Harburg . Nach der Begehung der überbelegten, dreckigen Wohnungen im September im Binnenhafen ist klar: Das Problem ist nicht schnell zu lösen.
Aktionstag, Razzia, Begehung – allein durch die Benennung dessen, was Ende September in zwei Häusern der Seehafenstraße durchgeführt wurde, verschieben sich die Blickwinkel und die Interpretation des Geschehens. Da ist es klar, dass die Kommunalpolitik sich Durchblick verschaffen will.
Drei Anträge verschiedener Fraktionen lagen zur letzten Bezirksversammlung vor, die Aufklärung über die Erkenntnisse aus der Aktion forderten und die Frage stellten, welche politischen Handlungen man daraus ableiten könne, dass hunderte Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht in fragwürdigen hygienischen Verhältnissen leben und der Vermieter dafür auch noch viel Geld vom Staat erhält. Die Begehung hatte hamburgweit für Furore gesorgt.
Bei der Sitzung des Bezirksversammlungs-Hauptausschusses am Dienstagabend gab es erstmals detaillierte Antworten für die Harburger Politiker. Sie kamen von Frank Glauser, dem Leiter des Fachamtes für Verbraucherschutz und Gewerbe im Harburger Rathaus. Sein Fachamt ist auch für den Wohnraumschutz zuständig und war deshalb unter den einzelnen Institutionen des Bezirksamts federführend bei der Aktion. Die Gesamtkoordination lag allerdings bei der Hamburger Sozialbehörde.
Alternativen für die Bewohner finden
„Unser Ziel war es nicht, dort unmittelbar zu handeln, sondern Erkenntnisse zu gewinnen“, sagte Glauser. „Es waren Vertreter des Mietervereins und des Landesbetriebs Fördern und Wohnen dabei, um den Bewohnern Alternativen zu den Häusern anbieten zu können, aber nur auf freiwilliger Basis.“
Das Haus Seehafenstraße 9 sei dem Bezirksamt schon länger bekannt gewesen. Erst im April hatten Mitarbeiter des Jugendamtes dort eine große Kontrollaktion durchgeführt, da in dem Haus auch viele Kinder leben. Dabei stellten die Jugendamtsmitarbeiter eine massive Überbelegung der zimmerweise vermieteten Wohnungen fest und informierten den Wohnraumschutz. Der wiederum bereitete daraufhin die Aktion im September gemeinsam mit der Sozialbehörde vor.
Hoher Verwandtschaftsgrad unter den Bewohnern
Im Nachgang zu der Begehung waren Vorwürfe von Mietwucher und Sozialbetrug und Forderungen, die Häuser zu räumen, lautgeworden. Glauser warnte vor schnellen Schlüssen und Handlungen. „Wohnraumschutz heißt auch, bestehenden Wohnraum zu schützen“, sagte er. „Wenn ein Haus geräumt wird, müssen wir – auch von Gesetz wegen – soziale Härten vermeiden. Das heißt, wir dürfen keine Obdachlosigkeit verursachen und keine Familien trennen.“
Der Verwandtschaftsgrad unter den Bewohnern der Häuser sei hoch, sagte Glauser. Fast alle stammten aus dem selben Dorf. Für die Nähe zu ihren Familienmitgliedern seien die meisten bereit, auf Komfort und Mieterrechte zu verzichten.
162 Personen in beiden Häusern gemeldet
Das mache es auch schwierig, den Vermieter wegen der Überbelegung der Häuser zu belangen. „Der sagt aus, dass die Mieter selbst Verwandte ins Haus holen“, sagt Glauser. Dass die Häuser überbelegt seien, stehe allerdings außer Zweifel. Wenn der Staat die Miete für Bedürftige übernimmt, gehen die Ämter davon aus, dass jedem, für den gezahlt wird, mindestens 10 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stehen.
Weil in den beiden Häusern 162 Personen gemeldet sind, sei davon auszugehen, dass dieser Wert nicht erreicht wird. Wie schwierig es allerdings ist, genaue Verhältnisse zu ermitteln, machen Zahlen deutlich: Bei der Begehung wurden 142 Menschen angetroffen. Das heißt aber nicht, dass von den 162 Gemeldeten nur 20 nicht da waren, denn von den 142 Angetroffenen waren nur 108 gemeldet.
Der Vorwurf des Mietwuchers sei schwer nachzuweisen. Da Mietwucher ein Straftatbestand ist, liegen die Maßstäbe für die Beweiserhebung höher als bei einer Ordnungswidrigkeit. Von Mietwucher wird unter anderem gesprochen, wenn eine Miete mehr als 30 Prozent über dem Mietenspiegel liegt.
„Nun sind diese Häuser im Jahr 1918 gebaut worden und liegen damit in der selben Bau-Altersklasse des Mietenspiegels, wie die begehrtesten Gründerzeithäuser in Eppendorf“, sagt Glauser, „und damit ist die Vergleichsmiete schon relativ hoch. Dazu kommt, dass der Mietenspiegel Vergleichsmieten nur für ganze Wohnungen angibt. Die Häuser hier sind aber zimmerweise vermietet.“
Der Vorwurf der Kindeswohlgefährdung durch die Wohnverhältnisse ließ sich laut Glauser nicht belegen. Der juristische Begriff Kindeswohlgefährdung setze Umstände voraus, die es rechtfertigen würden, Kinder von ihren Familien zu trennen. „Das ist hier nicht der Fall“, sagte Glauser. „Die Kinder gehen zur Schule, sind gekleidet und hungern nicht. Die Familien kümmern sich. In einigen wenigen Fällen könnten die hygienischen Verhältnisse im Haus Kindern schaden, aber an dem Problem wird gearbeitet.“
Das hintere Gebäude ist zum Wohnen nicht zugelassen
Völlig untätig bleiben die Behörden aber nicht: Das hintere Gebäude des Hauses Seehafenstraße 7 ist ein Gewerbebau und zum Wohnen nicht zugelassen. Bis März soll es entmietet sein. „Wir suchen derzeit nach Wohnalternativen für die Betroffenen“, sagt Glauser.
Es sei allerdings gut möglich, dass danach wieder Menschen ins Hinterhaus zögen, so Glauser, denn gewerbliche Nutzung schließt auch gewerbliche Zimmervermietung, zum Beispiel an Monteure, ein.
Den Ungezieferbefall lässt der Vermieter inzwischen bekämpfen. Jedenfalls legte er dem Bezirksamt einen Vertrag mit einem Schädlingsbekämpfer vor. Auch habe der Vermieter mittlerweile genügend Mülltonnen bei der Stadtreinigung bestellt, so Glauser. Alle 14 Tage würden Mitarbeiter des Bezirksamts derzeit und in der näheren Zukunft Kontrollbesuche in der Seehafenstraße machen.
Die Häuser
Die Häuser Seehafenstraße 7 und 9 stehen seit Jahren unter behördlichen Beobachtung. Für die meisten der kleinen Wohnungen gibt es lediglich Gemeinschaftstoiletten und -küchen. Dass hier sogenannte Elendsvermietung stattfindet, ist seit langem ein offenes Geheimnis. Für die einzeln vermieteten Zimmer und Wohnungen zahlen fast ausnahmslos Jobcenter oder Sozialbehörde.