Langenhorn. Neues Buch beleuchtet das außenpolitische Wirken des Altkanzlers Ende der Siebziger. War er mehr als nur Krisenmanager?
Dass Helmut Schmidts Renommee und auch die Beliebtheit mit zunehmendem Alter wuchsen, ist unbestritten. Doch welches Vermächtnis hat der im November vergangenen Jahres verstorbene Sozialdemokrat politisch hinterlassen? War er mehr als nur Krisenmanager und anpackender Macher mit Akzent auf innenpolitische Themen?
Dieser Frage widmet sich ein jetzt erschienenes Buch, dessen Titel einen Teil der Antwort vorwegnimmt: „Helmut Schmidt. Der Weltkanzler“. Es wird am heutigen Donnerstag in der Bucerius Law School vorgestellt. Neben der Autorin Kristina Spohr sind Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie der frühere finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen anwesend. In England und den USA ist das Buch bereits im Frühjahr auf den Markt gekommen. Sogar das „Wall Street Journal“ würdigte es mit einer Besprechung.
„Mein Buch demonstriert, wie die Bundesrepublik in den 70er-Jahren unter Kanzler Helmut Schmidt auf die Weltbühne zurückgekehrt ist“, sagte Kristina Spohr am Mittwoch bei einem Treffen an besonders passendem Ort – im Privatarchiv des Altkanzlers in Langenhorn. „Ich wollte genau wissen, welche Rolle er in diesem Prozess spielte.“
Die promovierte Historikerin mit deutsch-finnischen Wurzeln arbeitete drei Jahre an ihrem Buch. Alleine die Quellenangaben und das Register umfassen 33 Seiten. Aktuell lehrt die 43-Jährige als außerordentliche Professorin Internationale Geschichte an der London School of Economics. Zuvor studierte sie an der Universität East Anglia in der englischen Grafschaft Norfolk, an der Eliteuniversität Sciences Po in Paris sowie in Cambridge, ihrem Wohnsitz. Danach arbeitete sie im Generalsekretariat der Nato in Brüssel.
Entstanden ist keine Biografie, sondern ein Werk mit Schwerpunkt auf Schmidts Kanzlerschaft zwischen 1974 und 1982. Zweimal, im Oktober 2013 sowie drei Wochen vor seinem Tod, traf Spohr den Staatsmann unter vier Augen. Schmidt sei mit Eifer bei der Sache gewesen, viel länger als geplant, und nach einer Viertelstunde angesichts der außenpolitischen Themen fast automatisch in die englische Sprache verfallen.
25 Wochen recherchierte die Autorin im Privatarchiv
25 Wochen verbrachte die gebürtige Düsseldorferin – nach und nach – bei der Recherche in seinem Archiv. Hinzu kamen Forschungsreisen in elf weitere Archive und Bibliotheken in Deutschland, England, Norwegen und den USA. Diese Mühe kann sich jetzt lesen lassen.
Unter dem Strich ergibt sich ein globaler, neutraler Blick auf Schmidts Kanzlerschaft – mit Schwerpunkt auf die Außenpolitik. „Schmidt machte die Wirtschaft in den ersten Jahren seiner Amtszeit zum Hauptinhalt seiner Außenpolitik“, schreibt sie im Kapitel über den „Weltökonom“. Diese Wirtschaftspolitik sei seinerzeit untrennbar von der Sicherheitspolitik gewesen.
Spohr beleuchtet das Schaffen des Hamburgers und seinen Einfluss auf der Bühne internationaler Politik. Sie schildert Schmidts Beteiligung an der Einführung der „G7-Gipfeltreffen“ zur Weltwirtschaftspolitik sowie des Europäischen Währungssystems. Früh habe der Mann aus Langenhorn den Aufstieg Chinas oder die Tragweite der Globalisierung erkannt. Behandelt werden Schmidts Krach mit dem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter ebenso wie seine Teilnahme an einem Gipfel in Moskau – gegen den Willen der Vereinigten Staaten. In den kommenden Monaten stehen 25 Lesungen auf dem Programm, zum Beispiel in der Hamburgischen Landesvertretung in Berlin, im Hanse-Office in Brüssel oder im Europaparlament.
Tiefe Gedanken, gutes Gedächtnis
Als „Stratege des Gleichgewichts“ habe Schmidt den Nato-Doppelbeschluss erdacht – als Reaktion auf eine massive sowjetische Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen. „Letztlich trug Helmut Schmidt so zum Zusammenhalt der westlichen Allianz und zur Entschärfung des Kalten Krieges bei.“ Spohrs Fazit: „Man kann feststellen, dass Westdeutschland erst durch Schmidt als politische Weltmacht wahrgenommen wurde.“
Und wie erlebte die Autorin Schmidt persönlich? „Besonders beeindruckt haben mich seine Gedankentiefe, sein Gedächtnis und die konzeptionelle Substanz seines Denkens“, antwortet sie. In seinem Privatarchiv studierte sie Hunderte Ordner und Tausende Seiten – meist handschriftlich verfasst, mit Blei- oder grünem Filzstift. Und überwiegend in Englischer Sprache geschrieben. „Man sah so, wie sich seine Gedanken entwickelten, wie ein roter Faden in seinem Leben.“
Mittwochnachmittag erfüllte sie sich einen persönlichen Wunsch: An der Seite von Schmidts langjähriger Archivleiterin Heike Lemke besuchte Kristina Spohr die Grabstätte des verstorbenen Staatsmanns in Ohlsdorf. Er wäre gewiss stolz auf dieses Buch gewesen.