Hamburg. Rund um den Mühlenkamp konkurrieren Sprayer um „Erfolge“ bei Instagram. Doch das sind nicht die einzigen Formen von Vandalismus.
Zerschlagene Scheiben, herumliegender Müll, Gestank nach Urin, eine zerstörte Fahrradservicestation – und täglich neue Graffiti an Hauswänden, Garagentoren und Brücken. Die Menschen, die rund um den Mühlenkamp in Winterhude wohnen und arbeiten, sind schwer genervt und werfen der Stadt Hamburg Untätigkeit vor.
„Täglich tauchen neue Schmierereien auf, die das Umfeld verschandeln“, berichtet Anwohner Thomas Clausen (Name geändert), der seit 2001 im Viertel lebt, in dem auch die oft aufgerissenen rosa Müllsäcke ein Ärgernis sind. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, um nicht ebenfalls Opfer der Sprayer zu werden.
Hamburg-Winterhude: „Desaströse Zustände“ rund um den Mühlenkamp
Bei diesen handelt es sich um zwei Gruppen, deren Schriftzüge „Hiper“ und „BIA“ auch über die Grenzen Winterhudes hinaus verbreitet sind. Sie posten ihre Tags bei Instagram, um in der Szene und von der Konkurrenz maximale Aufmerksamkeit zu bekommen. „Das spornt sie natürlich zu immer weiteren Taten an“, so Clausen.
Ein Blick auf die Instagram-Profile zeigt: Der Account von „Hiper“ hat 25.600 Follower; hier werden vor allem Fotos von großflächigen Tags auf Zügen gezeigt. Die Gruppe „thebiacrew“ (BIA bedeutet Brothers in Arms, auf deutsch: Waffenbrüder) mit rund 2230 präsentiert hingegen eher beschmierte Gebäude.
Gertigstraße und Mühlenkamp – Anwohner fühlen sich im Stich gelassen
Ein weiterer Erfolgsfaktor sei, dass Graffiti und Schriftzüge nicht entfernt würden. „Je länger der Tag eines Sprayers sichtbar ist, desto reizvoller ist es für ihn“, so Clausen. Da er selbst viel im Viertel unterwegs ist, weiß er, dass sich viele Menschen mittlerweile unwohl fühlen. Nicht unbedingt wegen der Graffiti, sondern weil sie sich von Polizei und Bezirksamt im Stich gelassen fühlen.
„Wir haben das Gefühl, dass die Stadt nicht gewillt ist, hier die öffentliche Ordnung herzustellen“, so der Betriebswirt. Dabei kenne doch jeder die „Broken-Window-Theorie“, der zufolge es einen Zusammenhang zwischen Verwahrlosung von Stadtvierteln und zunehmender Kriminalität und Vermüllung gebe. „Unordnungserscheinungen im öffentlichen Raum signalisieren eine mangelnde soziale Kontrolle.“
Hamburg-Winterhude: eingeschlagene Scheiben, Scherben und Kippen
Nachdem sich Clausen bereits im vergangenen Jahr beim Bezirk mit einer sogenannten Eingabe beschwerte, hat er das Anfang Juli vor dem Regionalausschuss Eppendorf-Winterhude wiederholt. „Die Zustände haben sich seitdem deutlich verschlimmert“, sagt er. Graffiti befänden sich mittlerweile an mehreren Brücken, an nahezu allen Strom- und Verteilerkästen, sämtlichen Bushaltestellen im Umkreis des Mühlenkamps, am Mauerwerk der Kanäle und an Wohn- und Geschäftsgebäuden.
Am Poelchaukamp seien mehrere Schaufenster eingeschlagen worden, zudem würden hier die Mülleimer überquellen. Die Bushaltestellen seien regelmäßig stark verunreinigt; dort häuften sich Flachmänner, Zigarettenkippen, Essens- und Getränkereste auf dem Gehweg. Oft rieche es auch nach Urin. Sogar im Reiseportal Tripadvisor gebe es Beschwerden über den Zustand im Viertel.
Gewerbetreibende vom Mühlenkamp sprechen von „desaströsen Zuständen“
„Irgendwie läuft das hier aus dem Ruder“, kritisiert Clausen. Von mehreren Anwohnern habe er gehört, dass im Viertel bereits überlegt werde, eine Bürgerwehr zu gründen. „Ich hoffe nicht, dass die Stadt es so weit kommen lässt – und dass sich der Unmut über die Untätigkeit des Staates bei der nächsten Bürgerschaftswahl abbildet.“
Philipp Kroll, der für die CDU in der Bezirksversammlung sitzt und in der IG Mühlenkamp die Interessen der Gewerbetreibenden vertritt, spricht von „desaströsen Zuständen“. Die Verschandelung des öffentlichen Raums sei auf das Versagen der Behörden zurückzuführen. „Wenn man Graffiti nicht gleich entfernt, kommen immer neue hinzu.“
Hamburg-Nord: 2022 und 2023 kein Geld für Graffiti-Beseitigung
Das Bezirksamt Hamburg-Nord gibt auf Nachfrage an, sich urlaubsbedingt erst in der nächsten Woche zum Thema äußern zu können. Tatsächlich wurden im Bezirk aber 2022 und 2023 keine Mittel für die Beseitigung von Graffiti zur Verfügung gestellt. Das erfuhr die CDU-Bürgerschaftsfraktion vor einem Jahr durch eine Kleine Anfrage – und es war jüngst Thema im Regionalausschuss. 2021 hatten noch knapp 30.000 Euro für die Entfernung der Graffiti zur Verfügung gestanden.
Die Polizei sehe das Phänomen „Graffiti“ als ein gesamtgesellschaftliches Problem, hieß es darin weiter, und richte sich mit „präventiven Botschaften/Informationen“ an Täter, Eltern, Erziehungsberechtigte, mögliche Zeugen und Geschädigte. Außerdem ständen die Flyer „Sprühende Fantasie kann teuer werden“ und „Illegale Graffiti“ an jeder Polizeidienststelle zur Verfügung.
Zivilfahnder, prompte Reinigung und Videoüberwachung in Winterhude gefordert
Clausen und Kroll fordern andere Maßnahmen. „Die Polizei sollte Zivilfahnder auf die Sprayer ansetzen und Graffiti auf öffentlichen Flächen umgehend entfernt werden. Auch Videoüberwachung wäre eine Möglichkeit.“ Würde das umgesetzt, dürfte das Viertel rund um den Mühlenkamp schnell uninteressant für die Sprayer werden – und, folgte man der Broken-Window-Theorie, auch schnell sauberer.
Dass die rote, von der IG Mühlenkamp gespendete Fahrradservicestation am Rande des Goldbekplatzes zerstört und das Werkzeug daraus gestohlen wurde, schreibt Kroll auch der Stadt zu. „Wir wollten das mehr als 2000 Euro teure Teil wegen der sozialen Kontrolle näher an der Bushaltestelle aufbauen. Aber das hat das Bezirksamt damals abgelehnt.“
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Hamburg-Winterhude: Zeugen für Beschädigung der Servicestation gesucht
Ein Kompromissstandort sei ebenfalls nicht bewilligt worden, weil die Station dann angeblich das denkmalgeschützte Goldbekhaus am gegenüberliegenden Ufer beeinträchtigt hätte. Die IG hat Anzeige wegen der demolierten Station erstattet, sucht aber auch auf eigene Faust nach Zeugen (info@ig-muehlenkamp.de).
Ob die gut frequentierte Servicestation ersetzt wird, kann Kroll noch nicht sagen. Versichert sei sie nicht gewesen. Und das Risiko, dass sie am selben Standort noch einmal aufgebrochen wird, wollten die Gewerbetreibenden sicher nicht eingehen.