Hebamme Heike Oehrle begleitet seit 35 Jahren werdende Eltern und deren Neugeborene in der Helios Mariahilf Klinik

Wenn sie im Krankenhaus ihren Dienst antritt, kann ihr niemand sagen, was in den nächsten Stunden passieren wird. Weil sie mit Menschen arbeitet, die eine ganz besondere Situation erleben, für die es keinen Zeitplan gibt. Manchmal passiert eine Schicht lang nichts. Ganz plötzlich aber kann Heike Oehrle auf Knopfdruck gefordert sein. Dann, wenn ein Kind auf die Welt kommt, muss sie für die Menschen da sein, die sie brauchen.

Und sie ist da. Seit 35 Jahren gehört die heute 58-Jährige zum Team der Hebammen im Krankenhaus Mariahilf. Rund 2500 Geburten hat sie in ihrer beruflichen Laufbahn im Kreißsaal betreut. Sie hat Zwillinge und Drillinge auf die Welt geholt, Geburten begleitet, die noch zu Ende waren, bevor der Kreißsaal überhaupt erreicht war. Und Mütter betreut, deren Wehen sich über Tage zogen. Sie hat viel gesehen und erlebt. Und sagt trotz allem: „Es ist jedesmal ein kleines Wunder, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Jede Geburt ist eine neue Herausforderung.“

Die erste Geburt, an die sich Heike Oehrle erinnern kann, ist die ihrer Schwester. „Ich war damals acht Jahre alt. Es war eine Hausgeburt so wie ich auch. Damals habe ich davon geträumt, Säuglingsschwester zu werden“, sagt sie. Nach dem Realschulabschluss in Lünen in Nordrhein-Westfalen macht sie eine Ausbildung zur Arzthelferin in einer gynäkologischen Praxis. Die Arbeit macht ihr Spaß. Vor allem dann, wenn Schwangere zur Vorsorge in die Praxis kommen. Also sucht sie sich einen Ausbildungsplatz zur Hebamme. Nach drei Monaten darf sie das erste Mal mit in den Kreißsaal.

Während andere der jungen Kolleginnen das Handtuch werfen, weil sie der Extremsituation während einer Geburt nicht gewachsen sind, spürt Heike Oehrle mit jeder neuen Erfahrung, dass dieser Beruf genau der richtige für sie ist. Sie unterschreibt einen Arbeitsvertrag an der Elisabethklinik in Herten. Als ihr Mann eine Anstellung in Hamburg bekommt, bewirbt sie sich am Mariahilf. Kurze Zeit später gehört sie zum Team.

Damals, Anfang der Achtziger Jahre, sind es sechs Kolleginnen, heute arbeiten im Mariahilf 28 Hebammen, überwiegend in Teilzeit. Und noch viel mehr hat sich seitdem an der Klinik verändert. „Als ich anfing, war der Kreißsaal in der Meyerschen Villa untergebracht“, erzählt Heike Oehrle. „Die Babys wurden nach der Geburt von den Müttern getrennt und im Säuglingszimmer betreut. Und auf jeder Station gab es Nonnen.“

Heute liegen Kreißsaal, OP und Neonatologie direkt miteinander verbunden auf einer Etage des im Mai 2015 eröffneten Neubaus. Mutter und Kind bleiben zusammen. „Unmittelbar nach der Geburt legen wir das Neugeborene auf die Brust der Mutter“, sagt Heike Oehrle. Dieses sogenannte Bonding sei enorm wichtig für die Bindung zwischen Mutter und Kind. Anschließend kommen beide auf die Wochenbettstation, ins „Storchennest“.

Manchmal kommt es vor, dass Hebamme Heike Oehrle den neuen Erdenbürger auch auf Station besucht. Oder Mutter und Kind kommen ein paar Wochen später zu einem ihrer Baby-Shiatsu-Kurse, die sie in den Räumen der Meyerschen Villa anbietet. Viele Frauen, die später im Mariahilf entbinden, kennt Heike Oherle, die neben ihrer Teilzeitanstellung im Mariahilf auch als freiberufliche Hebamme unterwegs ist, bereits aus von der geburtsvorbereitenden Akupunktur. Ebenso viele begleitet sie anschließend im Wochenbett zuhause.

Ruhe, Gelassenheit und Vertrauen auszustrahlen, ist ihr oberstes Ziel. Sich Zeit zu nehmen für die Mütter und ihre Babys. Auch wenn die Kasse nur zwischen 20 und 30 Minuten je Hausbesuch bezahlt, bleibt sie solange, wie sie gebraucht wird. Sie tröstet und hört zu, freut sich über die Fortschritte, die ein Kind macht, badet mit den jungen Müttern das Baby, gibt Unterstützung beim Stillen und berät bei Krankheiten oder der ersten Beikostmahlzeit des Kindes.

„Als ich meinen ersten Sohn bekam, war ich auch in vielen Dingen unsicher“, sagt sie. Man müsse das alles selbst erstmal erlebt haben, damit man weiß, worum es gehe. Die eigenen Erfahrungen hätten sicherlich geholfen, Mütter noch besser zu verstehen.

Auch wenn die Arbeit manchmal noch so anstrengend ist, die Nachtdienste ihr zu schaffen machen, sie Ostern, Weihnachten, Silvester wechselnd im Kreißsaal verbringt, hat Heike Oehrle nie daran gezweifelt, das richtige zu tun. Auch nicht in jenen Momenten, über die sie eigentlich nicht sprechen möchte, weil sie voller Trauer sind. Doch auch das muss eine Hebamme aushalten: Wenn ein Kind tot geboren wird oder bei der Entbindung stirbt. Sie macht dann vom Fuß des Säuglings einen Abdruck, ein Foto zur Erinnerung. Und sie versucht zu trösten und stark zu sein, obwohl sie selbst den Tränen nah ist.

„Doch zum Glück sind das die Ausnahmen“, sagt sie, die weitermachen möchte, mindestens noch fünf Jahre. Schließlich werde sie jetzt ganz besonders gebraucht, da ist sie sich sicher. Seit Jahresbeginn ist das Helios Mariahilf die einzige Geburtsklinik im Hamburger Süden. Rund 2000 Geburten werden für 2017 erwartet. 2000 Mal Frauen in Ausnahmesituationen. Heike Oehrle freut sich darauf.