Harburg. Dr. Mouhib Adjan leitet seit Juni die Abteilung für Geburtshilfe an der Harburger Klinik. Sein Werdegang ist beeindruckend.
Er lässt sich den Druck nicht anmerken. Doch wer die Hintergründe kennt, weiß, wie groß die Erwartungen sind, die an Dr. Mouhib Adjan gestellt werden. Der 61-Jährige ist neuer Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe und Perinatalmedizin an der Helios Mariahilf Klinik. Anfang Juni hat er seine Arbeit in Harburg aufgenommen. Und damit ein schweres Erbe angetreten.
Der gebürtige Syrer und erfahrene Arzt, der seit 30 Jahren in der Geburtshilfe tätig ist und zuletzt als Chefarzt an der Frauenklinik im Asklepios Krankenhaus Lich angestellt war, soll dafür sorgen, dass die zu Jahresbeginn massiv in die Schlagzeilen geratene Klinik ihren guten Ruf als Geburtsklinik im Hamburger Süden zurückgewinnt. Mit ihm soll das Vertrauen in die Klinik zurückkommen.
Wie berichtet, sind die Geburtenzahlen an der Helios Mariahilf Klinik im vergangenen Halbjahr um ein Drittel zurückgegangen, von 1040 auf 690. Auslöser für den Rückgang war der Weggang der Chefärztin der Geburtsklinik, Dr. Maike Manz. Diese hatte nach nicht einmal zweijähriger Amtszeit bereits wieder gekündigt – und mir ihr vier Oberärzte. Zudem hatten sie in einem Brandbrief die Zustände an der Klinik öffentlich kritisiert.
Die Klinik war Thema in der Bürgerschaft
Die Situation spitzte sich weiter zu, als am ersten Februarwochenende der Kreißsaal zeitweilig wegen Personalmangels gesperrt werden musste: Nicht nur zwei Oberärzte waren erkrankt, sondern auch der Honorararzt, der einspringen sollte. Die Wellen schlugen hoch, als ausgerechnet an diesem Wochenende eine Frau während der Geburt ihres siebten Kindes in der Mariahilf Klinik starb. Ende Februar verließ Dr. Manz nach einem Aufhebungsvertrag das Haus. Einen Monat später folgte Klinikgeschäftsführer Phillip Fröschle. Das Thema landete in der Bürgerschaft.
Die Vorfälle an der Klinik hatten einen massiven Geburteneinbruch zur Folge. Im April kamen nur 91 Kinder im Mariahilf auf die Welt. Im April 2018 waren es fast doppelt so viel. Und auch im Mai blieben die Zahlen ungewöhnlich niedrig. Mit dem Start von Dr. Mouhib Adjan gehen die Zahlen nun langsam, aber stetig bergauf. „Schon in seiner kurzen Amtszeit konnte Dr. Adjan unsere Geburtshilfe deutlich stabilisieren“, sagt Kliniksprecherin Lisa Klauke-Kerstan. Eine der Hauptaufgaben von Dr. Adjan sei es, neue Kollegen für das geburtshilfliche Team zu gewinnen.
Viele Frauen sind verunsichert
„Er befindet sich bereits in fortgeschrittenen Gesprächen mit mehreren Bewerbern und ist zuversichtlich, in Kürze ein komplettes Team präsentieren zu können.“ Für die Stelle der Oberärztin und des leitenden Oberarztes konnte bereits Ersatz gefunden werden. Diese übernehmen die Fachärztin Ludmilla Kuhn und Dietmar Te Heesen, beide erfahrene Kollegen aus dem bestehenden Team.
Darüber hinaus hat Dr. Adjan gemeinsam mit den Hebammen erste wegweisende Entschlüsse gefasst: Die Geburtshelfer bekennen sich mit einem klaren „Ja“ zur physiologischen Geburt. Mehr denn je wird die Geburtshilfe der Klinik darauf achten, dass risikofreie Geburten individuell und ausschließlich von einer Hebamme ohne medizinische Interventionen begleitet werden. Jede Geburt soll so natürlich wie möglich und so medizinisch abgesichert wie nötig sein.
Die wichtigste Aufgabe aber des neuen Chefarztes aber besteht darin, das Vertrauen der Patienten in das Haus zurückzugewinnen. „Ich spüre noch immer die Verunsicherung vieler Frauen, die zu uns kommen“, sagt er. Eine Tatsache, die den erfahrenen Arzt nicht unberührt lässt. „Die Geburt eines Kindes sollte nie mit Sorgen verbunden sein“, sagt er. „Sie ist etwas wunderschönes und sollte Freude in die Familie bringen.“
Um das Vertrauen der Familien in der Region wieder zu gewinnen, müsse das Team fleißiger, kompetenter arbeiten und menschliche Medizin bieten. „Auf diesem Weg sind wir bereits gestartet“, so der Chefarzt, der nicht nur drei Jahrzehnte Berufserfahrung, sondern insbesondere Expertise bei der Geburt von Mehrlingen und aus der Beckenendlage mitbringt.
Mit seinem Blut rettete er einer Mutter das Leben
Adjan selbst kann stundenlang von seinen Erfahrungen berichten, von Drillingen und Vierlingen, die er entbunden hat, von Säuglingen, die in der 24. Woche auf die Welt kamen und von Gebärenden, die selbst noch Kinder waren, als sie Mutter wurden. Die jüngste Frau, die er bei einer Geburt begleitet hat, war elf Jahre alt. Die älteste 57. Das Erlebnis, das ihm besonders in Erinnerung geblieben ist, liegt mehr als 30 Jahre zurück.
Adjan hatte damals, nach seinem Studium der Humanmedizin an der Universität Aleppo, seinen ersten Job als Geburtshelfer in einem städtischen Krankenhaus angetreten – unter abenteuerlichen medizinischen Bedingungen. „Die Frau kam zu Fuß in die Klinik“, erinnert er sich. „Hochschwanger.“ Bei der Untersuchung perforierte die Gebärmutter. Die Frau verlor literweise Blut. Ohne Intubation begannen die Ärzte zu operieren. Nach fünf Minuten war das Kind da. Mit der Spende seines eigenen Bluts rettete Mouhib Adjan anschließend der Mutter das Leben. Sie gab ihrem Sohn den Namen Mouhib.
1989 ging der junge Arzt nach Deutschland. Und er hat diesen Schritt nie bereut. Weil er dankbar ist, unter hervorragenden medizinischen Bedingungen arbeiten zu dürfen, in einem Land, in dem es möglich ist, Kinder bereits in der 24. Schwangerschaftswoche erfolgreich zu entbinden. Das soll bald auch im Mariahilf möglich sein. „Um alle vom Gemeinsamen Bundesausschuss geforderten Kriterien für ein Perinatalzentrum Level 1 vollständig zu erfüllen, führen wir aktuell umfassende Baumaßnahmen in unserer Klinik durch“, sagt Kliniksprecherin Lisa Klauke-Kerstan.
„Wir vergrößern unsere Kinderintensivstation um zusätzliche Intensivplätze für Früh- und Neugeborene, der Kreißsaal wird um einen Überwachungsbereich erweitert und parallel über einen neuen Durchgang direkt mit dem OP verbunden.“ Die Kinderärzte bekommen im Kreißsaal einen weiteren Untersuchungsplatz für Neugeborene – damit hier nicht nur Zwillinge, sondern auch Drillinge nach der Geburt optimal versorgt werden können. Zum Jahresende sollen die Umbauarbeiten abgeschlossen sein. Bis dahin soll auch das Vertrauen in der Region wieder hergestellt sein. Im September gibt es dafür einen „Tag der Geburt“, bei dem die Klinik ihre Türen für alle werdenden Eltern öffnen wird.
Werdegang des neuen Chefarztes
Mouhib Adjan studierte Humanmedizin an der Universität Aleppo. Anschließend begann er seine klinische Ausbildung in einem städtischen Krankenhaus mit 5000 Geburten pro Jahr, bevor er ans Hannoveraner Friederikenstift wechselte.
Es folgten Stationen als Oberarzt von Frauenkliniken in Bochum und Dortmund, bis er sich 1997 in seiner eigenen Praxis mit Belegarzttätigkeit in Hannover niederließ – in dieser Zeit sammelte er umfangreiche Erfahrung in der Versorgung von Frauen auch außerhalb eines Krankenhauses.
Aus der Niederlassung wechselte er 2009 wieder als Oberarzt ans Heide-Kreis-Klinikum Walsrode, um anschließend die Position als Leitender Oberarzt der Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main anzutreten. Hier erwarb Dr. Mouhib Adjan die Schwerpunktbezeichnung Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin.
Als Leitender Oberarzt am Perinatalzentrum Level 1 der Goethe-Universität wurde er zu einem ausgewiesenen Spezialisten auf dem Gebiet der spontanen Beckenendlagenentbindung und der vaginalen Entwicklung von Mehrlingen.
Der gebürtige Syrer spricht Deutsch, Arabisch und Englisch. Er ist verheiratet und Familienvater von vier Kindern.