Hannover. Inzwischen sind 36 Vogelarten vom Aussterben bedroht – mehr als je zuvor. Der Hauptgrund heißt “Monotonisierung der Lebensräume“
Der Trend ist eindeutig: Schon seit mehreren Jahrzehnten ist in Niedersachsen und Bremen ein Rückgang des Vogelbestandes zu erkennen. „36 Vogelarten sind hierzulande vom Aussterben bedroht, das sind so viele wie nie zuvor“, sagt Lotta Cordes, Pressesprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums. Laut der von ihrem Ministerium vorgelegten „Rote Liste Brutvögel“ stehen 43 Prozent aller 212 betrachteten Arten auf der Gefährdungsliste, weitere 14 Prozent auf der Vorwarnliste. „Damit können in Niedersachsen und Bremen nur noch 43 Prozent der Brutvögel als ungefährdet gelten“, sagte Cordes weiter.
Jakob Grabow-Klucken vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Niedersachsen bestätigt diese Entwicklung: „Auffallend ist, dass viele bodenbrütende Arten wie Kiebitze oder Braunkehlchen, die als bodenbrütende Offenlandarten weiträumiges Grünland benötigen, gefährdet sind.“
Rote Liste: Artenarmut bei Pflanzen und Insekten bedroht Vögel
Ein Hauptgrund: „Entwicklungen wie die Industrialisierung im Bereich der Landwirtschaft haben bereits seit Langem erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume von Offenland-Arten“, sagt Cordes. Grabow-Klucken nennt es die „Monotonisierung der Landschaftsräume“. Wiesen werden laut dem Naturschutzexperten durch die intensive Bewirtschaftung ärmer an Arten: Zunächst komme es zum Rückgang der Blütenpflanzen und damit zum Rückgang der Insekten. Diese seien jedoch eine wichtige, eiweißreiche Nahrungsquelle für Küken. Auch ihr Leben gerate somit in Gefahr, sagt BUND-Experte Grabow-Klucken.
Doch nicht nur deshalb sei es wichtig, diese Entwicklung umzukehren. „Artenreiche, intakte Landschaften haben zudem auch einen besonders hohen Erholungswert und sind wichtig für die physische wie psychische Gesundheit von Menschen“, sagt Grabow-Klucken. Eine angepasste Strategie zur Erhaltung der Artenvielfalt werde auch „unsere Lebensqualität erhöhen und uns vor noch höheren Folgekosten durch degradierte Böden, Klimawandel und Erkrankungen schützen.“
Insbesondere Landkreise und Gemeinden stehen in der Verantwortung
Bei großen Bundesländern wie Niedersachsen, das sich laut des BUND-Experten als Agrarland Nummer eins in Deutschland verstehe, bestehe besonderer Handlungsbedarf. Insbesondere Landkreise und Gemeinden stünden in der Verantwortung, beispielsweise „durch eine landschaftsgerechte Mahd und Gehölzpflege die ökologischen Funktionen der Wegraine zu entwickeln“, sagt Grabow-Klucken. Lebensräume können zudem schon normale Bürgerinnen und Bürger bei der Heckenpflege erschaffen. Verschiedenste Vogelarten bräuchten sowohl lückige als auch dichte Zonen, um darin zu leben. „Ein gleichförmig wiederkehrender, symmetrischer Schnitt durch große Pflegemaschinen schafft dagegen auch in Grünflächen Monotonie und es entsteht eine grüne Wand“, erklärt Grabow-Klucken. Zudem könne man auch im Garten durch die Bepflanzung mit heimischen, blühenden sowie früchte- und samenbildenden Sträuchern und Kräutern eine Nahrungsgrundlage für Vögel und Insekten bilden.
Laut Torben Friedrich vom Deutschen Kanarien- und Vogelzüchterbund (DKB) sollten Gartenbesitzer zudem auf Steingärten verzichten, oder „auch mal Blätter im eigenen Garten als Haufen liegen lassen und den Rasen nicht immer mähen.“ Zudem sei alter Baumbestand zu erhalten und Moore zu schützen. Er glaubt: „Der Vogelschwund kann nur durch finanzielle Unterstützung und Schulung von ehrenamtlichen Züchtern behoben werden, die auch mit der Biotoppflege vertraut sind“.
Rote Liste: BUND mahnt "wirksame Maßnahmen" an
Lotta Cordes vom Umweltministerium in Hannover betont, dass die Landesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen gegen das Vogelsterben ergriffen habe, wie beispielsweise das Ausweisen von Vogelschutzgebieten oder die Wiedervernässung und Offenhaltung geeigneter Habitate. Zudem gebe es Bewirtschaftungsauflagen und Maßnahmen zum Kükenschutz etwa vor Prädatoren, also Raubtieren.
Die niedersächsische Landesvorsitzende des BUND, Susanne Gerstner, sieht mit diesen und weiteren Projekten, die die Landesregierung mit Unterstützung vom BUND beschlossen hat, einen ersten Schritt getan. „Allerdings sind die Verbesserungen bislang noch kaum in der Fläche angekommen – hier besteht dringender Handlungsbedarf.“ Von der kommenden Landesregierung erwartet Gerstner daher „wirksame Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt“. Dazu sollte ihrer Meinung nach der Vogelschutz langfristig finanziert, ein Biotopverbund umgesetzt und Pflanzenschutzmittel reduziert werden. Zudem seien Maßnahmen für Klimaschutz und die Energiewende wichtig.