Langenbek. . In unserer Serie beschreiben Menschen ihr Wohnquartier, erzählen, warum sie es mögen. Heute, in Teil 7, sagt Sabine Brauel-Lewerenz: „Ich bin Langenbekerin, weil...“
Der Wind bewegt sacht die lang herabhängenden Zweige alter Lärchen, ein riesiger Walnussbaum spendet Schatten. Den Weg zum Haus überspannt ein Rosenbügel. Eine weiße Freitreppe führt zum dunklen Backsteinbau mit hohem Ziegeldach und auffällig geformter Gaube. Das Anwesen von Sabine Brauel-Lewerenz verbreitet einen Hauch von Noblesse und Nostalgie.
Rechts davon schließt der Parkplatz eines Discounters an. Links eine große Kreuzung mit Ampeln. Großflächige Werbung deutet auf ein Autohaus und einen Supermarkt hin, die unmittelbar hinter dem Brauelschen Grundstück liegen.
Der Garten wirkt wie eine grüne Insel im Meer von Asphalt und Pflaster. Eine Oase der Ruhe ist er aber keineswegs. Denn vor der hohen Buchenhecke verläuft eine der am stärksten befahrenen Straßen Harburgs.
Die Winsener Straße ist die einzige Hauptverkehrsstraße des Stadtteils Langenbek. Hier lebt Sabine Brauel-Lewerenz seit ihrer Geburt. Hier hängt ihr Herz. „Das ist immer noch ein Stück heile Welt“, findet die 49-Jährige. In Langenbek wohnen hauptsächlich Familien mit Kindern, die meisten in Reihen- und Mehrfamilienhäusern.
Die Wege sind kurz. Sabine Brauel-Lewerenz erreicht ihre Ziele oft zu Fuß oder mit dem Rad. Ganz besonders liebt sie den Pfad am Ufer vom „langen Bach“, der einst dem Dorf den Namen gab. Mit Walkingstöcken ausgerüstet folgt sie dem heute Engelbek genannten Flüsschen und umrundet den Außenmühlenteich binnen 50 Minuten.
Am Ufer der Engelbek, dem Brauelschen Haus direkt gegenüber, liegt die Keimzelle Langenbeks, der Hof der Familie Riege. „Meine Großmutter Mary Brauel war eine geborene Riege und bekam dieses Grundstück von ihren Eltern geschenkt.
Mein Großvater, ein Hoch- und Tiefbauingenieur mit künstlerischen Ambitionen, hat für sich und seine Familie das repräsentative Gebäude aus Bockholmer Klinker gebaut. Pompös mit Freitreppe, aber nicht sehr funktional. Wir haben ordentlich umbauen müssen.“
Als die Villa 1928 errichtet wurde, war sie auf dieser Seite der Winsener Straße bis Wilstorf hin das einzige Haus. Erst, als die Familie Riege die Landwirtschaft nach und nach aufgab, entstanden große Wohngebiete nördlich und südlich des Brauelschen Anwesens.
„1953 ging es mit dem ersten Bauabschnitt der Reihenaussiedlungen los, kurz darauf folgte der zweite Abschnitt entlang der Winsener Straße und in den 60ern wurde am Rönneburger Kirchweg gebaut. Das Langenbeker Feld kam dann in den späten 80ern dazu“, erzählt Sabines Mutter Traudel Brauel, die seit Mitte der 50er Jahre auf dem Familiensitz lebt.
Die heute 83-Jährige erinnert sich gern an die goldene Zeit des Wirtschaftswunders. Das von ihrem verstorbenen Mann Hans-Joachim Brauel geführte Familienunternehmen - Sägewerk, Holzhandel und Zimmerei - florierte bestens. Auch deshalb, weil die Firma die Dachstühle der Neubauten errichtete, die in der Nachbarschaft entstanden.
Der Zimmerermeister beschäftigte damals bis zu 35 Angestellte. Auch Blockhäuser waren im Angebot. Dort, wo heute die Gordonstraße verläuft, standen voll eingerichtete Musterhäuser. Manche Kunden erwarben die Möbel gleich mit.
„Ich habe als Kind manchmal darin geschlafen. Das war romantisch“, berichtet Sabine Brauel-Lewerenz mit leuchtenden Augen. In einer dieser massiven Holzhütten wurde 1972 der Tennisclub Langenbek gegründet.
Sabines Eltern gehörten zu den Initiatoren und die damals Sechsjährige begann ebenfalls mit dem Training. Während die Mutter sich im hohen Alter nunmehr dem Golfsport widmet, spielt die Tochter bis heute im TC Langenbek. Ihre Mannschaft ist amtierender Hamburger Meister.
Der Tennisclub ist nach wie vor lebendig und erfolgreich. Der Schützenverein, in dem Hans-Joachim Brauel einst aktiv war, wurde dagegen vor einigen Jahren aus Nachwuchsmangel aufgelöst. „Ich erinnere mich noch gut an die Langenbeker Vogelschießen.
Als Tambourmajor des Spielmannszugs führte mein Vater die Festumzüge an. Dafür wurde sogar die Winsener Straße gesperrt und in den Gärten der Siedlungsstraßen entzündeten die Leute zur Begrüßung der Schützen Bengalische Feuer“, berichtet Sabine Brauel-Lewerenz.
„Wir haben intensiv gefeiert, damals gab es noch den ‚Celler Hof‘ mit großem Tanzsaal. Heute ist im Saal ein Kindergarten untergebracht. Die ‚Sinstorfer Kinderstube‘. Die Betreiber wissen offenbar gar nicht, dass das hier Langenbek ist. So geht es vielen“, ergänzt Traudel Brauel.
Langenbek ist einer der kleinsten Stadtteile Hamburgs und wird kaum wahrgenommen. Es gibt ja auch nur wenige bemerkenswerte Einrichtungen. Die Schule Scheeßeler Kehre, die die Langenbeker Grundschüler besuchen, befindet sich auf Sinstorfer Boden, genau wie der Neue Langenbeker Friedhof.
Öffentliche Aufmerksamkeit hat einzig das Hospiz am Blättnerring auf sich gezogen. Und das in negativer Weise, wie Mutter und Tochter Brauel finden. „Für die Proteste dagegen haben wir uns als Langenbeker richtig geschämt. Sterben gehört doch zum Leben.“
Dass Veränderungen im Lebensumfeld nicht zu verhindern sind, weiß Sabine Brauel-Lewerenz als Anwohnerin der Winsener Straße nur zu gut. Der Verkehr hat enorm zugenommen. Busse verkehren im Minuten-Takt. Die Schlange der Pkw nimmt kein Ende. Immer häufiger donnern Lastwagen vorbei. „Die möchten Maut sparen“, vermutet Sabine Brauel-Lewerenz.
„Als ich Kind war, fuhren hier höchstens mal ein paar Käfer.“ Der Ausbau der bis dahin kopfsteingepflasterten Winsener Straße begann Anfang der 70er Jahre. „Wir haben noch einen Schulaufsatz, den eine der Riege-Töchter über die Geschichte Langenbeks geschrieben hat“, sagt Traudel Brauel.
Darin ist zu lesen, dass mit dem Ausbau die Begradigung einer „scharfen S-Kurve“ einherging und alle, deren Gärten an die Winsener Straße stießen, Land verkaufen mussten. Das größte Stück hatte der Hof von Riege abzugeben – 4700 Quadratmeter. Nach Ende der Arbeiten verlief die Winsener Straße nicht nur gerader, sondern bis zur südlichen Grenze Langenbeks am Rönneburger Kirchweg dreispurig. Und sie hatte erstmals beidseitig Fuß- und Radwege, vermerkte die Schülerin 1974.
Die Erinnerung der damals achtjährigen Sabine Brauel ist geprägt von Vogelgezwitscher im Garten und in den Feldern. Sie sieht sich auf den Äckern der Rieges Kartoffeln sammeln, auf Stoppelfeldern Drachen steigen lassen und ist im Winter mit dem Schlitten vom Hünengrab vom Riegenholz bis ins Tal rodeln.
Solche Freiheit genießen die Siedlungs-Kinder heute zwar nicht mehr. Aber neben dem hochstämmigen Buchenwald gibt es immerhin einen großen Spielplatz. Sabine Brauel-Lewerenz, die häufig bis zum Hünengrab im Wald spazieren geht, gefällt das. „Hier können Kinder noch weitgehend naturnah und gefahrlos aufwachsen“, meint die Mutter dreier fast erwachsener Töchter.
Die „Kleine Wundertüte“ floriertseit nunmehr 18 Jahren
Schon als der Nachwuchs noch klein war, wurde sie wieder berufstätig. Ermöglicht hat das letztlich ihr Vater, indem er für sie einen Wintergarten an die Villa anbaute. Darin richtete sie einen Laden ein. Anfangs gab es Zweifel, ob ein Modegeschäft in einem Privathaus von den Kunden angenommen würde.
Doch die „Kleine Wundertüte“ floriert, seit nunmehr 18 Jahren. Das Geschäftsmodell konzentriert sich auf ausgesuchte Damen-Mode dänischer, italienischer und holländischer Hersteller. Sabine Brauel-Lewerenz hat inzwischen eine Filiale in Stelle eröffnet.
„Läden mit Qualitätswaren fehlen eben, nicht nur in Langenbek“, weiß die Unternehmerin. Freilich sei dank der guten Verkehrsanbindung der Weg nach Harburg oder über die Reichsstraße in die Hamburger City kurz. Ein Pluspunkt, den sie zu schätzen weiß. Trotzdem trauert sie den Tante-Emma-Läden nach, deren Besitzer sie als Kind gut kannte.
„Früher gab es am Jesteburger Weg den Edekamarkt Hilbert, der klein war, aber trotzdem alle Bedürfnisse erfüllte. Und wo heute das Sonnenstudio ist, war der Gemüseladen Esselmann. Dort konnte man abends bestellen und fand die frischen Waren frühmorgens vor der eigenen Haustür. Zu Weihnachten sogar den Tannenbaum. Das hatte was!“