Hamburg. Anfangs sind Narzissten oft faszinierend, doch dann kommt es oft anders. Zu den Ursachen und vier Warnsignalen.

„Wie erkenne ich einen Narzissten?“ Das Internet ist voll von „Tests“ dieser Art und auch diverse Frauenzeitschriften arbeiten sich immer wieder an dieser vermeintlichen Persönlichkeitsstörung ab.

„Leider wird der Begriff dabei etwas inflationär verwendet“, sagt Professor Dr. Claas-Hinrich Lammers. „Nicht jeder Mensch, der ein bisschen zu egoistisch oder überdurchschnittlich eitel ist, ist gleich ein Narzisst.“

Narzissmus: Stempel „Narzisst“ wird inflationär verwendet

Überhaupt werde mit dem Ausdruck „Narzisst“ einem Menschen allzu häufig ein Stempel aufgedrückt, kritisiert der Experte. Auch in Paartherapien werde gern dieses Etikett „Mein Mann ist ein Narzisst“ verwendet: „In der Regel wollen die Frauen damit aber zunächst einmal ausdrücken: Er interessiert sich zu wenig für mich“, sagt der Ärztliche Direktor und Chefarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik von der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, der viel zum Thema Narzissmus geforscht hat.

Während eitle oder egoistische Menschen häufig kein Problem mit ihrem Selbstwert hätten, sei dies bei deutlich narzisstischen Menschen der Fall: „Narzisstische Menschen sind permanent auf der Suche nach Bestätigung von außen, weil es ihnen an der nötigen Selbstliebe fehlt. Sie müssen andauernd eine innere Lücke füllen“, sagt der Experte.

Narzisstische Menschen ständig auf der Suche nach Bewunderung

Die Suche nach Bestätigung und der Wunsch nach Bewunderung seien an sich allerdings noch keine krankhaften Züge. „Beides ist sogar ein Stück weit notwendig, um erfolgreich zu sein. Die Kernfrage dabei ist: Was brauche ich, um befriedigt zu sein?

Reicht es, von Kolleginnen und Kollegen ab und an Anerkennung zu bekommen oder mal einen Halbmarathon gelaufen zu sein? Oder müssen mir täglich immer wieder neue Menschen signalisieren, wie toll und einzigartig ich bin? Dann ist man sicherlich schon im Grenzbereich.“

Narzissmus – Hamburger Chefarzt: Es gibt vier Warnsignale

Nun müsse man vorsichtig damit sein, Menschen „abzustempeln“: „Einer meiner Kollegen hat mal öffentlich gesagt, Thomas Gottschalk sei der typische Narzisst. Aber woher wollen wir das wissen? Ja, er tritt extrovertiert und sehr selbstbewusst auf. Aber das ist sein öffentliches Ich, vielleicht also auch nur eine Rolle.“

Doch trotzdem bleibt die Frage: Woran erkenne ich denn nun eine narzisstische Persönlichkeit? „Im Prinzip sind es vier Warnsignale“, sagt der Hamburger Chefarzt. „Erstens sind diese Menschen, übrigens eher Männer als Frauen, auf der ständigen Suche nach Bestätigung, Bewunderung und Anerkennung. Zweitens haben sie oft eine überhöhte Anspruchshaltung, wollen immer der Beste, der Reichste, der Attraktivste sein. Drittens – und das ist besonders problematisch – mangelt es ihnen an Empathie. Narzisstische Menschen sind weder in der Lage noch willens, sich ernsthaft mit den Bedürfnissen anderer Menschen zu befassen.“ Außerdem sind sie besonders „kompetitiv“, also stets im Wettbewerb: „Wer aus dem Umfeld womöglich besser ist, wird abgewertet.“

Narzisstische Persönlichkeiten wirken anfangs oft faszinierend

Oft seien Männer mit narzisstischen Zügen anfangs häufig sehr faszinierend. „Das sind so Menschen auf den ersten Blick“, sagt Professor Lammers, „charismatisch, sprühend, voller Energie. Beim dritten oder vierten Treffen merken Sie als Gegenüber dann aber vielleicht schon: Oh, es geht immer nur um ihn, ich komme hier gar nicht vor.“ Das heißt, das Gegenüber winkt ab, der narzisstische Mensch erfährt eine Zurückweisung und sucht sich eine neue Bühne.

Dieses Muster zeige sich auch in Partnerschaften. „Da gibt es oft Beziehungen, die so sechs Monate bis ein Jahr lang andauern. Dann wird es aber langweilig und, für narzisstische Menschen geradezu unerträglich, wird Nähe eingefordert. Und wenn es persönlich wird, suchen diese Menschen oft das Weite.“ Es folge eine neue „Liebe“, der Rhythmus beginne von vorn.

Narzissmus – Ursachen können in der Kindheit liegen

Irgendwann, vielleicht so ab der Mitte des Lebens, erkennen manche Betroffene selbst diese Muster – und suchen sich Hilfe: „Viele meiner Patienten sehen das, können es aber nicht durchbrechen.“ Da setze eine individuelle Therapie an, die Monate, vielleicht auch Jahre dauern könne. „Das ist nicht so: Da kommt einer, wir machen zwei Sitzungen und dann läuft der wieder. Dafür liegen die Motive zu tief.“

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Woher kommt denn überhaupt eine narzisstische Prägung? Aus der Kindheit? „Freud wird da auch immer etwas überstrapaziert“, sagt der habilitierte Chefarzt lachend. „Da spielen aber auch neben der kindlichen Prägung auch die Gene eine Rolle.“ Kinder, die übermäßig gelobt würden, hätten es womöglich schwer: „Irgendwann versiegt dann diese Quelle der Bestätigung aus dem familiären Umfeld und sie merken in der Schule oder später im Beruf: Oh, ich bin ja gar nicht so mega.“

Aber auch eine gegenteilige Behandlung in der Kindheit könne eine Ursache sein: Viele „Mini-Verletzungen“ und das Gefühl, zu wenig beachtet zu werden, könnten später dazu führen, immer neue Bestätigung zu suchen.