Hamburg. Anne Meister ist eine Medizinerin „vom alten Schlag“ – und eine Abenteurerin. Was die 76 Jahre alte Ärztin alles erlebt hat.

Sie kennt Eppendorf noch, als es weniger schick war, als die Menschen nach dem Krieg in ihren Gärten in Hamburg Obst und Gemüse angebaut haben, um nicht zu verhungern. Die Hausärztin Anne Meister ist nicht nur Medizinerin, sie ist ein besonderer Mensch, ein Eppendorfer Urgestein, und so beliebt, dass Nachbarn sie gerade sogar mit einer Feier in den Ruhestand verabschiedet haben.

Noch immer lebt die 76 Jahre alte Ärztin in dem Stadtteil – in dem Haus, in dem sie früher zu ihrem Kinderarzt ging. Sie hat miterlebt, wie sich Eppendorf verändert hat, wie Bäume, die heute groß und mächtig sind, einst gepflanzt wurden. Geschäfte kamen und gingen, es gibt weniger Kneipen und weniger Kinos, Karstadt ist weg, aber ihre Hausarztpraxis hat all die vergangenen 35 Jahre überstanden.

Hamburger Hausärztin hat ihren Kassensitz in Eppendorf zum 1. Oktober abgegeben

Doch nun ist Schluss. Zum 1. Oktober hat Anne Meister ihren Kassensitz abgegeben. Ihre Praxis an der Eppendorfer Landstraße 18 räumt sie in diesen Tagen mithilfe ihrer Nachbarn aus. Allein muss sie diesen Schritt nicht gehen, weil ihre Hausgemeinschaft aus der Eppendorfer Landstraße Ecke Goernestraße ihr zur Seite steht.

„Das ist ein bürokratischer Vorgang, es wird kein Arzt meine Praxis übernehmen, der Kassensitz wird irgendwo in einem MVZ eingerichtet“, sagt sie, also in einem Medizinischen Versorgungszentrum. „Wo, weiß ich gar nicht.“ Als Hausärztin mit Schwerpunkt Naturheilverfahren praktizierte Anne Meister in Eppendorf, nennt sich selbst Eppendorfer „Landärztin“. Ihre Nachbarinnen Daniela Hoepfner und Andrea Magiera helfen ihr, die Möbel aus ihrer Praxis zu verkaufen, die alten Vitrinen, Schränke. „Besonders stolz war sie immer auf ihr knallrotes Wartezimmer“, sagt Daniela Höpfner. Weil Anne Meister gern malt, hat sie jahrelang in ihrer Praxis Malkurse für ihre Patienten angeboten.

Anne Meister ist eine Frau mit Humor und immer hilfsbereit, sagen ihre Nachbarn. Selbstständig und eigenwillig im besten Sinne war sie auch schon immer. Aufgewachsen ist sie an der Gustav-Leo-Straße in Eppendorf mit einem neun Jahre älteren Bruder, einer 13 Jahre älteren Schwester und, wie damals üblich, mit den Großeltern in einer Wohnung.

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Eppendorfer Ärztin Anne Meister lernte Chemie und Physik – an der Schule für Jungen

Eher unüblich für Mädchen war es allerdings, dass sie Physik und Chemie am Gymnasium für Jungen – heute das Gymnasium Eppendorf – lernte. Denn eigentlich besuchte sie das Mädchengymnasium Curschmannstraße (heute Stadtteilschule Eppendorf). Anne wuchs als Tochter eines Richters behütet auf, bildungsnah, wie man heutzutage sagt, sie fuhr Kajakrennen im heutigen Alster-Canoe-Club in Eppendorf und wurde Deutsche Jugendmeisterin.

Ärztin wurde sie übrigens gegen den Willen ihrer Eltern. Diese hatten nämlich gehofft, dass Anne in einer Apotheke als PTA (pharmazeutisch-technische Assistentin) arbeitet. „Doch ich wollte nicht mein Leben lang staatlich geprüfte Schubladenaufzieherin sein“, sagt sie und lacht. Nach zwölf Jahren in der Apotheke fing sie gegen den Willen ihrer Eltern ein Medizinstudium an. „Das war nicht einfach, zu der Zeit im männerdominierten Studium zu bestehen.“ 97 Männer und nur eine Handvoll Frauen waren sie im Studium in Hamburg.

Anne Meister ist ohnehin für die damalige Zeit ungewöhnliche Wege gegangen: Sie trampte mit einem Bekannten für zwei Wochen durch Irland, statt bei Freunden der Familie in Cardiff brav Englisch zu lernen. Ihren späteren Mann lernte sie am Jungengymnasium kennen und fuhr mit ihm und weiteren Freunden mit dem Auto vier Monate durch Europa bis nach Nepal. Anne Meister machte ihren Flugschein und gründete einen Verein, um regelmäßig fliegen zu können, auch einmal bis nach London.

Hamburger Ärztin reiste durch die Welt und heuerte auf der „Sea Cloud“ an

Sie ist außerdem mit ihrem damals dreijährigen Sohn John den Alaska Highway von Edmonton in Kanada bis Dawson City gefahren. Denn sie wollte immer von Eppendorf in die große weite Welt, hat auch als Reisemedizinerin auf der „Sea Cloud“ angeheuert und die Karibik bereist. Nach der Scheidung von ihrem Mann betreute sie John ganz modern im Wechselmodell mit dem Vater. Heute ist das normal, früher überhaupt nicht. Anne Meister ist eine fortschrittliche Frau, die zudem Psychosomatik, autogenes Training, Hypnose und Schlafmedizin zu ihren Schwerpunkten gemacht hat.

Sohn John ist übrigens auch Mediziner geworden. Der 47-Jährige ist Psychotherapeut und Arzt und hat schon gemeinsam mit seiner Mutter den kassenärztlichen Notdienst gefahren. „Das ging gut mit uns beiden“, sagt er. Bis zu 30 Einsätze hatten sie im Schnitt während einer Schicht. Dass seine Mutter nun die Praxis abgibt, falle ihr schon schwer, sagt er. „Sie leidet schon unter Trennungsschmerz.“

Hausärztin Anne Meister aus Eppendorf wird eines nicht vermissen: die Bürokratie

Nur die Bürokratie und die Patientenpauschale wird sie nicht vermissen. „Seit 2016 ist unendlich viel Verwaltungsarbeit für uns Ärzte hinzugekommen, das Gespräch mit Patienten aber wird nicht honoriert. Dabei ist das doch das Wichtigste. Wenn ich mit einem Menschen rede, erübrigen sich manchmal die Untersuchungen“, sagt sie.

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Pläne für die kommende Zeit hat Anne Meister keine konkreten. „Ich möchte wieder mehr malen und reisen.“ Und weil das zu Zweit viel schöner ist, hat sie ein besonderes Vorhaben: „Ich habe mir vorgenommen, mir einen Freund zu suchen. Aber das ist in meinem Alter ja schwierig, dass mich jemand anbaggert“, sagt sie und lacht wieder.