Hamburg. Die Betreuung in den Randzeiten fällt in immer mehr Einrichtungen aus. Auch die Aussichten sind düster. Was die Behörde sagt.
Für Kita-Träger ist es schon länger schwierig, Personal zu finden. Das ist nicht neu. Neu dagegen ist, dass immer mehr Kitas in Hamburg Betreuungszeiten längerfristig einschränken müssen, weil es nicht genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, um auch die Randzeiten anbieten zu können. Beim Landeselternverband LEA hat man die Situation sorgenvoll im Blick.
Kita Hamburg: Betreuung massiv eingeschränkt – Eltern in Sorge
„In der Elternschaft machen sich schon große Sorgen vor Herbst und Winter breit. Dass es auch in den aktuell wärmeren Monaten zu teils massiven, krankheitsbedingten Betreuungseinschränkungen kommt, lässt befürchten, dass mit einer regelmäßigen Kinderbetreuung zwischen Oktober und März nicht zu rechnen ist“, sagt LEA-Vorstandsmitglied Ellen Pietzarka. Im vergangenen Winter hatte es bereits krankheitsbedingte Probleme gegeben.
Aktuell gibt es laut Hamburger Sozialbehörde 1191 Kitas, in denen mehr als 81.000 Kinder betreut werden. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Kitas vor dem Hintergrund der wachsenden Kinderzahlen in der Hansestadt kontinuierlich gestiegen. Dadurch wird immer mehr Fachpersonal benötigt, das schwer zu finden ist.
Kita in Hamburg: Bewerbungslage „desaströs“
Bei der Ballin-Stiftung ist die Rede von einer „desaströsen“ Bewerbungslage. Die Ballin Kita im Volkspark hat beispielsweise die Eltern der betreuten Kinder informiert, dass bis Ende August der Früh- und Spätdienst wegfällt, weil trotz des Einsatzes von vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Personaldienstleisters händeringend weiteres „eigenes“ Personal gesucht wird.
„Die Einschränkungen stellen viele Familien vor ganz erhebliche Probleme – gerade weil die Kita-Betreuung oft ein elementarer Bestandteil des Familienlebens und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist“, sagt Jens Petri, Vorstand der Ballin-Stiftung, die 20 Kitas betreibt und in drei Einrichtungen die Randzeiten eingeschränkt hat. „Uns ist bewusst, dass eine Einschränkung der Betreuungszeiten nur das letzte Mittel sein kann, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.“ In der täglichen Betreuung müsse man immer die Aufsichtspflicht gewährleisten können, und das könne solche Einschränkungen leider nötig machen.
Kita: Auch die Stiftung Finkenau kennt Personalprobleme
Zum Mangel an Personal kommen laut Petri auch erhöhte krankheitsbedingte Fehlzeiten – auch das sei ein branchenübergreifendes Problem: „Wir müssen darauf achten, dass sich die Belastung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht weiter erhöht, um zu verhindern, dass wiederum die Fehlzeiten weiter steigen und wir in einen Teufelskreis geraten.“
Auch bei anderen Trägern kennt man Personalprobleme und dadurch nötige Einschränkungen bei der Betreuung. „Auch wir in der Stiftung Kindergärten Finkenau sind in Akutphasen des Personalmangels – durch beispielsweise offene Stellen und krankheitsbedingte Ausfälle – leider gezwungen, Öffnungszeiten einzuschränken“, sagen die Vorstände Linda Köster und Marko Bleiber. „Dabei wird in der Regel die Öffnungszeit ,nach hinten’ (nachmittags bzw. abends) gekappt, die Kinder müssen dann früher abgeholt werden.“
Ausflüge, Exkursionen, Elterngespräche – dafür fehlt manchmal die Zeit
Bei zahlenmäßig höheren Personalausfällen könne es auch vorkommen, dass man die Betreuungszeit morgens kürzen müsse. In diesen Situationen werden die Eltern zusätzlich gebeten, ihre Kinder – falls möglich – anderweitig zu betreuen.
Es könne auch vorkommen, dass aufgrund von Personalmangel bestimmte Aufgaben der mittelbaren Pädagogik weggelassen werden müssen. „Dies betrifft unter anderem die Bildungsdokumentation, Elterngespräche, Vorbereitungszeiten für Projekte und Ähnliches. Darüber hinaus sind in solchen Phasen Exkursionen und Ausflüge bedauerlicherweise nicht mehr zu realisieren“, so Köster und Bleiber.
Denn der Fokus müsse dann auf eine reine Betreuung gelegt werden. Aktuell gibt es bei der Stiftung Finkenau mit ihren 30 Einrichtungen und 567 Mitarbeitenden 34 offene Stellen, darunter Teilzeitstellen.
Gesetzliche Standards dürfen in Kitas nicht unterschritten werden
Im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein mit seinen 83 Kitas (plus drei Eltern-Kind-Zentren und sieben Grundschulbetreuungen) kennt man das Problem. Die meisten Kitas im Kirchenkreis sind in der Trägerschaft des Kita-Werks (67 Kitas), einige sind in der Trägerschaft von Kirchengemeinden (14 Kitas) und zwei sind in der Trägerschaft des Diakonischen Werks.
Karin Müller, Geschäftsführerin des Kita-Werks, sagt: „Auch wir haben hohe Ausfälle in den Einrichtungen durch Krankheiten. Wir schränken die Betreuung bei Personalengpässen in den Einrichtungen ein, sobald wir den gesetzlichen Standards und der Aufsichtspflicht nicht nachkommen können. Die Einschränkungen sind sehr unterschiedlich – mal Früh- und Spätdienste, mal eine Gruppe, mal nur die Kinder, deren Eltern unserer Bitte, die Kinder zu Hause zu betreuen, nicht nachkommen können.“
Rund 80 Stellen in den Einrichtungen des Kita-Werks, für das zurzeit 1450 Menschen arbeiten, seien derzeit unbesetzt.
Kita Hamburg: 14 Stellen beim DRK Kreisverband unbesetzt
Beim DRK Kreisverband Hamburg-Harburg bemüht man sich, Einschränkungen in den 17 Kitas in Hamburg und speziell im Hamburger Süden zu vermeiden – aber punktuell und vorübergehend komme es zu Personalknappheit. Aktuell sind 14 Stellen ausgeschrieben. Katja Philipp, Geschäftsführerin der DRK Pädagogik, sagt: „Die Kinder und Eltern der Kitas sollen und können sich generell auf unser Angebot verlassen.“ Beispielsweise habe das „Kinderwaldschlösschen“ in Heimfeld weiterhin Betreuungszeiten von 5.30 bis 21 Uhr von Montag bis Sonnabend.
Bei den Elbkindern in Hamburg gibt es einen Erzieher-Springerpool
Bei den Elbkinder-Kitas mit rund 180 Kitas, in denen circa 5000 pädagogische Fachkräfte arbeiten, sieht es nach Angaben einer Sprecherin etwas besser aus. Im Online-Karriereportal sind ihren Angaben zufolge 136 Stellen für pädagogisches Personal in Hamburg zu besetzen, also umgerechnet 2,7 Prozent (Stand 15. Juni 2023).
„Insgesamt spüren die Elbkinder wie die anderen Träger die angespannte Lage bei der Gewinnung neuen Fachpersonals“, sagt Elbkinder-Sprecherin Katrin Geyer. „Dennoch ist die Betreuung in unseren Einrichtungen in der Regel gewährleistet, da wir dort auf enge Personalsituationen flexibel reagieren und die Betreuung durch entsprechende Organisation zu sichern versuchen.“ Die Elbkinder als großer Träger hätten dafür beispielsweise einen Erzieher-Springerpool, der dort zum Einsatz kommt, wo eine Einrichtung aus eigener Kraft eine durch Krankheit dünne Personaldecke nicht mehr kompensieren könne.
Landeselternverband LEA verfolgt Situation mit Sorge
„Zu den im Notfall ergriffenen Maßnahmen kann das vorübergehende Zusammenlegen von Gruppen oder die Einschränkung von Früh- und/oder Spätdienst gehören“, so Geyer. „Solche Einschränkungen werden aber nicht regelhaft, sondern nur bei einem gravierenden Personalausfall vorgenommen, weil hier die Aufsichtspflicht über die Kinder nicht mehr verlässlich sichergestellt werden kann. Selbstverständlich prüfen wir immer genau. Vor allem aber möchten wir diese Situation vermeiden.“
Beim Landeselternverband LEA verfolgt man die Situation in den Kitas „nun schon eine Weile mit Sorge“, sagt Vorstandsmitglied Ellen Pietzarka. „Wir sind im Gespräch mit der Sozialbehörde und haben dort die Lage appellierend bereits platziert.“ Man hoffe, mit den nächsten Gesprächsrunden, die anstehen, dass Kita-Träger, Gewerkschaften und Eltern einen guten Konsens finden, um die Situationen in der Kinderbetreuung stetig anzugehen und zu verbessern.
Hamburg investiert 1,1 Milliarden Euro pro Jahr in Kitas
Ernsthafte politische Bemühungen, dem entgegenzuwirken, ließen sich in Bundestag oder Senat nicht erkennen, kritisiert Pietzarka: „Dass sich Abgeordnete des Bundestages lieber auf Twitter über das unsere Kinder vermeintlich gefährdende Gendern streiten, anstatt an tatsächlichen Verbesserungen für eben diese Kinder zu arbeiten, lässt tief blicken. Die Personalsorge in der Kindertagesbetreuung wächst und wächst –doch politisch aufgreifen mag dieses Thema keine der großen Parteien. Wie das trotz der Millionen von betroffenen Eltern und Kinder sein kann, erschließt sich uns nicht.“
Die Stadt Hamburg investiert jährlich rund 1,1 Milliarden Euro in Hamburgs Kitas, wie die Sozialbehörde mitteilt. „In Hamburgs Kitas findet viel mehr statt als nur reine Kinderbetreuung. Den Kindern werden hier frühzeitig sprachliche und soziale Kompetenzen vermittelt. Gleichzeitig sind die Kitas ein zentraler Baustein für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, sagt Behördensprecherin Stefanie Lambernd.
Kita Hamburg: Personalschlüssel heute deutlich besser als vor zehn Jahren
Inzwischen werde beinahe jedes zweite Kind im Krippenbereich (unter 3 Jahre) und die allermeisten Kinder im Elementarbereich (3 Jahre bis Schuleintritt) in einer Kita oder in der Kindertagespflege betreut. Gleichzeitig habe der Senat Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuungsqualität vorgenommen. Der Fachkräfteschlüssel im Krippenbereich hat sich zwischen 2015 und 2021 von 1:6 auf 1:4 verbessert. Im Elementarbereich soll zum 1. Januar 2024 ein Fachkraftschlüssel von 1:10 erreicht werden. Anfang 2023 waren es 1:10,2.
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Laut Lambernd ist auch Zahl der Beschäftigten in diesem Berufsfeld gestiegen – bei den pädagogischen Fachkräften in Hamburger Kitas von 2011 bis 2021 von 11.378 auf 18.572. Auch wenn man dies in Relation zu der ebenfalls gestiegenen Zahl von betreuten Kindern setze, stehe heute aufgrund qualitativer Verbesserungen deutlich mehr Personal pro Kind zur Verfügung als vor zehn Jahren.
Zahl der betreuten Kinder in Hamburg stieg um fast ein Drittel seit 2010
Allein seit 2010 hat sich laut Lambernd die Anzahl der Kitas, die am Kita-Gutschein-System teilnehmen, von 902 auf nun 1191 erhöht – und die Zahl der betreuten Kinder von rund 52.600 auf circa 81.700 (Stand 2022). „Diese Ausbaudynamik wird sich auch weiter fortsetzen. Daher braucht Hamburg in der Tat ständig neue Kita-Fachkräfte. Das wird auch in jedem Jahr des kommenden Jahrzehnts so bleiben“, so die Behördensprecherin.
Von 2022 bis 2026 werde seitens der Sozialbehörde mit einem Mehrbedarf von circa 1000 pädagogischen Fachkräften gerechnet, also etwa 200 pro Jahr. Hinzu komme der Ersatzbedarf durch Renteneintritt und aus anderen Gründen. Hier rechnet die Sozialbehörde mit einem Bedarf von 300 bis 350 Fachkräften pro Jahr.
Hamburger Sozialbehörde rechnet mit hohem Fachkräftebedarf bis 2026
Nicht zu prognostizieren sei der Mehrbedarf aufgrund nicht erfüllter Elternwünsche und demografischer Entwicklungen. „Insgesamt kann also bis 2026 mit einem Bedarf pro Jahr von mindestens 500 bis 550 pädagogischen Fachkräften gerechnet werden“, sagt Lambernd.
Hamburg hat daher bereits die Ausbildungskapazitäten deutlich erhöht und die berufsbegleitenden Formate weiter ausgebaut. Die Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistenz (SPA) sei auch für junge Menschen mit einem erweiterten ersten Schulabschluss geöffnet, ohne die hohen Ausbildungsstandards zu senken, und ein Einstieg in die Erzieherausbildung an der Fachschule Sozialpädagogik sei leichter möglich.
Kita Hamburg: Behörde nimmt starke Belastung der Mitarbeiter wahr
Neben dem Ausbau der Ausbildungskapazitäten an Fach- bzw. Berufsfachschulen seien Möglichkeiten für einen Quereinstieg in das Arbeitsfeld geschaffen worden.
Aber auch die Sozialbehörde nehme eine starke Belastung der Mitarbeitenden in den Hamburger Kitas wahr, sagt Lambernd. Die Gründe seien vielfältig: „Zum Beispiel hohe Krankenstände, gestiegene Belastung in Folge aktueller Krisen, hohe Fluktuation mit der Folge erhöhter Anforderungen an die Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen, Schwierigkeiten, geeignete, zu der ausgeschriebenen Stelle passende Fachkräfte zu finden.“ Die Sozialbehörde nehme die Situation sehr ernst und sei mit allen Beteiligten im Gespräch, um gemeinsam Maßnahmen zu erarbeiten.