Harburg/Rosengarten. Behördenbericht: In Harburg Stadt und Land gibt es viel zu wenig Hebammen. Die Folgen sind teils dramatisch.
Kaum etwas stellt das Leben so sehr auf den Kopf wie die Geburt eines Kindes. Wird eine Frau Mutter, ist das für sie eine besondere Herausforderung, körperlich und emotional. Die Unterstützung einer Hebamme während Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit ist deshalb besonders wichtig. Laut Sozialgesetzbuch hat jede Versicherte Anspruch auf eine entsprechende Begleitung nach der Geburt. Das Problem ist nur: Es gibt viel zu wenig Hebammen. Sowohl im Bezirk Harburg als auch im Landkreis.
Aus einem Bericht der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV), der auf einer Befragung Hamburger Hebammen basiert, geht hervor, dass es unter anderem in Harburg besonders schlimm ist: „Auf regionaler Ebene sind auf den ersten Blick jeweils mehrere zusammenhängende Regionen identifizierbar, die sich durch einen hohen Anteil von Müttern auszeichnen, die nachgeburtlich nicht durch die befragten Hebammen betreut wurden.“
Dann wird aufgelistet: „…die südlich liegenden Stadtteile Heimfeld, Harburg, Eißendorf mit ca. 2000 Geburten/Jahr, ca 80 Prozent Frauen ohne nachgeburtliche Betreuung, überwiegend in schlechteren sozialen Lagen.“
„Noch nie war es so schlimm wie heute“
Sigrid Peek arbeitet seit 32 Jahren als Hebamme, betreibt eine entsprechende Praxis in Rosengarten und sagt, die Situation habe sich in den vergangenen Jahren zugespitzt: „Aber noch nie war es so schlimm wie heute.“ Ein Drittel der Frauen, die in ihrer Praxis anrufen auf der Suche nach einer Hebamme, müsse sie mittlerweile abweisen: „Dabei melden sie sich schon in der 6. oder 7. Schwangerschaftswoche.“
Die Verzweiflung dieser Frauen ist oft groß. Eine Situation, die auch an Hebamme Sigrid Peek nicht spurlos vorübergeht: „Es ist schon erschütternd und tut unglaublich weh, Nein sagen zu müssen.“ Aber es sei eben auch immens wichtig, sich nicht selbst zu überfordern. Schließlich bedeute die Begleitung einer Schwangeren bzw. frischgebackenen Mutter ein hohes Maß an Verantwortung: „Da ist es wichtig, dass wir uns nicht selbst überfordern.“
Ihre Kollegin Ricarda Sitan teilt diese Einschätzung. 2008 gründete sie mit anderen das Harburger Geburtshaus Elbhebammen. 50 Geburten gab es dort im vergangenen Jahr. Schon jetzt seien sie bis Ende Oktober ausgebucht: „Wir haben jeden Monat mindestens drei Frauen auf unserer Warteliste.“
Es schwingt Bitterkeit mit, wenn sie die Situation von Schwangeren beschreibt: „Kaum wissen sie, dass sie schwanger sind, müssen sie sich tunlichst zu allererst eine Hebamme suchen, dann für einen Kitaplatz anmelden, und erst danach können sie ihren Partner informieren.“ Warum der Mangel an Hebammen inzwischen so groß ist, liegt für sie auf der Hand und lässt sich auf diese Formel bringen: Große Verantwortung, hohe finanzielle Belastung durch Versicherungsbeiträge und Mieten, geringer Verdienst.
Stundenlöhne von 7,50 Euro keine Seltenheit
So wird beispielsweise pro Hausbesuch abgerechnet, unabhängig davon, wie lange ein solcher Besuch ist. Der Deutsche Hebammenverband hat einmal ausgerechnet, dass Stundenlöhne von durchschnittlich 7,50 Euro für freiberufliche Hebammen keine Seltenheit sind. Die Leidtragenden sind nicht nur sie, sondern eben auch Frauen, die ein Kind erwarten: „Die werden im Regen stehengelassen“, sagt Ricarda Sitan.
In ihrer Not wenden sie sich zum Beispiel vermehrt an den Margaretenhort, die gemeinnützige Gesellschaft, die eines von drei sogenannten Familienteams, bestehend aus Familienhebammen und/oder Kinderkrankenschwestern beschäftigt, die es im Bezirk Harburg gibt. Das Team vom Margaretenhort fällt in die Zuständigkeit der Bereichsleiterin Michaela Ernster. Sie bestätigt, dass die Zahl der Schwangeren, die verzweifelt, aber erfolglos nach einer Hebamme suchen, steigt.
Das sei vor allem deshalb so schlimm, weil es in Harburg immer mehr Familien gebe, die erst seit kurzem hier lebten und noch über keinerlei soziales Netzwerk verfügten. Und für die zunehmende Zahl von Alleinerziehenden. Am meisten Sorgen bereiteten ihr die Frauen, die gar nicht mehr das Bedürfnis hätten, sich überhaupt nach einer Hebamme umzusehen. Die Folgen, sagt Ernster, seien noch gar nicht absehbar.
Wenn immer mehr Mütter beispielsweise nach der Geburt keine Rückbildungskurse besuchten, könne das später gesundheitliche Folgen haben, die dann natürlich auch die Kosten des Gesundheitssystems hochtreiben. Natürlich gibt es von Seiten des Bezirks Bemühungen, den Notstand abzufedern.
Dreimal pro Woche sind Mitarbeiterinnen der Mütterberatungsstellen in der Funktion der Babylotsen in der Geburtsstation der Helios Klinik Mariahilf unterwegs, gehen dann von Bett zu Bett. Auf ihre Frage, ob sie denn von einer Hebamme betreut werden, antwortet etwa die Hälfte der jungen Mütter mit Nein, heißt es in einer Erklärung des Bezirks.
„Familien bleiben sich selbst überlassen“
Susanne Lohmann, 2. Vorsitzende des Hebammen Verbandes Hamburg, spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung: „Die Familien bleiben zunehmend sich selbst überlassen.“ Dass das gerade in Harburg besonders schlimm ist, hat nach ihrer Einschätzung, oft einen simplen Grund: „Die Hebammen arbeiten da, wo sie wohnen.“
In ihrem Fall ist das Winterhude. Lohmann erzählt, sie habe tatsächlich vor einiger Zeit überlegt, eine Praxis in Harburg zu eröffnen, dann aber doch Abstand von dem Plan genommen: „Das hätte dann eben auch bedeutet, dass ich mich im Bedarfsfall auch nachts oder an den Wochenende von Winterhude aus auf den Weg hätte machen müssen.“ Vor dem Hintergrund, dass ohnehin schon Schwangere bei ihr Schlange stehen, war das keine verlockende Perspektive.
Alles in allem eine Situation, die so nicht bleiben kann, finden jedenfalls die Grünen im Bezirk. Mit einem entsprechenden Antrag wollen sie erreichen, dass sich die Bezirksversammlung mit dem Thema beschäftigt. Geklärt werden soll die Frage: „Wie kann die Hebammenhilfe im Wochenbett von Müttern im Bezirk Harburg gesichert werden?“