Debatte um die Betreuung von minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen muss in Harburg erneut vertragt werden. Behörde sah sich außerstande, Referenten in den Jugendhilfeausschuss zu entsenden.
Harburg. Die aktuellen Zahlen zu Straftaten von „minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen“ sind alarmierend. Allein im Zeitraum zwischen 7. Dezember und 3. Januar registrierte die Hamburger Polizei 42 Einsätze. Nach Ansicht von Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, dürfte das allenfalls „die Spitze des Eisbergs sein".
Dass dieses Thema auch südlich der Elbe heiß diskutiert wird, kann kaum überraschen. Zwar ist das Gros der 1900 seit 2011 in Hamburg aufgenommenen unbegleiteten Minderjährigen im Norden der Stadt untergebracht. Doch gibt es auch in den Harburger Einrichtungen der Zentralen Erstaufnahmen (ZEA) und der Folgeunterbringungen laut offiziellen Angaben insgesamt etwa 350 jugendliche Asylbewerber.
Deshalb sollte am Mittwochabend im hiesigen Jugendhilfeausschuss (JHA) ein Antrag von Linken und Grünen beraten werden, den beide Fraktionen bereits Anfang November 2013 gestellt hatten. Darin waren Vertreter der zuständigen Sozialbehörde (BASFI) und des Bezirksamts aufgefordert worden, zeitnah „über die augenblickliche und zukünftige Lage der Unterbringung von minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen in Harburg zu berichten“. Erörtert werden sollte zudem, wie in Kooperation mit geeigneten, kompetenten Trägern der Ausbau von betreuten Plätzen vorausschauend zu gewährleisten ist, samt der Entwicklung von Betreuungs- und Bildungskonzepten für diese Zielgruppe.
Kurz vor der jüngsten JHA-Sitzung war die brisante Thematik allerdings plötzlich von der Agenda verschwunden. Die offizielle Begründung: Der angeforderte Referent des zuständigen Landesbetriebs Erziehung und Betreuung (LEB) sei verhindert.
Auf Abendblatt-Nachfrage erklärte der Ausschussvorsitzende Florian Klein (CDU): „Wir wollten unbedingt LEB-Geschäftsführer Klaus-Dieter Müller einladen. Das Bezirksamt hat auch rechtzeitig angefragt. Es erhielt dann aber die Auskunft, der Referent sei anderweitig verpflichtet.“ Deshalb werde das Thema voraussichtlich erst im März behandelt.
Sabine Boeddinghaus, Fraktionschefin der Harburger Linken, hält das für „skandalös und völlig inakzeptabel“. Die Situation sei inzwischen höchst prekär und eine eingehende Beschäftigung mit der Problematik längst überfällig.
„Die Stimmung in der Bevölkerung droht zu kippen. Da hilft nur Transparenz, Aufklärung und Information. Und was macht die Behörde? Sie versteckt sich lieber bis nach der Bürgerschaftswahl. Das ist nicht nur verantwortungslos, das ist auch brandgefährlich“, so Boeddinghaus.
Das sehen auch Jasmin Garlipp und Bettina Beyer so. Die Mütter engagierten sich viele Jahren in den Elternräten der Grundschule Grumbrechtstraße und der Goethe-Schule-Harburg und haben auf diese Weise auch vielfältige Erfahrungen mit Flüchtlingskindern in den 90er-Jahren gesammelt, die damals unter anderem an der Stader Straße untergebracht waren.
„Wir haben die Einrichtung mehrfach besucht und kennen die Probleme darum aus erster Hand“, sagt Jasmin Garlipp. Überdies stünden sie in engem Kontakt mit heute jungen Erwachsenen, die damals auf Asylschiffen untergebracht waren. Dort hätten teilweise unvorstellbare, „brutalste“ Verhältnisse geherrscht.
Auch Garlipp und Beyer konstatieren eine zunehmende Abwehrhaltung bei vielen Harburgern, der dringend mit konkreten Schritten und Maßnahmen Einhalt geboten werden müsse. Deshalb haben sie sich mit einem offenen Brief an die Bezirkspolitiker gewandt und darum gebeten, gehört zu werden.
„Um die Kinder und Jugendlichen erziehen und begleiten zu können, sollten Landsleute mit Familien eingesetzt werden“, sagt Bettina Beyer, die als Sachbearbeiterin für Asylleistungen auch beruflich über drei Jahrzehnte hinweg mit der Thematik befasst ist.
Minderjährige Flüchtlinge würden „deutsche Kuschelerziehung“ ebenso wenig akzeptieren, wie weibliche Erzieher. Sie sollten daher in landessprachigen Familien untergebracht werden. So könnten beide Seiten profitieren. „Außerdem sollten Familien aus den Erstaufnahmen, die sich um einen unbegleiteten Jugendlichen kümmern wollen, mit erster Priorität in Wohnungen untergebracht werden“, regt Beyer an.
Wie überfällig der Appell der engagierten Harburgerinnen ist, zeigen die jüngsten Geschehnisse rund um die Unterkunft an der Feuerbergstraße in Alsterdorf. Die war bereits Ende 2013 am Rande ihrer Kapazitäten, viele Jugendliche mussten in einer Turnhalle und Zelten untergebracht werden.
Seitdem hat sich die Lage dort angesichts der anhaltenden Flüchtlingsströme keineswegs entspannt. Jüngsten Angaben zufolge soll sie zu 40 Prozent überbelegt sein. Immer wieder kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Kurz vor Weihnachten haben Bewohner des Heims ihre Betreuer und sogar herbeigerufene Polizeibeamte mit Messern und Rasierklingen bedroht. Und immer wieder werden jugendliche Flüchtlinge durch Einbrüche, Raubüberfälle mit Körperverletzung und Diebstähle aktenkundig.