Hamburg hat die Wahl: Am 25. Mai werden die Bezirksparlamente neu bestimmt. Zuwanderung und kulturelle Vielfalt haben in Harburg Tradition. Nun müssen Politik und Bürger die Migration neu bewältigen.
Harburg. „Wo wohnen Sie? Südlich der Elbe?“ „Ja, Harburg.“ Spätestens dann zieht der Frager, so er denn nördlich der Elbe lebt, hörbar die Luft ein. Was der Harburger gern mit einer Haltung quittiert, die an das kleine gallische Dorf in Asterix-Heften erinnert. Das sind selbstverständlich Klischees. Wirklich? In jeder Übertreibung wohnt schließlich auch ein wenig Wahrheit. Wahr ist: Hamburger und Harburger sind nicht sonderlich innig miteinander verbunden.
Das liegt schon an den Wegen. Wer von Hamburg nach Harburg will, muss Brücken überqueren oder den Elbtunnel durchfahren. Nach Norden, Osten oder Westen ist es viel einfacher.
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Und tatsächlich ist der Bezirk Harburg etwas Besonderes. Das hat nicht nur mit dem Gewässer zu tun, das viele als trennend empfinden. Viel wichtiger sind traditionelle Bindungen, historische Entwicklungen, die beide Städte – und darum handelt es sich – zu einem Gefüge, aber damit noch lange nicht zu einer Einheit gemacht haben. Denn der Bezirk Harburg ist tatsächlich eine eigene Stadt, mit einer eigenen Historie, die preußisch ist, niedersächsisch, nicht hanseatisch. Deshalb hat Harburg unter anderem auch eine Schützengilde. Und kaum ein Bezirksamtsleiter kann sich so sehr als Bürgermeister fühlen wie Thomas Völsch im Harburger Rathaus.
Dass beide Städte zusammengekoppelt worden sind, hat seine Ursache im Groß-Hamburg-Gesetz von 1937. Die ehemals preußische Stadt Harburg verlor zum 1. April 1938 ihre Selbstständigkeit. So ging es auch Altona. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Struktur festgeschrieben. Im Gesetz über die Bezirksverwaltung vom September 1949 wurde Harburg einer der sieben Bezirke der Hansestadt. Vor allem die finanzielle und planerische Abhängigkeit von der großen Schwester auf der nördlichen Elbseite ist seitdem eine Tatsache.
Der Bezirk südlich der Elbe gehört nicht zu den reichen Ecken Hamburgs. Das machen einige Zahlen sofort deutlich. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen im Bezirk liegt mit 27.600 Euro klar unter dem Durchschnittseinkommen in Hamburg, das von den Statistikern mit knapp 35.900 Euro beziffert wird. Mit Blick auf den Harburger Innenstadtbereich, also den Stadtteil Harburg in Bezirk, wird es noch augenfälliger: Dort liegt das durchschnittliche Einkommen pro Kopf bei 19.157 Euro.
Von den 155.548 Einwohnern des Bezirks (Stand 31. Dezember 2013) haben 38,2 Prozent einen Migrationshintergrund. Im Stadtteil Harburg liegt die Zahl bei 51,1 Prozent. Die Zahl hamburgweit: 30 Prozent. Bei den unter 18-Jährigen liegt der Prozentsatz im Stadtteil Harburg bei 75,4 Prozent.
„Zuwanderung und das Miteinander verschiedener Kulturen haben insbesondere im Bezirk Harburg eine lange Tradition“, sagt Thomas Völsch. „Die Chancen der kulturellen Vielfalt zu nutzen bedeutet auch, die Integration durch Verwaltung und Gesellschaft aktiv zu fördern. Mit den beiden Integrationskonferenzen, der ersten interkulturellen Meile und einer hauptamtlichen Integrationsbeauftragten im Bezirksamt wurden wichtige Schritte gemacht.“
Problematisch ist es allerdings, für die wachsende Zahl von neuen Flüchtlingen geeignete Unterkünfte zu finden. Tatsache ist, dass der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) der Ansicht ist, dass deutlich mehr Flüchtlinge in Harburg unterkommen sollten als bislang geplant. Doch die Proteste unter anderem in Bostelbek, wo eine Containersiedlung für Flüchtlinge entstehen soll, zeigen, wie schwierig dies in den jeweiligen Stadtteilen umzusetzen ist. Zumal der Bezirk in der jüngeren Vergangenheit klare Fehler bei der Information der Anlieger begangen hat, wie auch Völsch einräumt.
Der Bezirk Harburg hat so etwas wie seinen eigenen Speckgürtel. Während im Zentrum vor allem Mehrfamilienhäuser und Mietskasernen vielen Menschen Wohnraum bieten, die eher ein geringeres Einkommen haben, sind in umliegenden Stadtteilen wie Eißendorf, Heimfeld, Marmstorf, Sinstorf oder Fischbek Wohnstrukturen zu finden, die eher an Vorstadt erinnern. Reihenhäuser und Einzelhäuser dominieren. Und damit ist ein wesentliches Problem des Bezirks schon benannt: bezahlbarer Wohnraum. Denn gerade im Innenstadtbereich, wo es besonders notwendig wäre, ist der Prozentsatz der Sozialwohnungen auch im Hamburg-Vergleich mit 9,4 Prozent unter dem Durchschnitt der Hansestadt.
Hier umzusteuern ist eine der wesentlichen Aufgaben im Bezirk Harburg. Zumal die Bevölkerung in Harburg stetig wächst, im vergangenen Jahr um rund 1000 Menschen. Die nicht selten vor der Haustür ihren Arbeitsplatz finden: bei Airbus, Mercedes, Beyersdorf, in einer der Raffinerien im Harburger Industriegebiet, an der Technischen Universität oder in einem der innovativen Unternehmen im Harburger Binnenhafen, dem Channel Harburg, der HafenCity des Südens.
Bezirksamtsleiter Thomas Völsch sieht genau darin das größte Entwicklungspotenzial für den Bezirk: „Harburg ist aktuell vermutlich der Bezirk mit den in der Summe größten Entwicklungspotenzialen, sowohl im Wohnungsbau als auch in der wirtschaftlichenund technologischen Entwicklung. Junge Familien, Studenten und Unternehmen, die die Nähe zur Technischen Universität suchen, haben die Potenziale längst erkannt. Wenn wir diese Dynamik weiter nutzen und ein wachsender Bezirk bleiben wollen, und das sollten wir wollen, muss der Wohnungsbau weiter ein Schwerpunkt der Arbeit im Bezirk bleiben. Wir brauchen guten und preiswerten Wohnraum, um weiter attraktiv zu sein.“
Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, dass der Bezirk intensiv bemüht ist, jedes Jahr mehr Bauanträge im Wohnungsbau zu genehmigen als im jeweils vorangegangenen Jahr. Und auch die Verdichtung in den geplanten neuen Quartieren wie auf dem Gelände der ehemaligen Röttiger-Kaserne in Fischbek hat hier eine Ursache. Wobei das größte Problem Harburgs weniger ist, Wohnungen vorzuhalten. Schwieriger ist die Vermarktung. Denn gerade bei der meistgesuchten Zielgruppe – junge Familien mit Kindern und Studierende – hat Harburg ein schlechtes Image. Unter anderem wegen der Verkehrssituation.
Auf der positiven Seite steht, dass der Bezirk eine sehr gute Anbindung über Autobahnen und Bundesstraßen sowohl an Hamburg als auch an das niedersächsische Umland hat. Der Nachteil ist, dass Harburg von Verkehrsadern weniger durchzogen als vielmehr zerschnitten ist. Vor allem die Bundesstraße 73 trennt den Bezirk gemeinsam mit der parallel verlaufenden Bahntrasse Richtung Stade noch einmal in einen nördlichen und einen südlichen Teil. Entlastung ist zunächst nicht in Sicht. Denn sowohl die Anbindung der Autobahn26 Richtung Stade an die A7 bei Moorburg wie auch die zwingend daraus folgende Hafenquerspange von der A7 zur A1 werden zwar diskutiert und geplant, doch wann sie konkret gebaut oder gar fertiggestellt sein werden, steht noch lange nicht fest.
Doch Infrastruktur ist weit mehr als nur Straßenbau. Die Schulversorgung in Harburg ist gut, Gleiches gilt für Kindertagesstätten. Harburg ist auch ein grüner Stadtteil, der mit dem Stadtpark an der Außenmühle, der Haake, der Fischbeker Heide und den oft belächelten Harburger Bergen Naherholungsgebiete vor der Haustür zu bieten hat. Das alles könnte Neubürger locken. Mit der Technischen Universität Hamburg-Harburg, dem archäologischen Museum, einer eigenen Theaterbühne, die vom Altonaer Theater mit bespielt wird, sowie einer aufblühenden Kleinkunstszene hat der Bezirk auch intellektuell und kulturell viel zu bieten.
Doch ein weiteres großes Problem steht dem entgegen: Die Stagnation der Harburger Innenstadt. Die zentrale Fußgängerzone Lüneburger Straße ist geprägt von Backshops und Ein-Euro-Läden. Früher von eigentümergeführten Einzelhandelsgeschäften unterschiedlicher Branchen dominiert, hat der Wegzug oder die Aufgabe von Porzellan-, Musik-, Bekleidungs-, Spielzeug- und Schuhgeschäften die Harburger City ausgezehrt.
Die Innenstadtentwicklung leidet vor allem unter drei Faktoren: einer Ringstraße, die die Fußgängerzone eher isoliert als schützt, mit wenig Parkmöglichkeiten. Umliegende Mittelzentren mit eigenen attraktiven Einkaufsmöglichkeiten wie Stade, Buxtehude, Buchholz oder Lüneburg, die die Kaufkraft dort binden oder sogar aus Harburg abziehen. Und, als dritter Faktor, eine verfehlte Ansiedlungspolitik in den vergangenen 20 Jahren. Das Phoenix-Center der ECE-Gruppe, von vielen als Ursache für das Sterben der Innenstadt angesehen, lenkt eigentlich eher Kaufkraft nach Harburg, die sonst auch noch am Bezirk vorbeigehen würde. Der Bezirk steuert politisch verstärkt in die Richtung, in der Harburger City bezahlbaren Wohnraum anzubieten, vor allem auch für Studierende der Technischen Universität. Parallel dazu werden zusätzliche Flächen für die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie ausgewiesen, um vor allem technologieorientierte Unternehmen anzusiedeln, die auch vom Know-how der TUHH profitieren. Immerhin sind in den vergangenen 15 Jahren rund 6000 hochwertige Arbeitsplätze in Harburg rund um die TUHH und Airbus entstanden.
„Harburg ist ein traditioneller Industrie- undProduktionsstandort mit einem – auch dank der Technischen Universität – dynamisch wachsenden Anteil im Bereich Forschung und Entwicklung. Diese Entwicklung, vor allem rund um die TUHH, den Channel und den hit-Technopark gilt es zu unterstützen und auszubauen, auch durch die Ausweisung neuer Flächen. Dort wird Zukunft entwickelt“, betont Thomas Völsch.