Hamburg. Von Mozart bis Elon Musk: Ein Prozent der Bevölkerung ist von Autismus betroffen. Wie es dazu kommt und was schon bei Kindern auffällt.

Mozart war ein Autist, Physik-Genie Albert Einstein auch. Klimaaktivistin Greta Thunberg leidet unter dem Asperger-Syndrom, und auch Microsoft-Gründer Bill Gates hat schon öffentlich über seine autistische Veranlagung gesprochen. „Wir gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der Weltbevölkerung von einer sogenannten Autismus-Spektrum-Störung betroffen ist. Das Asperger-Syndrom ist darunter nur eine Form, von der aber womöglich der ein oder andere schon mal gehört hat“, sagt Privatdozentin Dr. Mandy Roy von der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll.

Es gebe eben unterschiedliche Ausprägungen von Autismus, sagt die Leitende Oberärztin, und doch finde man übergreifend ganz bestimmte Eigenschaften, die für Autisten typisch seien: „Autisten fehlt die angeborene natürliche Intuition für zwischenmenschliche Kommunikation“, sagt die Expertin. So würden autistische Menschen oft Blickkontakt vermeiden, was insbesondere im Kindesalter zunächst noch als ausgeprägte Schüchternheit interpretiert werde.

Autismus: Übermäßig ausgeprägte Spezial-Interessen weisen auf Störung hin

„Autisten sagen oft auch völlig ungefiltert, was sie gerade denken. Und das kann natürlich sehr verletzend sein und in Freundschaften, Partnerschaften und auch im Job zu Konflikten führen“, sagt die habilitierte Psychiaterin, die an der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll die Autismus-Ambulanz leitet.

Typisch für Autisten sei auch, dass sie häufig sehr ausgeprägte Interessen entwickeln. „Dass ein Kindergartenkind Dinosaurier spannend findet, ist erst mal eine normale Phase. Kennt es aber irgendwann jeden Subtypen und beschäftigt es sich tagelang ausschließlich mit Sauriern, blättert also vielleicht sogar dasselbe Buch dreimal hintereinander durch, dann kann es auffällig sein.“

Hamburger Expertin: Autisten brauchen oft Struktur, ein Korsett im Alltag

Sie habe auch mal einen jungen Betroffenen kennengelernt, der sich stundenlang Busfahrpläne angeschaut habe, auch jene aus ganz anderen Städten. „Das sind dann Momente, in denen Eltern vielleicht schon denken: Stimmt mit meinem Kind alles?“

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Autisten, die eine milde Form zeigen, seien natürlich durchaus selbstständig, können einem Beruf nachgehen, in Partnerschaften leben. „Aber es kommt eben mitunter zu Schwierigkeiten: Autisten brauchen Struktur, ein Korsett. Und das ist heutzutage in vielen Jobs, bei denen man morgens noch nicht weiß, was nachmittags passiert, nicht gegeben. Das verunsichert die Betroffenen“, sagt Dr. Mandy Roy.

Von Mozart bis Elon Musk: Es gibt immer wieder Autisten mit besonderer Begabung

Treffe Autismus auf eine ungewöhnlich ausgeprägte Begabung (was nicht überdurchschnittlich oft vorkomme), dann könnten „geniale Dinge“ entstehen – wie Mozarts Kompositionen. „Oder nehmen wir Elon Musk, der auch autistisch ist. Er erfindet Sachen und ist dabei so kreativ, dass es für uns mitunter die Grenze zum Wahnsinn überschreitet. Aber in seinem Kopf stellt er sich Dinge vor, die andere Menschen gar nicht begreifen können.“

Doch was ist die Ursache für Autismus? „Es gibt auf jeden Fall eine genetische Komponente“, sagt die Medizinerin. Seien Mutter und Vater bei der Zeugung des Kindes schon älter, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind autistische Neigungen habe. Doch im Detail sei es noch nicht erforscht. „Bis zu 300 Gene, die da hineinspielen, hat die Forschung mittlerweile identifiziert. Doch dann kommt es eben auf die individuelle Kombination an.“

„Bisschen autistisch“ – das wird oft über introvertierte Persönlichkeiten gesagt

Kann man denn auch „ein bisschen autistisch“ sein? „Schon“, sagt die Leitende Oberärztin, die in Hannover studiert und sich dort über das „Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter“ habilitiert hat. „Das sagen wir alle ja hin und wieder über Freunde oder Kollegen, die sehr introvertiert sind. Das ist dann aber natürlich noch keine Störung, sondern vereinzelte autistische Züge können Teil der Persönlichkeit sein.“

In die Ambulanz in Ochsenzoll kämen vor allem Betroffene, die irgendwann in der Partnerschaft oder im Job Probleme bekämen. „Sie kommen mit den Fragen: Was stimmt mit mir nicht, dass ich immer anecke? Wie kann ich das verändern?“ Der Behandlungsbedarf sei auch in Hamburg hoch, die Warteliste lang. Es könne mehrere Monate dauern, ehe man einen Termin anbieten könne. „Das zeigt, dass das Angebot für Menschen mit Autismus leider immer noch nicht besonders groß ist“, sagt die Ärztin.

Autismus: Psychotherapie mit Rollenspielen hilft den Betroffenen

Die Therapie sei zeitintensiv. „Da gibt es eben keine Medikamente, die man nimmt und alles wird besser. In der Regel erfolgt eine Psychotherapie, in der man beispielsweise in Rollenspielen übt, mit bestimmten Situationen des Alltags und des sozialen Miteinanders besser umzugehen.“

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Eltern eines autistischen Kindes empfiehlt die Expertin, sich Rat bei Kinder- und Jugendpsychiatern zu suchen. „Es ist ja eine Erkrankung, die oft doch schon im Kindesalter auffällt.“ Auch Selbsthilfegruppen seien eine gute Anlaufstelle, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.