Buchholz. Das Areal der einstigen Rütgerswerke in Bahnhofsnähe ist als Standort für Wohnungsbau umstritten.
Wenn der Stadtrat heute Abend ab 19 Uhr in der Rathauskantine das Stadtentwicklungskonzept „Buchholz 2025plus“ final diskutiert und aller Voraussicht nach beschließt, wird auch wieder die Rütgers-Fläche im Fokus stehen. Für die Gegner des Konzepts ist das Areal südlich des Buchholzer Bahnhofs die erste Option, um eine Osterweiterung der Stadt mit bis zu 1500 neuen Wohneinheiten samt Umgehungsstraße zu verhindern. Aber wie realistisch ist eine Bebauung der Rütgers-Fläche tatsächlich?
Aus der Luft betrachtet, wirkt die Industrie-Brache wie eine riesige grüne Wiese inmitten städtischer Wohnbebauung. Doch die Idylle trügt. In Wahrheit ist jene grüne Insel die größte „Blackbox“ der Nordheidestadt.
Bis 1986 betrieben die Rütgers Werke zwischen Rütgersstraße im Norden und Heidekamp im Süden eine 17,2 Hektar große Anlage, in der vorrangig Bahnschwellen, aber auch Masten für Licht- und Fernsprechleitungen imprägniert wurden.
Fläche bis zu 50 Metertief kontaminiert
Der Schutz gegen Wind- und Wetter wie Insekten- und Pilzbefall erfolgte mit Steinkohleteeröl als Tränkmittel. Zwei riesige Kessel, von denen jeder 52 Tonnen Teeröl aufnehmen und auf die erforderlichen 100 Grad erhitzen konnte, waren seinerzeit weithin sichtbar. Im Verbund mit zwei hohen Schornsteinen galten sie lange als Buchholzer Wahrzeichen.
Aufgrund der exzellenten Innenstadtlage und der unmittelbaren Nähe zum Bahnhof erschien das Areal später ideal geeignet für eine städtebauliche Folgenutzung. Anfang der 90er-Jahre ergaben Bodensondierungen jedoch, dass weite Teile der Flächen durch die jahrzehntelang verwendeten Imprägnieröle stark kontaminiert sind – teilweise bis zu einer Tiefe von 50 Metern.
Als besonders gravierend erwies sich die Gefährdung des Grundwasserleiters, der in 50 Meter Tiefe in südöstlicher Fließrichtung unter der Rütgers-Fläche verläuft. Bereits zu dieser Zeit wurden Sanierungsmaßnahmen angeordnet, die bis heute andauern. Dabei wird Grundwasser im Bereich der Kernkontaminierung heraufgepumpt, gereinigt und wieder versickert.
Sanierungskonzept stehtkurz vor dem Abschluss
Nach Informationen des Abendblatts soll die Pilotanlage zur Grundwasseraufbereitung Ende April durch eine leistungsstärkere Anlage ersetzt werden. Im Februar saßen erneut Vertreter der Ruhrkohle AG, als Rechtsnachfolger der Rütgerswerke, der Landkreisverwaltung und der Stadt zusammen, um nach jahrelangen Verhandlungen endlich einen verbindlichen Sanierungsplan zu vereinbaren.
„Es ist viel Bewegung in dem schwierigen Thema. Ich bin optimistisch, dass wir nun zeitnah zu einem Abschluss kommen werden“, sagte Stadtbaurat Stefan Niemöller dem Abendblatt. Das bestätigte auch Landkreissprecher Bernhard Frosdorfer: „Die Verhandlungen sind weit gediehen. Die Ratifizierung eines Öffentlich-Rechtlichen Vertrages steht unmittelbar bevor.“
Allerdings gab es solcherart Erklärungen auch schon im Frühjahr 2017. Was nur beweist, wie schwierig die Bewältigung der Altlasten tatsächlich ist. Zumal der Grundwasserschutz bislang im Vordergrund stand. Über den notwendigen Umfang einer Flächensanierung streiten Fachleute noch immer.
Einem Sanierungskonzept vom Juni 2001 zufolge, sollte der Bereich der stark kontaminierten Kernzone gedeckelt werden, um das weitere Einschwämmen gefährlicher Stoffe zu verhindern. Eine umfassende Auskofferung der belasteten Böden wurde hingegen verworfen, da sie logistisch wie wirtschaftlich nicht darstellbar sei. Stattdessen ist erwogen worden, schwach belastete Böden als „Landschaftsbauwerk“ aufzuschütten und es nach einer Begrünung als „begehbaren Erlebnisraum zur Erholung“ zu nutzen.
Info Rütgerswerke
1899 erwarb der Berliner Julius Rütgers das 17,2 Hektar große Areal südlich des Bahnhofs Buchholz und ließ dort ein Imprägnierwerk errichten.
50 Arbeiter beschäftigte der Geschäftsmann, die vorrangig Schwellen für die Eisenbahn und Masten für die Post herstellten.
19 Werke besaß Rütgers bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Buchholzer Fabrikverwaltung saß an der Suerhoper Straße, am Rande der heute so problematischen Kernzone.
Kommentar
Die Rütgers-Fläche ist ein Minenfeld
Wohl selten haben Naturschutz- und Umweltverbände der Bebauung einer grünen Wiese so konsequent und ausdauernd das Wort geredet wie im Fall der Rütgers-Fläche am Buchholzer Bahnhof. Zuletzt stimmten auch die Bürgerinitiative Ostring, die Buchholzer Liste und die Fraktion der Grünen ein, um eine Entwicklung der Stadt im Osten samt Entlastungsstraße zu verhindern. Schließlich sei mit einer Wohnbebauung auf der Industrie-Brache auch eine Ostumfahrung überflüssig.
Diese Argumentation ist schon deshalb hinfällig, weil eine Bebauung der Rütgers-Fläche von Beginn an nur im Kontext mit einer Entlastungsstraße im Osten diskutiert worden ist. Aus gutem Grund: Mehrere Verkehrsanalysen haben gezeigt, dass die Leistungsfähigkeit des Straßenzugs Soltauer Straße - Canteleubrücke - Hamburger Straße spätestens mit den Neubauprojekten auf dem ehemaligen Mercedes-Areal und im Canteleu-Quartier erschöpft sein würde.
Hinzu kommt, dass die Rütgers-Fläche der Stadt gar nicht gehört, sondern sich noch immer im Besitz eines privaten Unternehmens befindet.
Viel schwerer wiegt indes die weithin bekannte, hochgradige Kontamination des Terrains. Seit Mitte der 1980er-Jahre existieren Pläne, es städtebaulich zu entwickeln. Dass es nach 30 Jahren nicht einmal gelungen ist, ein verbindliches Sanierungskonzept zu vereinbaren, müsste den emsigen Befürwortern einer Bebauung zeigen, wie schwierig eine verlässliche Bewältigung der Altlasten ist. Dass ausgerechnet sich dem Natur- und Umweltschutz verpflichtet fühlende Kreise dort Familien, womöglich mit Kindern, ansiedeln wollen, ist nicht nachvollziehbar. Da drängt sich förmlich die Frage auf: Würden sie eigentlich selbst Grundstücke und Häuser auf der Rütgers-Fläche kaufen?