Hamburg. Zehn Tipps gegen Anspannung und für mehr Wohlbefinden. Warum Beine anspannen, Farben fokussieren und Fremde ansprechen hilft.

  • Monica Blotevogel ist Kunsttherapeutin am UKE in Eppendorf und Spezialistin beim Thema Stress
  • Angst und Einsamkeit, Aufregung und Herzklopfen – Blotevogel weiß die Antwort darauf
  • Wie sich Stress im Alltag abbauen lässt

Sie kennt die ganze Bandbreite psychischer Erkrankungen, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen in der Psychiatrie und mit Geflüchteten. Monica Blotevogel, Kunsttherapeutin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ist eine Expertin für mentale Stärke. Mit ihren Kollegen hat sie alltagstaugliche Werkzeuge erarbeitet, mit denen jeder für mehr Wohlbefinden und weniger Stress im Alltag sorgen kann.

Sie sind Teil des Projektes Coreszon. Mit Coreszon (Community Resilience Network) möchten Monica Blotevogel und ihr Team präventiv arbeiten. Das eigene Wohlergehen, so Blotevogel, geht doch immer wieder auf zwischenmenschliche Verbindungen und Beziehungen zurück. Diese bilden ein Herzstück ihrer Arbeit. Ihr Programm richtet sich an Erwachsene, speziell an Eltern. Denn: „Elterliches Wohlbefinden ist ein Hauptschutzfaktor für Kinder und Jugendliche.“

UKE: Expertin rät, Resilienz wie einen Muskel zu trainieren

Ihr geht es um Stressbewältigung, um Resilienz, um die Fähigkeit, in Krisen gut für sich und füreinander sorgen zu können. „Resilienz entsteht bei Stressbelastung und ist wie ein Muskel, der sich erst bildet und dann trainiert werden kann“, sagt Blotevogel. Resilienz könne mit einfachen Übungen gestärkt werden – dafür gibt es folgende zehn Tipps.

Was man vielleicht gar nicht denkt: Kurze Zufallsgespräche können Menschen zufriedener machen. Es ginge dabei um einen Perspektivwechsel. „Wir merken dabei, dass andere Menschen, vielleicht anders als gedacht, durchaus Lust haben, sich mit uns zu unterhalten“, so Blotevogel.

UKE-Expertin gibt Tipps fürs Wohlbefinden: Mit fremden Menschen ins Gespräch kommen

„Je mehr lose Verbindungen wir mit Menschen pflegen desto höher ist das Wohlbefinden“, sagt Monica Blotevogel. Sie hat zum Beispiel einen solch losen Kontakt zu ihrer Lieblingskassiererin im Supermarkt, mit der sie sich fast täglich kurz austauscht.

Auf einer Parkbank, wie hier an der Binnenalster in Hamburg, kann es leicht sein, mit Fremden ins Gespräch zu kommen, und das kann guttun.
Auf einer Parkbank, wie hier an der Binnenalster in Hamburg, kann es leicht sein, mit Fremden ins Gespräch zu kommen, und das kann guttun. © picture alliance/dpa | Georg Wendt

Ihr Tipp: „Ruhig öfter mal jemanden ansprechen.“ Das ist gar nicht so schwierig. Blotevogel verspricht: „Man fühlt sich danach besser.“ Ein möglicher Anlass ist, dass einem zum Beispiel die Turnschuhe des Gegenübers gefallen. Also gern einmal ein Kompliment machen.

Soziale Kontakte können als Schutzschild gegen übermäßigen Stress dienen und für mehr Energie sorgen. „Denn wenn das Energiekonto durch Stress ins Minus geht, können wir körperlich krank werden.“

Tipp gegen Angst und Einsamkeit: Bewusst mit Freunden sprechen und Fragen stellen

Bei Stress, Angst oder Einsamkeit kann es helfen, sich gegenseitig Fragen zu stellen, die einen aufatmen lassen, um sich auf Gutes zu besinnen und Kraft zu schöpfen. Themen können sein: Was macht dir Mut? Was macht dir Freude?

Ein solch angeregtes, freudiges Gespräch mit Freunden zahlt auch aufs Energiekonto ein. Eine weitere Handlungsmöglichkeit dabei: „Wenn ein Freund von einem Erfolg erzählt oder Vorfreude auf etwas hat, dann gezielt nachfragen: Erzähl mir mehr davon. Offene Fragen stellen: Wie war das genau, wie ist es dazu gekommen?“

Zweiter Teil der Übung: „Darauf achten, was beim Gegenüber passiert: Fangen die Augen an zu strahlen? Verändert sich die Stimme? Wenn das passiert, wahrnehmen oder sogar sagen: Ich sehe, wie du strahlst, merkst du das auch?“

Resilienz stärken heißt nicht immer runterkommen zu müssen oder gar zu meditieren. Es kann genauso bedeuten, Energie zu laden, sich zu bewegen. Bei Stress können folgende Werkzeuge helfen.

Stress abbauen, indem man die Hände gegen eine Wand drückt

„Wenn ich mit beiden Händen ganz doll gegen die Wand drücke, und ich dabei meine Muskeln zum Einsatz bringe, auch die Oberschenkel und den Po, bewirkt das verschiedene Dinge im Körper, die sich auch geistig-emotional auswirken können“, so Blotevogel. Stress sei ein Signal an den Körper, dass man Bewegung braucht.

„Statt buchstäblich darauf sitzen zu bleiben, kann man die Großmuskeln aktivieren und den Bewegungsimpuls, der ja oft gern Kampf-Flucht-Reflex genannt wird, befriedigen.“ Das helfe dem Körper, Stresshormone zu verstoffwechseln, also abzubauen. Und es hat noch einen anderen tollen Effekt: „Ich spüre, wie stark ich bin.“ Auch der Kreislauf habe etwas davon: „Man fühlt sich frischer.“

UKE-Expertin: Wie man bei einem stressigen Meeting die Nerven behält

„Bevor man bei Besprechungen vor Anspannung ausrastet, weil man sich vielleicht ärgert, kann man seine Beine im rechten Winkel unterm Tisch anheben und anspannen, bis es anfängt unangenehm zu werden. Dann lockerlassen, und schon sitzt man fester auf dem Stuhl und fühlt sich lockerer“, rät Monica Blotevogel. Durch An- und Entspannung komme man runter, entspanne sich.

Zweiter Effekt: „Wenn ich müde bin, und meine Aufmerksamkeit nachlässt, ich mich nicht fokussieren kann, kann ich dadurch auch für frischen Sauerstoff für mein Gehirn sorgen.“

Augenübungen für mehr Energie oder zum Entspannen

Die Augen sind die Verlängerung des Nervensystems und damit die direkte Verbindung zum Gehirn. „Lichteinfall wirkt sich absolut auf die Stimmung aus“, sagt Monica Blotevogel. Deswegen sei es so wichtig, sich morgens ins Tageslicht zu stellen. Mit einem fokussierten Blick oder einem Blick in die Ferne verändert sich der Lichteinfall jeweils – das eine wirkt anregend, das andere entspannend.

Die Übungen dazu: „Man kann sich eine Farbe überlegen und dann alles in dieser Farbe im Raum suchen und das Objekt dann stark fokussieren, mindestens 30 Sekunden lang. Dadurch gibt der Körper Gas, bekommt mehr Energie. Es beschwingt einen. Das kann ich machen, wenn ich müde werde und ich mich nicht mehr konzentrieren kann“, so Blotevogel. Über unsere Augen können wir somit Stress regulieren.

Man kann auch das Gegenteil machen und in die Weite blicken. Der diffuse Lichteinfall führe dazu, dass das Nervensystem gebremst werde und herunterfahre. „Das entspannt.“

UKE: Expertin verrät, wie der Tastsinn Stress verringern kann

Wie fühlt sich der Tisch an? Warm oder kalt? Wie fühlt sich der Boden an? Weich oder hart? Tipp der UKE-Expertin: Flächen einmal bewusst berühren und wahrnehmen. Das könne man auch in der Bewegung machen. „Ich mache das auf dem Weg zu aufregenden Terminen, dass ich den Boden unter den Füßen spüre, und ich gehe nicht achtsam, sondern schnell und stramm. Das aktiviert meine Bremse im Nervensystem, und ich komme runter“, sagt Monica Blotevogel.

Die Berührung und die bewusste Wahrnehmung wirkten wie ein Anker, den man auswerfen könne. „Angenehme Berührungen aktivieren automatisch die Bremse des Nervensystems.“ Diese Übung könne helfen, im Stress die Nerven zu beruhigen – ohne, dass es jemand merkt. Man kann sie überall anwenden. Am wichtigsten ist, dass jeder diese Übung so macht, wie sie für ihn oder sie passt.

Tipp gegen Aufregung und Herzklopfen: Ein Glas kaltes Wasser trinken

Kaltes Wasser auf ex zu trinken, kann bei Stress helfen.
Kaltes Wasser auf ex zu trinken, kann bei Stress helfen. © picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke

Kühle Flüssigkeit reizt den Teil des Nervensystems, der sehr gut bremsen kann, sagt Blotevogel. Also: Ein Glas Wasser, Saft oder Tee auf ex trinken – das beruhige automatisch.

Stress vermeiden: Krafttraining mit Wasserflaschen oder Einkaufstaschen

Krafttraining ist eine gute Hilfe, um Angst und Depression abzuwehren. Aber: Ungeübte sollten mit kleinen Gewichten beginnen. Keine Hanteln? Gefüllte Wasserflaschen oder zwei gefüllte Einkaufstaschen genügen.

Nicht nur für das Wohlbefinden von Männern ist Krafttraining eine gute Sache, auch für Frauen.
Nicht nur für das Wohlbefinden von Männern ist Krafttraining eine gute Sache, auch für Frauen. © imago images/Eibner | imago stock

Denn: Eine der besten Strategien, Stress abzuwehren oder abzubauen, ist körperliche Anstrengung. Das Herz arbeitet dann stärker, aber auf eine viel angenehmere Art als bei Angst. Das ist positiver Stress. Er hilft dem Körper, die Auswirkungen von Angst und Stress-Überlastung auszugleichen.

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UKE-Expertin: Zwei Tipps gegen Stress – bewusst Atmen und im Kopf zählen

Einatmen und in Gedanken bis drei zählen. Luft anhalten und bis sechs weiterzählen. Langsam ausatmen und bis neun weiterzählen. Wenn das angenehm ist, mindestens fünfmal wiederholen. Was dahintersteckt: Langes Ausatmen aktiviert die Bremse des Nervensystems.

Anderer Tipp: Vorwärtsgehen und dabei zählen – von 20 abwärts. „Wir bewegen uns, strengen dabei den Geist an und sind gleichzeitig abgelenkt. Und Ablenkung ist bei all diesen Stressstoppern ein wichtiges Prinzip.“ Ist man ausgeglichen, ist diese Übung leicht, bei Stress hingegen anstrengend. „Diese Übung führt Kopf und Geist wieder zusammen“, sagt Monica Blotevogel.

UKE Hamburg bietet öffentliche Workshops zum Thema mentale Gesundheit an

Monica Blotevogel und ihre Kollegen von Coreszon laden regelmäßig zu öffentlichen Workshops ein (diese sind zum Teil kostenpflichtig). Am Dienstag, 26. September, findet die kostenlose Veranstaltung „Zusammen für die Zukunft – Mentale Gesundheit ist Gemeinschaftssache“ von 18.30 bis 20 Uhr vor Ort am UKE statt. Infos: www.coreszon.com/de/hamburger-stiftungstage-2023

Zum World Mental Health Day, dem Tag der mentalen Gesundheit, am 11. Oktober gibt es ab 18.30 Uhr auf Zoom kostenlose Infos zum Thema „Warum mit Fremden reden?“, Infos unter www.coreszon.com