Hamburg. Beamte des Bezirksamtes Nord hatten Tickets für das Konzert der Rolling Stones bekommen. Auch ein CDU-Politiker nutzte das Angebot.
Im Büro von Harald Rösler klaffen seit Mittwoch Lücken in den Aktenschränken. Die Unterlagen des Leiters des Bezirksamts Nord sind in Händen der Staatsanwaltschaft. Anhand der Papiere, die bei einer stundenlangen Razzia im Bezirksamt sichergestellt wurden, soll unter anderem geklärt werden, wer dort die 100 Freikarten für das Rolling-Stones-Konzert im September entgegengenommen hat, an wen sie weitergegeben wurden und ob dafür Gegenleistungen erbracht wurden. Der Verdacht gegen Rösler ist gravierend: Es geht um Bestechlichkeit.
Bezirk stellte nicht den erforderten Antrag
Belastet wird der Amtsleiter zusätzlich dadurch, dass er es offenbar unterlassen hat, die Genehmigung seiner Vorgesetzten in der Finanzbehörde, der damaligen Bezirks-Staatsrätin Elke Badde (SPD), einzuholen. „Ein entsprechender Antrag zur Annahme von 100 ,Freikarten‘ wurde vom Bezirksamt Hamburg-Nord nicht an die Finanzbehörde gestellt“, teilte diese am Donnerstag auf Abendblatt-Anfrage mit.
Dabei sieht die entsprechende „Bekanntmachung über die Annahme von Belohnungen und Geschenken“ das zwingend vor: „Wer Belohnungen und Geschenke annimmt, die über die erlaubte Kleinstgrenze hinausgehen, muss die Annahme laut dieser Richtlinie vom Dienstvorgesetzten genehmigen lassen“, stellte die Finanzbehörde klar.
Neben dem Bezirksamt wurden auch die Geschäftsräume des Hamburger Konzertveranstalters FKP Scorpio durchsucht, der Röslers Behörde die 100 Freikarten für das Konzert im Stadtpark zur Verfügung gestellt hatte. Hier ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Bestechung.
Bis zu drei Jahre Gefängnis wegen Bestechlichkeit
Das für Amtsvergehen zuständige Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) der Innenbehörde beschäftigt sich seit dem 28. September offiziell mit dem Fall. Damals hatte die Linken-Fraktion in der Bezirksversammlung eine Kleine Anfrage gestellt. Demnach hatte Rösler schon im Mai 25 Bezirksamtsmitarbeitern je zwei Karten angeboten, ebenso 25 Bezirksabgeordneten. Zudem war eine anonyme Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.
Während sich die Abgeordneten mit der Annahme nicht strafbar gemacht haben, könnte es bei den Bezirksamtsmitarbeitern anders aussehen. Auf Bestechlichkeit stehen nach dem Gesetz in einem offenbar „minder schweren Fall“ wie diesem bis zu drei Jahre Gefängnis – dafür müsste sich jedoch der Verdacht erhärten, dass sie eklatant „Dienstpflichten verletzt“ oder bestimmte Gegenleistungen für die Freikarten erbracht haben.
Zunächst richten sich die Ermittlungen allerdings nur gegen Rösler und FKP Scorpio. „Wir prüfen, ob weitere Personen für den Umgang mit den Freikarten verantwortlich waren“, sagte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Abgeordnete von Razzia überrascht
Die Bezirksabgeordneten wurden von der Razzia im Bezirksamt überrascht. „Ich bin von den Socken“, sagt Michael Werner-Boelz, Vorsitzender der Grünen-Fraktion. Konsequenzen für den Bezirksamtsleiter befürchtet er nicht. „Herr Rösler hat über 50 Jahre lang gute Arbeit geleistet“, sagt er. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Domres wundert sich über die Razzia: „Ich weiß nicht, warum die Staatsanwaltschaft hier durchsucht hat“, sagt er.
Die oppositionelle CDU will die Dinge vorerst nur beobachten. „Das ist ein juristischer Vorgang, der für Herrn Rösler erst einmal keine Konsequenzen hat“, sagt der Fraktionschef Andreas Schott. „Es gilt die Unschuldsvermutung.“ Schott korrigierte unterdessen Aussagen, wonach seines Wissens kein CDU-Bezirksabgeordneter Freikarten angenommen habe: „Nach heutigem Kenntnisstand hat ein Fraktionsmitglied das Freikarten-Angebot genutzt.“
Auch die Linke zeigte sich überrascht von der Durchsuchung und erhob keine Rücktrittsforderungen gegen Rösler: „Er hat vielleicht gedacht, er tut mit seiner Freikartenaktion etwas Gutes“, sagt Fraktionschefin Karin Haas.
Politiker fordern „lückenlose Aufklärung“
In der Bezirksversammlung verlas am Abend der stellvertretende Amtsleiter Tom Oelrichs eine kurze Erklärung. „Es scheint dem Verdacht nachgegangen zu werden, dass eine rechtswidrige Genehmigung des Konzerts erteilt wurde – gegen die Überlassung von Eintrittskarten“, hieß es. Auch die Bürgerschaft verfolgt den Vorgang mit Interesse.
„Wir erwarten vom Bezirksamt Nord und der Finanzbehörde eine lückenlose Aufklärung des Vorwurfs der Bestechlichkeit und Vorteilsnahme“, sagte FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein. „Sonst besteht die Gefahr, dass das Ansehen der öffentlichen Verwaltung beschädigt wird.“ Allerdings gelte die Unschuldsvermutung.
„Durch den nicht wegzuinterpretierenden Verdacht eines Zusammenhangs der Veranstaltungsgenehmigung mit dem Freikartenkontingent nimmt das Ansehen von Verwaltung und Politik Schaden“, sagte Stephan Jersch (Linkspartei). Er forderte Aufklärung darüber, wer die Karten bekommen hat.