Hamburg. Ein 44-Jähriger muss sich vor Gericht wegen Menschenhandels verantworten. Der potenzielle „Käufer“ macht verblüffende Aussagen.
Er musste in einer heruntergekommenen Gartenlaube hausen. Er wurde zu Diebstählen gedrängt, vorzugsweise zum Klauen von Fahrrädern. Und Geld gab es ohnehin keins. Wiezlaw K. ging es in etwa so wie einem Sklaven. Keine Rechte, keine Bezahlung, keine würdevolle Behandlung.
Ist Jozef P. mit verantwortlich dafür, wie schäbig sein polnischer Landsmann behandelt wurde? So sieht es zumindest die Staatsanwaltschaft, die dem 44-Jährigen Menschenhandel vorwirft. Er habe das Ziel gehabt, einen anderen auszubeuten, so die Anklage.
Angeklagter soll Landsmann als „Knecht“ angeboten haben
Demnach bot Jozef P. am 5. März 2018 den heute 42 Jahre alten Geschädigten einem weiteren Mann zum Kauf als „Knecht“ an. Zuvor war Wiezlaw K. den Ermittlungen zufolge aus seinem Heimatland Polen nach Deutschland gelockt worden. Man habe ihm versprochen, dass er hier einen guten Arbeitsplatz bekommen werde.
Der Angeklagte, ein eher klein gewachsener Mann mit hoher Stirn und durchdringendem Blick, möchte zu den Vorwürfen vor dem Amtsgericht Harburg nichts sagen. Sein Verteidiger führt für den 44-Jährigen an, dass mitnichten von einem „Knecht“ die Rede sein könne. Er bezieht sich auf das Wort „Raklo“, das in einem Telefonat gefallen sein soll. Dieses bedeute keinesfalls „Knecht“, sondern sei eher mit „Junge“ zu übersetzen, betont der Anwalt. „Das klingt viel harmloser.“ „Raklo“ sei ein Begriff aus der Sprache der Roma.
Vorwurf des Menschenhandels: Opfer fehlt im Prozess
Dies ist nicht das einzige Problem, mit dem sich die Verfahrensbeteiligten auseinandersetzen müssen. Das mutmaßliche Opfer Wiezlaw K., der am authentischsten über etwaige Leiden unter der Fuchtel eines Menschenhändlers erzählen könnte, ist mittlerweile in seine Heimat zurückgekehrt und steht als Zeuge nicht zur Verfügung. Und der Mann, dem der Angeklagte den „Knecht“ zum Kauf angeboten haben soll, beruft sich auf Erinnerungslücken.
Doch zumindest dieser Mensch, Krystian K., muss an üblen Geschäften beteiligt gewesen sein. Schon vor Jahren ist der 34-Jährige genau in dieser Sache, also für den „Kauf“ von Wiezlaw K., wegen Menschenhandels zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Zusammen mit anderen Vergehen hat er insgesamt vier Jahre im Gefängnis gesessen.
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Zeuge: Opfer ungeeignet zum Klauen
„Es ist sehr lange her.“ Dieser Satz fällt immer wieder in der Aussage des Zeugen. „Ich kann mich nicht erinnern.“ Den Angeklagten kenne er nur „vom Sehen“, meint der Zeuge. Und er erinnere sich vage an einen Mann, der in seiner Firma nicht gut gearbeitet habe. „Ich habe ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte zu klauen“, erzählt Krystian K. „Er ist einverstanden gewesen.“ Doch dieser Mann sei „vollkommen ungeeignet gewesen zum Arbeiten und vollkommen ungeeignet zum Klauen“. Es klingt bei diesem Zeugen so, als sei ehrliche Arbeit und Diebstahl in etwa gleichwertig.
Der Richter zitiert aus der Akte, dass es ein Telefongespräch zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen gegeben haben soll. In diesem habe der Zeuge in Bezug auf den besagten „Raklo“ gefragt: „Wie viel willst du für ihn haben?“ Auch hier kommt der immer wieder strapazierte Satz des Zeugen: „Ich kann mich nicht dran erinnern.“ Das kann der Vorsitzende nicht fassen: „Man wird sich doch wohl dran erinnern, ob man einen Menschen kaufen wollte oder nicht!“ Krystian K. zuckt nur mit den Achseln. Der Prozess wird fortgesetzt.