Harburg. Viele Praxen im Raum Süderelbe nehmen keine neuen Patienten mehr auf. KVH-Chef will das Problem offensiv angehen.

Harburg wächst – und es wächst am schnellsten in den Neubaugebieten von Neugraben-Fischbek. Die Infrastruktur hier wächst in einigen Teilbereichen allerdings nicht so schnell, wie die Bevölkerung. Gerade im Bezug auf die medizinische Versorgung klagen viele neu Zugezogene, dass sie keine Haus- oder Kinderarztpraxen finden, die noch Patienten annehmen Von Fachärzten ganz zu schweigen. Dabei ist mit dem Bau des größten der drei neuen Wohngebiete noch nicht einmal begonnen worden. Und: Mittlerweile haben nicht mehr nur die Neubürger in Süderelbe Schwierigkeiten, einen Arzt zu finden.

Die Bezirkspolitik fordert Abhilfe. Im Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Inklusion sprach unter anderem der neue Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH), John Afful, mit den Abgeordneten. Er sah das Problem. Eine Patentlösung hatte er jedoch nicht mitgebracht.

Akuter Handlungsbedarf, aber bei genügend Ärzte da

Offiziell ist John Afful erst seit sechs Wochen im Amt. Mit der Debatte beschäftigt er sich allerdings seit langem, denn die KVH begleitet ihn schon ein Leben lang: Bereits als Schüler jobbte der gebürtige Niendorfer in der Verwaltung der Ärztevereinigung und auch während seines Volkswirtschaftsstudiums riss der Kontakt nicht ab. Als Diplom-Volkswirt wurde Afful 1994 Assistent des damaligen Geschäftsführers und leitete später verschiedene Geschäftsbereiche. Er kennt die Themen seiner Organisation und dazu gehört auch die Verteilung der Arztsitze im Stadtgebiet. Anders, als sein Vorgänger Walter Plassmann räumte Afful ein, dass akuter Handlungsbedarf da ist – denn Süderelbe ist in Hamburg nicht allein. Er zweifelt allerdings an, dass die zur Verfügung stehenden Werkzeuge tatsächlich geeignet sind. Selbst wenn die Lenkungsmaßnahmen greifen würden, gäbe es nicht genügend Ärzte, die man lenken könnte.

„Der Hausarztberuf ist nicht mehr attraktiv für den Nachwuchs“, sagt er. „Deshalb kommen weniger neue Hausärzte nach, als alte aufhören.“

Die Gründe seien vielfältig und nicht nur finanziell bedingt: „Hausärzte wollen bestmöglich helfen, aber das System der Patientenpauschalen belohnt den Einsatz nicht. Viele Hausärzte fühlen sich gestresst.“

Probleme ist in der Hamburger Verfassung begründet

Die CDU-Bezirksabgeordnete Brit-Meike Fischer-Pinz, selbst Ärztin, bestätigt das: „Hausärzte leisten oft sprechende Medizin. Gut bezahlt wird allerdings die operierende Medizin. Für Hausärzte lohnen sich Praxisstandorte mit vielen gesunden Patienten im Einzugsbereich eher, als solche mit vielen Alten und Kranken. Das bringt die Ärzte in ein Dilemma. In vielen Hausarztpraxen stünde ein Generationenwechsel an, aber die Praxisinhaber finden keine Nachfolger.“

Eine der Ideen, um Ärzte nach Süderelbe zu locken, war es, dass Gebietsentwickler, Bezirksamt oder KVH medizinische Versorgungszentren einrichten – Mehrfachpraxen, in die sich Ärzte einmieten könnten, ohne dabei hohe Gründungskosten zu haben. „Das lohnt sich aber nur, wenn man sicher ist, dass man dafür auch Ärzte findet“, sagt Afful, „außerdem würden wir als KVH auch wollen, dass sich diese Praxen dann auch bald selbst tragen. Wir wollen anschieben, aber nicht betreiben.“

Eines der Probleme ist in der Hamburger Verfassung begründet: Hamburg ist Land und Kommune zugleich. Deshalb ist die Stadt auch nicht in mehrere Zulassungsbezirke unterteilt. Gesamtstädtisch gesehen ist Hamburg gut, in einigen Bereichen sogar überversorgt, was Ärzte angeht. In Berlin hat man versucht, gegenzusteuern. Hier sind die Bezirke kommunal eigenständig. Deshalb kann man hier mit kleineren Zulassungsbezirken arbeiten. Außerdem gibt es finanzielle Anreize für Ärzte, die ihren Sitz in Gebiete mit hohem Bedarf verlegen. So wirklich begeistert sind aber auch die Berliner noch nicht vom Ergebnis. „Wir beobachten das Berliner Modell derzeit genau“, sagt Sabine Verdick von der Gesundheitsbehörde. Auch sie referierte im Ausschuss. „Derzeit warten wir mit einem Urteil noch ab!“

Wenn man den Hausarztberuf attraktiver machen könnte, würde das auch den dünn versorgten Lagen helfen, glaubt Afful. „Als Vereinigung können wir Ärzten vielleicht Aufgaben abnehmen, indem wir beispielsweise anbieten, die Hausbesuche mit dem Hausärztlichen Notdienst abzufahren. Das wird für Patienten aber nur attraktiv, wenn der ambulante Dienst auch Rezepte und Krankschreibungen ausstellen könnte. Das ist derzeit noch nicht der Fall!“

Der Ausschussvorsitzende Peter Bartels (SPD) möchte Anträge, in denen Lösungen für den Mangel gefordert werden, nicht zu den Akten legen: „Positiv ist, dass die KVH unter Herrn Afful die Probleme behandeln will“, sagt er. „Aber Besserung ist anscheinend noch nicht in Sicht!“