In unserer Stadtteil-Serie beschreiben Menschen ihr Wohnquartier. Heute in Teil 8, sagt Thomas Schulz: „Ich bin Wilstorfer!“
Ich liebe meinen Stadtteil, weil er so ungeheuer grün ist“, sagt Thomas Schulz. Der 35-Jährige lebt seit 2001 in Wilstorf und möchte für immer bleiben. Hier wohnt er, hier verbringt er seine Freizeit und einen Großteil seines Urlaubs. Genau genommen hat er nämlich zwei Wilstorfer Domizile: Seine Wohnung am Hanhoopsfeld und seinen Kleingarten nahe des Außenmühlenteichs. Eine ideale Kombination, findet der gebürtige Wilhelmsburger.
Wie seine Frau Mandy hat er schon während seiner Kindheit viel Zeit im Schrebergarten verbracht. Er in Georgswerder, sie bei Potsdam. Als die beiden einander kennen und lieben lernten, wohnte die Schwesternschülerin in der „Putenranch“.
So nannte der Volksmund das Schwesternwohnheim des damaligen Allgemeinen Krankenhauses Harburg, weil dort fast ausschließlich junge Frauen lebten. Thomas war gewissermaßen der Hahn im Korb, als er zu Mandy in deren 25-Quadratmeter-Wohnung zog.
Als sich Nachwuchs ankündigte, suchte das Paar eine größere Bleibe. Und wurde durch puren Zufall am Hanhoopsfeld fündig, wo es eine staatliche Kita mit langen Öffnungszeiten gibt. 79 Quadratmeter mit großem Balkon im Acht-Etagen-Haus. Für die dreiköpfige Familie ist die Wohnung bis heute ein Traum.
„Ich kann aus dem Fenster das Feuerwerk über dem Hamburger Dom sehen. Wenn die ‚Queen Mary’ in den Hafen einläuft, kann ich den Schriftzug am Bug erkennen“, schwärmt Thomas Schulz von der Aussicht aus dem sechsten Stock. Er mag die großzügigen Grünanlagen rund um „sein“ Haus und erfreut sich am Blick auf Gärten und Dächer.
Aus der Vogelperspektive gleicht die Szenerie einem grün-rot-schwarzen Puzzles. Gerade Linien bilden darin die Wohnblocks an der Winsener Straße und am Reeseberg. Die Bauten wurden einst für die Angestellten der Gummifabrik Phoenix und der Jute-Spinnerei an der Nöldekestraße errichtet.
Die rasch expandierende Harburger Industrie kam nicht ohne fremde Arbeitskräfte aus. Viele der Neubürger waren Katholiken aus dem Rheinland, aus Polen und aus Österreich-Ungarn. St.-Franz-Joseph, 1913 erbaut, erinnert mit neobarockem Stil an Gotteshäuser in Böhmen und Österreich.
Die Arbeiterquartiere entstanden auf bäuerlichen Anwesen. An Wilstorfs dörfliche Vergangenheit erinnern noch zwei Strohdachhäuser an der Ecke Winsener Straße/Rönneburger Straße. Auch die Bugenhagen-Gemeinde ist in einem Bauernhaus untergebracht. Heute lebt ein Großteil der Wilstorfer in mehrgeschossigen Mietshäusern.
Hanhoopsfeld wurde als letzte Wilstorfer Siedlung zwischen 1960 und 1965 auf der „grünen Wiese“ errichtet. Das Ensemble kubischer Hochhäuser, langgestreckter Flachdach-Blocks und Reihenhäuser wirkt mancherorts sehr adrett, anderswo etwas herunter gekommen. Auch das Einkaufszentrum hat schon bessere Tage gesehen.
Trotzdem wohnt Thomas Schulz sehr gern hier. Dass etwa ein Viertel seiner Nachbarn Migranten aus aller Herren Länder sind, stört ihn nicht. „Die Atmosphäre im Haus ist gut und auf der Straße gibt es keinerlei Probleme.“
Das empfänden auch seine Frau und sein inzwischen 13 Jahre alter Sohn so. Allen gefällt besonders die gute Infrastruktur. „Wir haben alles gewissermaßen vor der Haustür: Bushaltestelle, Eisdiele, Bank, Apotheke, Supermärkte, Dönerbude, Ärzte.“ Sogar ein Veterinär ist gleich gegenüber, sodass das Haustier der Familie Schulz im Krankheitsfall schnell versorgt ist.
Wie seine Besitzer genießt Kaninchen „Marga“ die regelmäßigen Ausflüge zur Datsche. Dort darf sie nämlich dazu beitragen, den Rasen kurz zu halten. Da hat sie viel dran zu knabbern. Etwa auf einem Drittel der 540 Quadratmeter großen Parzelle unter den großen Eichen wächst Gras, ganz wie es die Ordnung des Kleingartenvereins verlangt.
Ein Drittel nehmen Wege und Hütte ein, ein Drittel der Fläche ist Gartenbau vorbehalten. Um die Gemüsebeete kümmert sich hauptsächlich Mandy. Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Tomaten, Gurken, Möhren und Bohnen – die Pflanzen reihen sich akkurat wie Soldaten beim Appell, ohne ein einziges Unkrautbüschel dazwischen.
Thomas, der Maschinenbaumechaniker, ist mehr fürs Grobe zuständig. Er hat die vermoderte Hütte des Vorbesitzers komplett renoviert und eine Terrasse angelegt. Sein liebster Ruheplatz ist aber die Hängematte unter riesigen Stechpalmen.
Seit März engagiert er sich als Erster Vorsitzender des Gartenbauvereins Wilstorf. Sein Vorgänger war 31 Jahre im Amt. Thomas Schulz kann sich vorstellen, das Ehrenamt genauso lange zu bekleiden, obwohl es mit viel Arbeit verbunden ist.
„Allein all die Besichtigungstermine, wenn Parzellen den Besitzer wechseln“, seufzt er. Zurzeit sind zwei Gärten frei. Die Liste der Bewerber ist lang: Senioren, die nach dem Berufsleben eine neue Aufgabe suchen, junge Familien, die ihrem Nachwuchs ein Plätzchen im Grünen bieten möchten.
Der Verein hat einen eigenen Spielplatz und veranstaltet alljährlich Kinderfeste. Die Gemeinschaft harmoniere gut, sagt Schulz. Am Wochenende treffe man sich im Vereinshaus. „Nur die Migranten halten sich etwas zurück.“ Etwa ein Viertel der Schreber haben ausländische Wurzeln.
Was alle vereint, ist die Liebe zum Stadtpark. Geordnet, aber nicht immer und überall gepflegt. Das 90 Hektar große Areal, angelegt zwischen 1913 und 1926, hat insgesamt 16 Kilometer Wege. Spaziergänger und Jogger nutzen zumeist die am Ufer des Außenmühlenteichs und genießen den Blick auf Schwäne und Seerosen.
Abseits dieser Rundroute um die „Alster des Südens“, wie die Wilstorfer den aufgestauten Engelbek stolz nennen, herrscht verwunschene Idylle. Umrahmt von hohen Bäumen liegt auch der Wasserspielplatz, bis vor einigen Jahren bevorzugtes Ziel der Familie Schulz. Jetzt ist der Junge ein Teenager und zieht vom Garten aus allein los.
Holt Pommes frites vom Kiosk am Tretbootverleih, geht baden im „Midsommerland“ oder, wenn der See zugefroren ist, zum Eislaufen. Bald wird er vielleicht die Tanzschule Hädrich besuchen, seit Jahrzehnten eine Wilstorfer Institution.
Binnen 13 Minuten ist Schulz mit dem Auto an seinem Arbeitsplatz
Regelmäßig verlässt Schulz Junior „seinen“ Stadtteil nur für die Schule. Denn während Grundschüler zum Kapellenweg gehen und Gymnasiasten auf Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, vermissen Haupt- und Realschüler in Wilstorf ein Angebot. Denn die Schule Hanhoopsfeld wird geschlossen.
„Zum Glück liegt die Bushaltestelle ja bei uns praktisch vor der Haustür, so kommt mein Sohn recht schnell nach Harburg“, sagt Thomas Schulz. Er selbst schätzt die verkehrsgünstige Lage ebenfalls. „Binnen 13 Minuten bin ich mit dem Auto am Arbeitsplatz in Moorburg.“
Theoretisch könnte er auch den Bus nehmen. Das wäre billiger. Aber die Fahrt würde dreimal so lange dauern. Ihm bliebe dann weniger Zeit für seine grüne Oase. Thomas Schulz schüttelt den Kopf. Undenkbar! Er genießt jede Minute in Wilstorf.