Harburg. Stadt prüft Standort. Innenbehörde rechnet mit steigender Zahl von Ukraine-Flüchtlingen und hat beim Bezirksamt angefragt

Wie viele Menschen flüchten vor dem Krieg aus der Ukraine in die EU, nach Deutschland, nach Hamburg, nach Harburg? Derzeit kann es niemand abschätzen. „Die Lage ist dynamisch“, formulierte es Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen in der aktuellen Stunde der Bezirksversammlung am Dienstag. Und die Signale sind widersprüchlich.

Hieß es am Dienstagvormittag noch in der Landespressekonferenz im Hamburger Rathaus, die Fegro-Halle in Harburg würde zur Unterbringung geflüchteter derzeit nicht gebraucht, berichtete Sophie Fredenhagen am Abend, dass die Halle in diesen Tagen mit Trennwänden versehen wird, um dann Geflüchteten, die dort aufgenommen werden, etwas mehr Privatsphäre zu ermöglichen. Die Innenbehörde habe bei ihr auch nachgefragt, ob es möglich sei, wieder Wohncontainer auf dem Schwarzenberg aufzustellen und die Sozialbehörde plane, „Reservekapazitäten“ in leerstehenden Schulen zu aktivieren, wenn es nötig sei.

Hamburger Innenbehörde sieht keinen Widerspruch

Ein Widerspruch sei das nicht wirklich, heißt es aus der Innenbehörde. „Wir haben am Wochenende einen Rückgang der registrierten Ukraine-Flüchtlinge in Hamburg gehabt“, sagt Sprecher Daniel Schaefer, „das gab uns eine Verschnaufpause. Aber wir müssen auch damit rechnen, dass die Zahlen wieder ansteigen. Wir haben die FEGRO-Halle geräumt, um sie jetzt besser einzurichten. Dass dies etwas mit einem Virusausbruch zu tun hätte, ist nicht wahr. Und um bei Bedarf vorbereitet zu sein, prüfen wir und die Sozialbehörde deshalb in ganz Hamburg, welche Möglichkeiten wir haben. Dazu gehört die Anfrage wegen des Schwarzenbergs.“

Anders, als 2014 bis 2016, als man die Zahl der Geflüchteten schon grob abschätzen konnte, bevor sie in Deutschland ankamen, ist die Lage diesmal unübersichtlicher: Staatsbürger der Ukraine können wegen des EU-Assoziierungsabkommens ihres Landes ohne Visum und ohne Anmeldung in die EU einreisen und haben 90 Tage lang Touristenstatus. Geflüchtete müssen sich nicht sofort registrieren. Viele haben Verwandte und Bekannte in Deutschland als ersten Anlaufpunkt und melden sich erst, wenn sie dort angekommen sind. Die Einschätzung der Bedarfe ist also schwierig.

„Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Es werden in den nächsten Wochen und Monaten deutlich mehr Menschen fliehen müssen und bei uns ankommen, als bisher“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Richter in seinem Redebeitrag zur aktuellen Stunde. „Außerdem kommen ja auch weiterhin Geflüchtete aus anderen Gebieten, wie Afghanistan, Eritrea oder Syrien. Auch um die müssen wir uns weiter kümmern und sie aufnehmen. Vor dem Hintergrund der Lage müssen wir auch die Bürgerverträge in Frage stellen, die wir 2026 unter ganz anderen Voraussetzungen geschlossen haben.“

Initiative bereit, über Bürgervertrag für Neugraben zu sprechen

Einen solchen Vertrag gibt es im Bezirk Harburg mit der Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek (BINF). Er legt Laufzeiten und Maximalbelegung der Geflüchtetenunterkünfte im Stadtteil fest. Bei der BINF ist man durchaus bereit, noch einmal über die Verträge zu sprechen. „Diesmal ist die Sozialbehörde im Vorwege auf uns zugekommen“, sagt Initiativensprecher Jan Greve, „es findet eine Kommunikation auf Augenhöhe statt. Das macht uns kompromissbereiter. Die Notwendigkeit, Menschen unterzubringen ist ja auch sichtbar vorhanden. Worauf allerdings geachtet werden muss, ist dass die soziale Infrastruktur im Stadtteil mitwächst, dass es also mehr Kitaplätze, Schulklassen und Freizeitangebote gibt. Da sehen wir unsere Rolle als Initiative: Diese Dinge anzumahnen.“

Die vorhandenen, zum Teil schon „leergezogenen“ Unterkünfte voll und länger, als vereinbart, zu belegen könnte nicht ausreichen sagte Sophie Fredenhagen in der aktuellen Stunde. Für Folgeunterkünfte würde die Sozialbehörde jetzt weitere Reservekapazitäten prüfen. Die Sozialbehörde ist für die längerfristige Unterbringung zuständig, während die Innenbehörde die Ankommenden kurzfristig versorgt. Für diese Aufgabe hat die Abteilung „KUZ 12“ des Bezirksamts – die Ausländerabteilung des Kundenzentrums – übrigens gerade vier Beamte in die Ankunftszentren abgestellt, die für die täglichen Aufgaben in Harburg nun fehlen. „Die Reservekapazitäten sieht die Sozialbehörde unter anderem in den aufgegebenen Schulen des Erzbistums Hamburg“, sagte Fredenhagen, „davon haben wir in Harburg ja auch zwei. Außerdem wird die ehemalige Schule Quellmoor aktuell näher betrachtet.“

Pflegeheim nur für Ukrainer? Mehrheit lehnt das ab

Angesichts der Lage in der Ukraine herrschte in der Bezirksversammlung Einigkeit, dass den Flüchtlingen von dort bedingungslos geholfen werden müsse. Die Forderung der CDU, die Flüchtlingsunterkunft im Pflegeheim Eichenhöhe exklusiv mit Ukrainern zu belegen, lehnte eine große Mehrheit der Abgeordneten jedoch ab: „Es gibt keine besseren und schlechteren Geflüchteten“, sagte Frank Richter in Richtung Christdemokraten. „Wer hier Unterschiede machen will, handelt schlicht rassistisch – das hätte ich von Ihnen jetzt nicht erwartet!“

CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer beklagte, dass der Rassismus-Vorwurf „unter die Gürtellinie“ ginge. Dass sein Antrag abgelehnt wurde, konnte er verschmerzen: Der Flüchtlings-Flügel in der Eichenhöhe ist seit dem Wochenende komplett belegt – zu 100 Prozent mit Ukraine-Flüchtlingen.