Harburg. Wirtin wollte aufgeben. Harburger Lokal „Zur Stumpfen Ecke“ wird jetzt von den Gästen selbst geführt. Ein in Hamburg einmaliges Modell
Die „Trainerbank“ – das ist quasi die Verlängerung des Tresens in der Harburger Kneipe „Zur Stumpfen Ecke“. Einen Platz an dem schmalen, rechtwinklig zur Theke angeordneten Tisch muss man sich erarbeiten. Die Trainerbank heißt so, weil von hier aus gerne ungefragt das Geschehen in der ganzen Kneipe kommentiert wird. Sie ist eine der vielen Besonderheiten der „Ecke“, und eine, die die Stammgäste unbedingt erhalten wollten, als sie hörten, dass ihre Wirtin (Sa-)Bine den auslaufenden Pachtvertrag nicht erneuern würde. Die Gäste wollten ihre Kneipe behalten und nicht miterleben müssen, wie ein neuer Wirt sie womöglich völlig umkrempelt – schlimmstenfalls noch mit Spielautomaten und bunten Leuchtstoffröhren. Um das zu verhindern, wurden die Gäste aktiv: Sie kauften die Kneipe selbst. Die „Stumpfe Ecke“ ist Hamburgs erste Genossenschaftskneipe – und erst die dritte in ganz Deutschland.
„Es gibt – auch in Hamburg – Genossenschaften, die neben anderen Geschäften auch Gastronomie betreiben“, sagt Andreas „Audi“ Krahe, vom Genossenschaftsvorstand, an der Trainerbank sitzend, „aber in Hamburg sind wir die erste und einzige Genossenschaft, die explizit gegründet wurde, um eine Kneipe zu führen.“
Harburgs „Stumpfe Ecke“ war schon immer etwas speziell
Die „Stumpfe Ecke“ war schon immer etwas speziell: Sie ist eine von zwei Alternativ-Szenekneipen, die eröffnet wurden, nachdem die Keimzelle aller Harburger Sponti-(so hießen Alternative und Autonome in den 1970ern) -Kneipe „Antagon“ 1984 schloss. Die andere, das „Consortium“, gibt es seit Jahren nicht mehr. Und nicht nur das: „Zur Stumpfen Ecke“ ist die älteste Kneipe Harburgs, die durchgehend an einem Ort war. Den ältesten Hinweis auf ihr Stammlokal fanden die Ecke-Genossen in einem alten Harburger Telefonbuch von 1912. Viel älter ist auch das Gebäude an der -stumpfen – Ecke Rieckhofstraße/Ebelingstraße nicht. Und auch dass das Gebäude noch steht, ist ein Glücksfall: Es ist eines der wenigen Häuser, die den Bau von S-Bahn, Suba-Center und „Sanierungsgebiet II“ Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre überlebten.
Doch nicht nur die Historie macht die Stumpfe Ecke besonders: „Für viele von uns ist dies das zweite Wohnzimmer“, sagt Aufsichtsrätin Leonie Reitberger, „und für manche sogar das einzige Wohnzimmer. Es ist ein Lokal, in das man immer gehen und sich sicher sein kann, dass man jemanden zum Quatschen findet. Das wollten wir erhalten.“
Solider und ehrlicher, als einfach einen Verein zu gründen
Einfach so kann man eine Genossenschaft nicht gründen: Man braucht Genossen, Vorstände und Aufsichtsräte, „Aber letztlich ist es solider und ehrlicher, als einfach einen Verein zu gründen, nur um ein Vereinslokal zu haben“, sagt Vorständin Andrea Petersen, „auch das gibt es ja.“
Für eine Idee, die aus ein paar Bieren in kleiner Runde entstand, nahm der Plan, eine Genossenschaft zu gründen sehr schnell konkrete Formen an. Dabei ist der Weg zur Gründung einer Genossenschaft beschwerlich. Zum Glück gab es Hilfe: Für Projekte, wie diese, gibt es schon seit 1908 einen Dachverband, den Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften. „Dessen Justiziarin führte uns um jede Klippe“, sagt Andrea Petersen.
Hindernisse gab es trotzdem einige: Just, als es so weit war, die Gründungsversammlung durchzuführen kam der zweite Corona-Lockdown mit seinem Versammlungsverbot. Erst, als dies wieder gelockert wurde, konnte das Gründungstreffen stattfinden – in kleiner Runde mit großem Abstand, draußen in einem Kleingarten. Eine Bank zu finden, war ebenfalls schwierig: Die Bank wollten eine Gründungsurkunde, die das Genossenschaftsregister aber nur ausstellt, wenn es eine Bankverbindung gibt. Auch hier half die Justiziarin.
48 Mitglieder hat die Genossenschaft
48 Mitglieder hat die Genossenschaft mittlerweile. Das ist jetzt schon mehr, als erhofft: Für das erste Jahr hatte man mit etwa 30 Genossinnen und Genossen gerechnet. Jeder Genosse muss mindestens drei Anteile à 50 Euro erwerben. Viele haben auch mehr gezeichnet. Finanziell zahlt sich das für die Genossen zunächst nicht aus: Die Renovierung des Lokals kostete einiges, die Übernahme der Warenbestände ebenfalls. Dazu kommen laufende Kosten. Um die gering zu halten, gibt es einen Tag in der Woche, an dem die Genossen ehrenamtlich in der Kneipe arbeiten – auch die, die an anderen Tagen hier ihr Geld verdienen.
„Ziel der Genossenschaft ist es auch nicht, Geld abzuwerfen, sondern die Atmosphäre der Kneipe zu erhalten und die Bedienungen weiterzubeschäftigen“, sagt Aufsichtsrat Jakob Linke, „und gemeinsam hier Spaß zu haben.“
Harburger Kulturbetrieb will sich in die „Stumpfe Ecke“ stärker einbringen
Einige Veränderungen gibt es allerdings: In der Renovierungsphase wurde eine Dart-Ecke eingerichtet und ein Kicker-Raum geschaffen, der demnächst auch einen neuen Tisch bekommt Und auch in den Harburger Kulturbetrieb will sich die Genossenschaft „Stumpfe Ecke“ stärker einbringen. Zwei Lesungen der Suedlese sollen in der Stumpfen Ecke stattfinden und an der Suedkultur Music Night beteiligt sich die Genossenschaftskneipe auch. „Das gute ist ja, dass wir solche Dinge auf mehrere Schultern verteilen können, sagt Linke.
Ex-Wirtin Sabine Trefzer hat übrigens selbst Gensossenschaftsanteile gekauft und ist jetzt dann und wann als Bedienung hinter dem Tresen. Viele andere Genossen, haben an unterschiedlichen Tagen ebenfalls unterschiedliche Rollen.