 14 Uhr führt mit Matthias Gröll, ein ehemaliger Bewohner durch das Quelle-Fertighaus, um 15 Uhr beginnt eine Zeitzeugenführung an der 1950er-Jahre-Tankstelle mit Klaus und Horst Mehrtens.