Langenhorn. Es ist eine merkwürdige Mischung aus gänzlich normaler Kleinbürgeridylle und deutscher Geschichte. Ein Hausbesuch in Langenhorn.

Auf dem schlichten roten Sofa saß Leonid Breschnew sichtlich gut gelaunt zwischen Willy Brandt und Hannelore „Loki“ Schmidt, daneben auch Helmut Schmidt mit der unvermeidlichen Zigarette in der Hand. Durch das Wohnhaus der Schmidts weht heute - fast 40 Jahre später - nicht nur immer noch ein leiser Hauch der Menthol-Zigaretten, sondern auch der Geschichte. Loki starb 2010, Helmut Schmidt 2015. Das Haus im Hamburger Stadtteil Langenhorn soll unverändert bleiben und gelegentlich sogar für Besuchergruppen öffnen.

Seit dem Tod Helmut Schmidts im November 2015 ist das von Außen unscheinbare Anwesen unbewohnt. Aber verändert hat sich seitdem nahezu nichts. Das Messingschild „Helmut Schmidt“ über der Klingel hat seine Patina behalten.

Die Schmidts breiteten sich immer weiter aus

Die Schmidts hatten die geklinkerte Doppelhaushälfte im Sommer 1961 gekauft, im Dezember sei sie „mit dem Weihnachtsbaum in der Hand“ eingezogen, hat Loki Schmidt (1919-2010) einmal erzählt, erinnert sich die Archivarin der Helmut und Loki Schmidt Stiftung, Heike Lemke. Da war Helmut Schmidt Hamburger Innensenator.

Mit der Zeit breiteten sich die Schmidts immer weiter aus. Die Doppelhaushälfte bekam einen Anbau, die zweite Hälfte wurde dazugekauft. Mittlerweile erstreckt sich das Anwesen auf vier Grundstücke, sagt Stefan Herms, Geschäftsführer der Stiftung.

Wer hier herein will, muss erst die Pforte der früheren Personenschützer passieren. Auf der einen Seite ist das Doppelhaus, in dem das Paar wohnte, gegenüber das Archiv. Hinter der Tür des Wohnhauses öffnet sich ein hoher Raum, am Ende der schwarze Steinway-Flügel vor bodentiefen Fenstern zur Terasse hin.

Die Wände sind mit Bildern bedeckt

Die Wände der meisten Räume sind da, wo die Bücherregale noch Platz gelassen haben, über und über bedeckt mit Bildern: Nolde, Chagall, Heckel, Heisig, Kokoschka und August Macke, Grafiken von Dalí, Miró oder Picasso. „Es sind Originale, viele davon Zeichnungen und Drucke in limitierter Auflage“ sagt Herms. „Eine bemerkenswerte Sammlung, aber keine echte Konkurrenz für die Kunsthalle.“ Die Werke ranken sich hoch bis in die Giebelwände und zur holzgetäfelten Decke. Und überall stehen Aschenbecher.

Die Wände des Wohnzimmers, in dem die schlichten Sofas mit den roten Lederkissen stehen, sind fast bis zum letzten Quadratzentimeter mit Büchern vollgestellt. Die Regale biegen sich unter der Last der schweren Bildbände und der ledergebundenen Nachschlagewerke, wie etwa die Propyläen Geschichte Europas. „Hier hat Breschnew gesessen, hinter ihm das „Das Kapital" von Karl Marx. Das hat Helmut Schmidt amüsiert“, sagt Lemke.

Am Kamin steht das berühmte Schachbrett

Am Kamin steht das berühmte Schachbrett, daneben zwei verzierte Holzstühle, auf der Rückenlehne die Namen der Spieler, Loki und Helmut. Ein Geschenk zum 65. Geburtstag des Alt-Kanzlers, sagt Lemke.

An das Wohnzimmer schließt sich die „Kneipe“ an, bekannter als „Ottis Bar“. Hier hat der langjährige Leibwächter Ernst Otto Heuer Bier und Drinks serviert, wenn Besuch da war. Etwa Gästen wie dem sowjetischen Staats- und Parteichef Breschnew oder Henry Kissinger oder Valéry Giscard d'Estaing. „Helmut Schmidt war überzeugt, dass man sich persönlich kennen und austauschen muss“, erzählt Herms.

„Hier durften nur Leute rein, die schon einige Prüfungen hinter sich hatten“, sagt Lemke. „Leute also, die lange Besprechungen mitgemacht hatten - und die rauchten. Die Sitzungen waren legendär. Pech für Nichtraucher.“ In der schmalen Bar steht ein gemauerter Tresen. An den Wänden maritime Bilder und Tafeln mit Seemannsknoten. Von der Decke hängen Messinglampen und Schiffsmodelle.

Helmut Schmidt als Supermann

An der Wand hängt eine Karikatur mit Helmut Schmidt als Superman - „Der Retter des Vaterlandes“. Auf der Theke steht eine fast einen halben Meter große Figur, die Louis Armstrong darstellt. Auf Knopfdruck bewegt sie den Kopf und schmettert „Hello Dolly“. „Zwischen Kunst und Geist findet man hier eben auch Kitsch“, sagt Lemke achselzuckend.

Bei den berühmten Freitagsrunden gab es erst in der Bar einen Drink, bevor die Gäste in das Esszimmer gerufen wurden. Auch hier Bilder an den Wänden und schwere Skulpturen des besonders verehrten Barlach, die sich an Bücher lehnen.

Wer hier ein- und ausging, sich wie benahm oder was so besprochen wurde, das wüsste sicherlich Ursel Trebbin. Jetzt steht sie am Eingang zur Küche. Sie war 31 Jahre lang die Haushälterin der Schmidts und behält solche Dinge natürlich für sich. „Es ist alles unverändert hier, fast als wenn sie gleich um die Ecke kommen, das wäre schön“, sagt sie nur.

Das Arbeitszimmer Helmut Schmidts ist im Obergeschoss, über die Stufen mit dem Treppenlift. Der fast quadratische Raum ist ebenfalls voller Bücher, „vor allem für die Arbeit, also Lexika, Staatslehre und Staatsphilosophie“, erläutert Lemke. Ein Schreibtisch beherrscht den Raum. Darauf Zinnbecher mit Stiften, Kerzenständer und natürlich ein Aschenbecher.

Eine Vitrine voller Schnupftabakdosen

Dahinter eine Vitrine voller Schnupftabakdosen und Münzen. Und ein kleines Schachspiel, das Schmidt in der Kriegsgefangenschaft geschnitzt hat. „Die dunklen Figuren sind mit Tee gefärbt“, sagt die Archivarin. Vor dem Schreibtisch lehnt noch die alte schwarze Aktentasche.

Zurück im Erdgeschoss, die Terrassentür steht offen, rechts das Schwimmbad, links, an der Hauswand, die von Loki gepflanzten Kamelien, die im Frühjahr so prächtig blühen. Der ganze Garten ist das Werk Lokis. Ein Anbau beherbergt das Archiv von Loki Schmidt, „die nicht einfach nur die Frau an der Seite von Helmut Schmidt war“, wie Lemke betont. „Sie hat Vorträge gehalten, einen internationalen Austausch zwischen botanischen Gärten organisiert und finanziert.“ Um die Ecke folgt das Gewächshaus der leidenschaftlichen Botanikerin.

Gegenüber dem Wohnhaus ist der Archivbau mit dem Büro der Helmut und Loki Schmidt Stiftung. Lemke schätzt, dass der Nachlass mehr als 25 000 Bücher umfasst. Dazu komme alles aus den Büros des Ex-Kanzlers und Ex-Herausgebers der „Zeit“. Überall stehen Kartons, die noch ausgepackt werden müssen.

Einen eigenen großen Raum nimmt das Archiv Helmut Schmidts ein. Mehr als 2500 Aktenordner. „Es ist ein sehr persönliches Archiv“, sagt Lemke. „Helmut Schmidt hat hier ein Presseecho angelegt, das bis 1953 zurückreicht.“ Dazu kommen Briefwechsel, Vorträge, Unterlagen aus Jahrzehnten, vieles davon handschriftlich.

Das ist einerseits eine Fundgrube für Historiker. Andererseits bestehen viele Akten aus säurehaltigem Papier. „Wir müssen das Archiv erst vollständig erschließen und dann sichern, bevor die Papiere zerbröseln“, skizziert Lemke die Aufgaben der Stiftung in der nächsten Zeit. Und digitale Aufzeichnungen? „Helmut Schmidt hat keinen Computer benutzt. Wir standen hier immer mit einem Bein in der Steinzeit.“

Jetzt holt die Stiftung auf: Sie will noch in diesem Jahr einen virtuellen und interaktiven Rundgang durch das Anwesen anbieten. Denn als richtiges Museum eignet sich das Wohnhaus nicht. Aber für einige wenige Besuchergruppen soll es ab 2017 dann auch Führungen geben, als Ausflug in die Geschichte, quasi analog.