Hamburg. Fisch-Böttcher war seit 1913 eine Institution am Mühlenkamp. Was laut Geschäftsführer Frank Giesler zum überraschenden Aus führte.
Erst stand auf dem Aushang, man mache nur Betriebsferien. Dann plötzlich die Hiobsbotschaft für Winterhude: Fisch-Böttcher, seit 1913 eine Institution am Mühlenkamp, wird nicht wieder geöffnet. „Ohne Personal geht es leider nicht“, heißt es in einem neuen Aushang. „Da offenbar niemand mehr Lust hat, im Fischhandel zu arbeiten, müssen wir zu unserem großen Bedauern das Geschäft schließen.“
Auf Facebook äußern viele Kunden ihr Bedauern. „Der beste Fischhändler, bei dem ich je gekauft habe. Ein großer Verlust für den Mühlenkamp“, heißt es da. „Echt traurig. Ein Stück Mühlenkamper Kultur geht verloren.“ Oder auch: „Warum ist das eigentliche Personal nicht bereit gewesen zu arbeiten – beziehungsweise, wie es dazu gekommen ist, dass der Familie Böttcher Personal fehlt?“
Hamburg-Winterhude: Fisch-Böttcher am Mühlenkamp musste schließen
Mit dem kürzlichen Tod von Wilhelm Böttcher, der noch bis ins hohe Alter selber im Laden tätig war und auch auf den Fischmarkt fuhr, hat die Schließung nichts zu tun. Sein Großvater hatte das Geschäft gegründet. Doch als Wilhelm Böttcher 2018 im Alter von 80 Jahren schwer erkrankte und sich zurückzog, war keines der einstmals fünf Familienmitglieder mehr in dem Unternehmen tätig.
Zurück blieben Schwiegersohn Frank Giesler, der die Geschäftsführung übernahm, und acht Angestellte. Und eine Zeit lang ging alles gut. „Im vergangenen Sommer ging dann eine langjährige Mitarbeiterin in Rente, ein Mitarbeiter wollte sich beruflich verändern – und nach einem weiteren Abgang Ende des Jahres waren wir nur noch zu fünft“, sagt der 58-Jährige, der schon seine Lehre bei Fisch-Böttcher gemacht hatte und 1994 in den Betrieb eingestiegen war.
Fisch-Böttcher: Wegen Personalmangels wurden zunächst Öffnungszeiten eingeschränkt
Das Problem: Er fand kein neues Personal. Also schränkte er ab November die Öffnungszeiten ein, hatte nur noch zwischen 9.30 und 16 Uhr geöffnet. „Aber wir verkaufen ja keine Pullover. Wenn der Laden öffnete, hatten meine Mitarbeiter schon eineinhalb Stunden alles vorbereitet“, sagt Giesler, der selber jeden Morgen um 5.30 Uhr auf dem Fischmarkt war. „Und nach Feierabend musste alles wieder weggeräumt werden.“
In der Zwischenzeit hätten er und sein Team dann alles gegeben, um die Kunden zufriedenzustellen und sie trotz Unterbesetzung schnell zu bedienen. „Es will ja niemand eine halbe Stunde in der Warteschlange stehen.“ Doch die Arbeitsbelastung sei für alle zu hoch gewesen, Urlaube und Krankheitsausfälle waren nicht mehr zu kompensieren.
„Mittlerweile ist es ja so, dass die Leute nicht mehr arbeiten müssen“
„Wir konnten einfach nicht mehr. Daher musste ich das Geschäft schließen“, sagt Giesler – und man hört seiner Stimme an, dass ihm der Schritt nicht leichtgefallen ist. Vor allem auch wegen der Kunden. „Viele von ihnen waren uns seit Jahrzehnten treu. Ich hätte mich gerne netter und rechtzeitiger von ihnen verabschiedet.“
Aber er hatte Angst vor der Möglichkeit, dass – sobald seine Absicht, zu schließen, bekannt geworden wäre – sein Personal nicht mehr zur Arbeit erscheint. Er will es seinen Angestellten nicht unterstellen, sagt aber: „Mittlerweile ist es ja so, dass die Leute nicht mehr arbeiten müssen.“
Winterhude: Fischhändler macht Bürgergeld für Personalmangel mitverantwortlich
Die Begründung liefert er gleich hinterher: „Wer auf dem Arbeitsmarkt nur die Qualifikation für Verkauf oder Kasse hat, bleibt wegen des Bürgergeldes oft lieber zu Hause.“ Das gelte vor allem für die Jobs in kleinen Unternehmen wie seinem. „Hier geht es ja nicht nur um den Verkauf, hier muss auch vorher der Fisch verarbeitet und hinterher geputzt werden.“ Die wenigen Bewerber hätten Gehälter gefordert, die er nicht zahlen konnte.
Schon der Mindestlohn sei eine enorme Herausforderung gewesen, weil er sich auf die folgenden Gehaltsklassen ausgewirkt habe. „Es wurde für mich immer schwerer, meinen langjährigen Mitarbeitern entsprechend mehr zu zahlen als gesetzlich gefordert.“ Ein ebenso großes Problem waren die gestiegenen Energiekosten. „Die sind bei uns wegen der ganzen Kühlvorrichtungen ohnehin hoch.“ Über die Preise, die er habe anpassen müssen, hätten sich dann oft die Kunden beschwert. „Irgendwann habe ich gemerkt: So geht es nicht weiter.“
Hamburg: Auch Fischhändler Thomas Giesler aus Barmbek kritisiert Bürgergeld
Schwierigkeiten, Personal zu finden, hat auch sein Bruder Thomas, der das von den Eltern gegründete Geschäft Fische Giesler an der Fuhlsbüttler Straße in Barmbek führt. „Momentan geht es, denn wir haben zum Glück noch ein paar Leute. Aber wir finden keine neuen.“ In ein paar Jahren werde er also vor dem gleichen Dilemma stehen wie sein Bruder jetzt.
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Auch Thomas Giesler sagt: „Es geht den Leuten zu gut. Das merkt man im Handwerk, beim Bäcker oder eben bei uns.“ Auch er nennt das Bürgergeld als Grund. „Die meisten möchten ohnehin nur noch Teilzeit arbeiten – und bleiben, bevor sie einen anstrengenden Job im Verkauf annehmen, lieber zu Hause.“
Winterhude: Trauerspruch von Wilhelm Böttcher passt zum Schicksal seines Ladens
Wie solle der inhabergeführte Einzelhandel angesichts von Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche überleben? „Ich“, sagt Thomas Giesler, „arbeite jeden Tag 16 Stunden und kann das nicht mehr hören.“
Der Trauerspruch, den sich die Familie für die Todesanzeige von Wilhelm Böttcher überlegt hat, passt bereits zum Schicksal von Fisch-Böttcher – und könnte in ein paar Jahren auch zu dem von Fische Giesler passen: „Das Messer ist beiseite gelegt, der Matjes filetiert, der letzte Fisch zerlegt und die Schürze für immer an den Haken gehängt.“