Hamburg. Philipp F. tötete bei den Zeugen Jehovas sieben Menschen und sich selbst. Verletzte befinden sich weiter in kritischem Zustand.
Nach dem Amoklauf im Gebäude der Zeugen Jehovas an der Deelböge, bei dem am vergangenen Donnerstagabend zwei Frauen, vier Männer, ein ungeborenes Kind und der Amokläufer Philipp F. ums Leben kamen, konnte einer der acht Verletzten bereits aus dem Krankenhaus entlassen werden. Vier der Verletzten lagen auf der Intensivstation.
Bei zwei von ihnen, so hieß es am Montag, sei der Zustand weiterhin kritisch. Mindestens in einem Fall spielt nach Informationen des Abendblatts dabei der Umstand eine Rolle, dass die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft Bluttransfusionen ablehnen.
Amoklauf in Hamburg: Zwei Zeugen Jehovas weiter in Lebensgefahr
Am Dienstagmittag wollen Innensenator Andy Grote (SPD) und die Polizeiführung noch einmal zu dem Amoklauf weitere Details mitteilen. Dabei wird es auch um die Erlaubnis zum Waffenbesitz gehen, die der Amokläufer hatte.
Er hatte bei der Tat mit seiner eigenen, legal erworbenen halbautomatischen Pistole geschossen. Kurz nach dem Amoklauf wurde bekannt, dass der 35-Jährige in einem anonymen Schreiben als psychisch krank bezeichnet worden war.
Daraufhin hatten Beamte der zuständigen Dienststelle den Wohnort des Mannes aufgesucht, ihn kontrolliert und festgestellt, dass die waffenrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Auch hatte man keine psychischen augenscheinlichen Auffälligkeiten bei dem Mann feststellen können.
Philipp F.: Polizei konnte ihm die Waffe nicht entziehen
Nach Informationen des Abendblatts ist man bereits intern zu dem Schluss gekommen, dass alle Möglichkeiten im Fall Philipp F. ausgeschöpft worden waren und keine rechtliche Handhabe bestand, ihm die Waffe zu entziehen. Philipp F. war nicht vorbestraft. Berichte, wonach er als junger Mann in seinem Heimatort Kempten (Bayern) im Zusammenhang mit Drogen aufgefallen sei, wurden zwischenzeitlich von den zuständigen Sicherheitsbehörden dementiert.
Philipp F. hatte im Dezember vergangenen Jahres eine Waffenbesitzkarte bekommen. Voraussetzung dafür war, dass er als zuverlässig und geeignet galt, wozu auch gehört, dass man keinerlei Vorstrafen hat, eine Sachkundeprüfung ablegt und einen Bedarf an der Waffe nachweisen kann. Philipp F. war Mitglied in einem Schießclub in der Hamburger Innenstadt.
Amoklauf: Spezialeinheit schreitet schnell ein
Am Donnerstagabend war Philipp F. mit einer Pistole vom Typ Heckler & Koch P30 L und knapp 350 Schuss Munition, geladen in 15-Schuss-Magazinen, an der Deelböge in das dortige Zentrum der Zeugen Jehovas eingedrungen. Nachdem er zuerst eine Scheibe zerschossen hatte, eröffnete er das Feuer auf die Mitglieder der Gemeinde.
Sie hatten nach ihrer Versammlung, die auch live gestreamt worden war, noch zusammengesessen. Er tötete durch die Schüsse zwei Frauen und vier Männer sowie das ungeborene Kind im Bauch einer 33 Jahre alten Frau, die selbst den Amoklauf überlebte.
Um 21.04 Uhr waren bei der Polizei die Notrufe eingegangen. Um 21.09 Uhr war die Unterstützungsstreife (USE), eine für solche Amoklagen ausgebildete und ausgerüstete Einheit der Bereitschaftspolizei, vor Ort. Zwei Minuten später, um 21.11 Uhr, drangen die Beamten der USE in das Gebäude ein. Philipp F. flüchtete in einen Raum in den ersten Stock, den er verschloss, und schoss sich mit seiner Pistole in die Brust. Als die Beamten die Tür aufgebrochen hatten, war der 35-Jährige bereits tot.
Philipp F. wohnte nahe der Stresemannstraße
Um 21.19 Uhr wurde das Gebäude als „sicher“ eingestuft. Auf dem Boden lagen 135 Hülsen der von Philipp F. verschossenen Munition. Um 0.30 Uhr durchsuchte die Polizei die Wohnung des Amokläufers in einem Apartmenthaus nahe der Stresemannstraße, das von einem großen Anbieter mit weiteren Standorten in Berlin, München oder Wien betrieben wird.
Dort lebte der Mann in einer voll möblierten Mietwohnung. An der Durchsuchung beteiligt waren auch Sprengstoffspezialisten. Die Polizei fand Munition, 425 Schuss, aber keine weiteren Waffen.
Der Kriminologe Wolf Kemper von der Leuphana-Universität in Lüneburg geht davon aus, dass sich der 35-Jährige lange auf den Amoklauf vorbereitete und den Weg über den Schießclub wählte, um an eine Waffe zu kommen. Einen Abschiedsbrief oder ein Manifest wurden nicht entdeckt.
Nach Amoklauf: Seelsorge auch für Polizisten
Überlebende des Amoklaufs wurden vom Kriseninterventionsteam des DRK betreut. Auch für Polizisten, die am Einsatzort oder in der Polizeieinsatzzentrale (PEZ) waren, gibt es das Angebot einer psychologischen Betreuung. Bislang, so hieß es aus der Polizei, sei die Nachfrage eher verhalten. Patrick Klein, evangelischer Hamburger Polizeiseelsorger, geht aber von einem erhöhten Gesprächsbedarf in den kommenden Wochen aus.
Er war bereits am vergangenen Donnerstagabend im Einsatz – wie auch die Kollegen von der katholischen Kirche. Dass Beamte bald aber noch Hilfe in Anspruch nehmen werden, glaubt auch Sandra Levgrün, die Sprecherin der Hamburger Polizei. „Es ist oft so, dass erst Tage oder Wochen vergehen, bevor das Gespräch gesucht wird.“
Amoklauf: Psychologische Beratung in Hamburg für Betroffene
Für Betroffene des Amoklaufs und ihre Angehörigen steht der Opferbeauftragte Arne Dornquast als Ansprechpartner bereit. Er sei, so hieß es von offizieller Seite, zentraler Ansprechpartner für alle Belange im Zusammenhang mit der Amoktat in Alsterdorf.
Dabei richte sich das Hilfeangebot nicht nur an Betroffene, die eine körperliche Verletzung erfahren haben, sondern auch an Menschen mit seelischem Hilfebedarf. Es werde insbesondere psychologisch beraten und bei Bedarf in entsprechende Angebote vermittelt.