BV-Chef Manfred Schulz fordert Rehabilitation. Die Fraktionschefs von SPD und CDU halten seine Abstimmungsaufforderung noch immer für falsch. Für die GroKo hätte sie mit einer Niederlage geendet.
Harburg. Das Tohuwabohu bei der jüngsten Sitzung der Bezirksversammlung am 24. Februar hat ein parlamentarisches Nachspiel. Der BV-Vorsitzende Manfred Schulz (SPD) will bei der nächsten Zusammenkunft der Geschäftsordnungskommission am kommenden Freitag geklärt wissen, ob er sich weiter gravierende Regelverstöße vorwerfen lassen müsse oder er sich „rechtlich einwandfrei verhalten“ habe, wie er selbst sagt.
Rückblende. Eine Bürgerin wollte während der Debatte zur Forderung der Linken nach mehr Sozialwohnungen im neuen Süderelbe-Quartier Fischbeker Heidbrook eine Frage stellen und hatte damit für erhebliche Aufregung gesorgt.
Weil Schulz die Abgeordneten nämlich darüber abstimmen lassen wollte, ob sie die Zwischenfrage aus dem Zuschauerbereich zulassen. Vehementer Einspruch war von SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath, gekommen. Gleich mehrfach hatte er dem Präsidium zugerufen dieses Vorgehen sei mit der Geschäftsordnung unvereinbar.
CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer argumentierte zwar nicht mit dem Regelwerk der BV, stellte aber laut und vernehmlich die Frage, ob man das nun fortan immer so machen wolle.
Weil auch Schulz erster Stellvertreter, Robert Timmann (CDU), auf die Geschäftsordnung verwies und ihm immer wieder zuraunte, „das geht so nicht, das geht so nicht“, brach der BV-Vorsitzende die Abstimmung verunsichert kurzerhand ab und beschied den Fragewunsch der Bürgerin abschlägig.
Der Vorgang hatte Schulz aber keine Ruhe gelassen. Zumal Heimath auch im Nachgang der Sitzung keinen Hehl daraus machte, dass er mit dem Agieren seines Parteifreundes im Präsidium ganz und gar nicht einverstanden war. Und sich Schulz dafür noch Tage später immer wieder rechtfertigen musste.
„Ich habe mir daraufhin die Geschäftsordnung noch einmal genau angesehen“, sagte Schulz dem Abendblatt: „Ich habe keinen Passus gefunden, der es verbietet, während der Debatte eine Bürgerfrage zuzulassen. Genau genommen, ist das in der Geschäftsordnung überhaupt nicht geregelt.“
Deshalb studierte Schulz auch noch mal das Bezirksverwaltungsgesetz. Dort wurde er schließlich in Paragraf 14, Absatz 3 fündig. Dort heißt es, Zitat: „Die Bezirksversammlung und ihre Ausschüsse können den Einwohnerinnen und Einwohnern in ihren öffentlichen Sitzungen Gelegenheit geben, an die Mitglieder Fragen zum Gegenstand der Beratungen zu stellen.“
Das hat SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath auch nicht generell in Abrede gestellt. Aber darauf verwiesen, dass es dafür schließlich die „Öffentliche Fragestunde" am Anfang jeder Sitzung gebe. „Wenn wir jetzt Bürgerfragen auch noch während der Debatte zulassen, dauern BV-Sitzungen künftig doppelt so lange, das kann niemand wollen“, so Heimath.
Dierk Trispel, Rechtsdezernent des Bezirksamtes, mochte sich zu dem Vorgang mit dem Hinweis auf „das Selbstbestimmungsrecht der Bezirksversammlung“ öffentlich nicht äußern: „Das ist Sache der Abgeordneten und der Geschäftsordnungskommission.“ Festhalten könne man indes, dass die bisherige Praxis in dieser Frage „eine andere“ gewesen sei.
CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer, von Beruf Jurist, geht von einer falschen Interpretation der Rechtslage durch den BV-Vorsitzenden aus. „Der Paragraf 14, Absatz 3 des Bezirksverwaltungsgesetzes stellt zwar rechtlich gesehen eine Ermächtigung dar, Bürgerfragen zuzulassen.
Die Geschäftsordnung präzisiert aber in Paragraf 8, dass dies in der Bürgerfragestunde zu erfolgen hat. Insofern sollte nicht willkürlich und nach Gutdünken entschieden werden, ob man Bürgerfragen auch während der Debatte zulässt“, argumentiert Fischer.
Anders stelle sich die Situation in den Ausschüssen dar. Hier könnten Bürger auch während der Sitzung Fragen stellen. Darauf hätten sich alle Fraktionen verständigt. Und das habe der Rechtsdezernent in seiner Schulung für alle Ausschussvorsitzenden auch detailliert dargestellt.
Nach Ansicht von Manfred Schulz steht das Bezirksverwaltungsgesetz über der Geschäftsordnung und sie könne es deshalb auch „nicht aushebeln“. Unabhängig davon muss die Große Koalition aber froh sein, dass der BV-Vorsitzende seine Interpretation der Paragrafen nicht konsequent durchgezogen hat.
Nach eigenem Bekunden hatte Schulz im Lager der SPD neun Abgeordnete gezählt, die dafür gestimmt hätten, die Bürgerin während der Debatte eine Frage stellen zu lassen. Nach der Parlamentsarithmetik wäre die GroKo, die in der Bezirksversammlung insgesamt 32 der insgesamt 51 Abgeordneten stellt, mit ihrer Ablehnung gescheitert. Denn 23 Stimmen hätten nun mal nicht ausgereicht, die eigene Sicht der Dinge durchzusetzen.