Finkenwerder. Halbzeit beim Forum Tideelbe: Fünf Maßnahmen sollen Strömung und Tidenhub dämpfen. Doch vielerorts gibt es Protest

Vielfach hat der Mensch in den vergangenen Jahrzehnten die Landschaft an der Elbe verändert: Deiche wurde höher und rückten näher an den Strom heran, Nebenflüsse wurden abgedämmt, die Fahrrinne immer wieder vertieft. Die Folgen sind seit Jahren spürbar: Allein der Tidenhub in Hamburg, also der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser, hat sich von 2,40 Metern im Jahr 1950 auf aktuell 3,83 Meter erhöht. Vor allem der Flutstrom wurde dadurch stärker und führt zu großen Schlickmengen im Hafen und den Seitenarmen, weil ausgebaggerter Sand immer wieder zurück gespült wird.

Wie der Fluss wieder beruhigt werden kann, soll derzeit das Forum Tideelbe klären. Im Prinzip ist das eine Art Denkfabrik, an der Behörden, Kommunen, aber auch Umweltverbände, Wassersportler oder Fischer beteiligt sind. In Hamburg wurde dazu eine Geschäftsstelle eingerichtet, um die Arbeit zu koordinieren. Ende 2016 hat ihr Leiter Manfred Meine, der von der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) kommt, die Arbeit aufgenommen, bis Ende 2020 soll das Forum den drei norddeutschen Bundesländern ein Ergebnis präsentieren. „Wir haben jetzt sozusagen Halbzeit“, sagt Meine.

Auch der Neuländer Baggersee sollte mit der Elbe verbunden werden

In einem ersten Schritt hat das Forum nun aus mehr als 20 ursprünglichen Ideen in einer Vorauswahl fünf Maßnahmen identifiziert, die ökologisch am besten geeignet erscheinen und auch umsetzbar sind, wie Meine sagt. Allen ursprünglich und jetzt ausgewählten Vorschlägen gemeinsam ist, dass sie dem Fluss wieder mehr Flutraum verschaffen und die Strömung dämpfen sollen. Beispielsweise gab es die Idee, im Mündungsbereich künstliche Sandbänke zu schaffen. Auch der Neuländer Baggersee sollte wieder an die Elbe angeschlossen werden.

Heftige Proteste im Alten Land stoppten ein Projekt

Beide Vorhaben sind nicht mehr aktuell. Dafür aber eben andere Projekte, die sich vor allem auf den Süden und Osten Hamburgs konzentrieren: So könnten frühere Elbarme wie die Alte Süderelbe, die Borsteler Binnenelbe oder auch die Dove-Elbe wieder durch Tidesperrwerke mit der Stromelbe verbunden werden. Doch gerade diese drei Projekte stoßen vor Ort auf Misstrauen oder gar offene Proteste, wie jüngst an der Dove-Elbe.

Große Sorgen machen sich auch die Anlieger der Alten Süderelbe. Der 1962 abgedeichte Flussarm hat derzeit nur über das „Storchennest-Siel“ am Köhlfleet ein wenig Wasseraustausch. Durch eine Wiederanbindung würde er wieder Hoch- und Niedrigwasserstände bekommen. Die Anwohner sind allerdings nur für eine teilweise Öffnung bei nur geringem Tidenhub. Das könnten die Naturschutzgebiete und Sommerobstwiesen im Finkenwerder Süden verkraften, argumentieren sie. An der Süderelbe befürchtet man jedoch, dass der Flussarm für den vollen Tidenhub geöffnet werden soll. Das würde sehr viel höhere Wasserstände bei Flut bedeuten, die in den letzten Jahrzehnten entstandene Landschaft radikal verändern und direkt vor der Haustür der Flussanlieger Hochwasserschutzbauten notwendig machen. Meine fühlt sich hier missverstanden: „Eine Öffnung für den vollen Tidenhub müsste unter der Airbus-Landebahn auf 65 Metern Breite ins Mühlenberger Loch münden“, sagt er, „das macht Airbus schon nicht mit.“

Neue Überlegungen zur Alten Süderelbe

Derzeit gehe die Überlegung dahin, die Alte Süderelbe lediglich am Storchennest für die Gezeiten zu öffnen. „Dann fällt der Tidenhub längst nicht mehr so hoch aus“, so Meine.

Und auch an der Borsteler Binnenelbe im Alten Land gibt es Widerstände. Hier erklärten 63 Eigentümer kurzerhand, dass sie für einen neuen Deich keine Grundstücke verkaufen. „Wir haben dieses Projekt daher erst einmal zurückgestellt“, sagt Meine, der sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sieht, schon an der Genehmigungsplanung zu arbeiten. „Es gibt aber keine konkreten Pläne, wir werden nur Vorschläge machen, über die die Politik entscheiden muss“, sagt er.

Eine ebenfalls für die Haseldorfer Marsch geplante Wiederanbindung der Priele und Polder stößt indes bisher nicht auf Kritik. „Dort sind die Reaktionen sehr positiv“, so Meine. Auch die Überlegungen für eine fünfte Maßnahme verlaufen derzeit eher unproblematisch: Dabei geht es darum, in vielen Nebenelben wie etwa der Hahnöfer Nebenelbe mehr Flutraum durch Abtragung von Wattflächen oder dem Rückbau von Uferbefestigungen zu erhalten.

Hamburg steht unter politischem Druck

Hinter dem knappen Zeitplan des Tideelbe-Forums steckt allerdings nicht nur Sorge um den Fluss, sondern auch erheblicher politischer Druck: So wird ein großer Teil des Elbschlicks aus dem Hafen nicht in Elbe, sondern vor der Küste von Schleswig-Holstein verklappt – damit er eben nicht durch den starken Flutstrom gleich wieder zurückfließt: Eine weitere Verlängerung der Genehmigung wird von Hamburg gerade beantragt. Aber es gibt bereits klare Signale aus Kiel: Ohne konkrete Prüfung und Umsetzung solcher Projekte zur Dämpfung von Tidenhub und Strömung in der Elbe wird es bald keine Genehmigung mehr geben. Meine: „Hamburg muss jetzt liefern, das ist auch klar.“