Harburg. Die meisten Gastronomen wollen die Wüstenspiele zeigen, jedoch mit Einschränkungen. Die Argumente der Wirte.
Am Sonntag um 17 Uhr Mitteleuropäischer Zeit, wenn es draußen dunkel, kalt und ungemütlich ist, wird im sonnigen Katar das Eröffnungsspiel Katar gegen Ecuador und damit die Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 angepfiffen. Das Turnier und sein Austragungsort sind umstritten.
Viele Fans geben an, sich keine Spiele ansehen zu wollen. Einige Gaststätten, die sonst Fußballspiele übertragen, schließen sich dem Boykott an, andere nicht. Wie sieht das in Harburg aus? Hier wollen die meisten Wirte den Ball auf dem Bildschirm rollen lassen – wenn auch nicht mit uneingeschränkter Zustimmung und auch nicht alle Spiele.
Auch vorher gab es Welt- und Europameisterschaften in undemokratischen Ländern
Dass in dem kleinen Emirat, das fußballerisch bislang höchstens als Sponsor auswärtiger Vereinsmannschaften in Erscheinung getreten ist und als absolute Monarchie eher den Beobachterblick auf Demokratie und Menschenrechte hat, ein Fußballturnier der Weltgemeinschaft ausgetragen wird, sorgt bei vielen Fans für Unmut.
Andere argumentieren, dass es auch in der Vergangenheit schon Welt- und Europameisterschaften in undemokratischen Ländern gegeben hat – was zwar stimmt, seinerzeit aber auch nicht unumstritten war.
Die Diskussion geht an den Wirten nicht vorbei: „Ich bin vor zwölf Jahren mit anderen Fußballfans in Berlin auf die Straße gegangen, um gegen die WM-Vergabe an Katar zu protestieren“, sagt Jan Reinholdt, Geschäftsführer der Rieckhof-Gastronomie. „Zu der Zeit hätte man vielleicht noch etwas bewegen können, aber damals hat es zu wenig Menschen interessiert, aufzustehen. Deshalb halte ich die jetzige Debatte nicht für ehrlich.“
„Ich bin vor zwölf Jahren auf die Straße gegangen. Zu der Zeit hätte man vielleicht noch etwas bewegen können“
Die Rieckhof-Kneipe, die in der Vergangenheit HSV-Spiele und alle Partien internationaler Männerturniere übertragen hat, bekommt gerade neue Fenster. Reinholdt hofft, zum ersten Spiel des deutschen Teams am Mittwoch, 14 Uhr, startklar zu sein. Er will in seinem Lokal aber auch nicht alle Spiele zeigen, sondern nur die mit deutscher Beteiligung.
Auch in der Sportsbar „Bierbrunnen“ in der Lämmertwiete werden Spiele übertragen – auch hier nicht alle. „Viele Spiele liegen außerhalb unser Öffnungszeiten“, sagt Tresenmann Björn Schlaudraff. „Für die Vormittagsspiele werden wir nicht öffnen. Bei den Nachmittagsspielen werden wir das von Fall zu Fall entscheiden.“
11 Uhr – einige Vorrundenpartie beginnen vor der regulären Öffnung der Lokale
Neben den Spielzeiten – einige Vorrundenmatches werden bereits um 11 Uhr angepfiffen – gibt es noch einen weiteren Grund für Wirte, nicht alle Spiele zu übertragen: Alle 64 Begegnungen gibt es nämlich nur beim privaten Digitalkanal Magenta-TV – natürlich gegen entsprechende Bezahlung.
„Ich zeige nur Spiele, die auf ZDF und ARD ausgestrahlt werden“, sagt Klaus Petzold, Wirt der Fußballkneipe Astra-Eck und einst mit dem Beinamen „Der Lange“ Bostelbeker Torwartlegende. „Wir sind nun mal eine Fußballkneipe. Unsere Gäste kommen, um Spiele zu sehen. Politik sollen andere machen.“
Viele Wirte befürchten Umsatzeinbußen, wenn sie keine WM-Spiele übertragen. Nach den Jahren mit Lockdowns, Zugangsbeschränkungen und Gästeschwund, gefolgt von stark gestiegenen Kosten und weniger Geld, das die Gäste noch ausgeben können, ist die Lage in der Gastronomie kritisch. „Ich kann es mir gar nicht leisten, keine Spiele zu zeigen“, sagt Heike Plätke, Wirtin des „Blabla“ in der Seevepassage. „Die Gäste würden dann zur Konkurrenz wechseln.“
Stellwerk im Harburger Bahnhof kann und will diese WM nicht unterstützen
Einige Gaststätten haben sich trotzdem für den Boykott entschieden. „Die ganzen Umstände dieser WM gehen gar nicht“, sagt Mats Wollny vom „Stellwerk“. Der Club im Harburger Bahnhof veranstaltet sonst neben Konzerten auch häufig Fußballabende. „Diese WM können und wollen wir nicht unterstützen!“
Auch die Szenekneipe „Zur Stumpfen Ecke“ schließt sich den Boykotteuren an. Seit Jahresanfang wird die Kneipe als Genossenschaft geführt. In der Genossenschaft gab es lebhafte Diskussionen zum Thema. „Wie die Arbeiter behandelt werden, Frauen, Homosexuelle und Pressefreiheit unterdrückt werden, ist unerträglich“, sagt stellvertretend Andrea Petersen.
Ihr Genosse Andreas „Audi“ Krahe fügt hinzu: „Wir haben als Fußballfans schon viele willkürliche Entscheidungen der internationalen Verbände ertragen müssen. Jetzt ist mal Schluss! Wir setzen stattdessen auf Kulturprogramm.“