Hamburg. Ermittlungen wegen Tickets fürs Konzert im Stadtpark. Auch Theater vergeben kostenlose Plätze – allerdings in kleinerem Umfang.
Schon Tage vorher waberten Gerüchte über Freikarten durchs Bezirksamt Nord und die Bezirksversammlung. Viele Behördenmitarbeiter und Bezirkspolitiker werden sich deshalb zurückgelehnt haben, als die Zeitungen am 10. Mai die gute Nachricht unters Volk brachten: Die Rolling Stones kommen nach Hamburg! Konzert im Stadtpark! Sie werden sich zurückgelehnt haben, als am 12. Mai der Vorverkauf begann und nach wenigen Stunden mit dem Ausverkauf beendet war.
Kurz darauf, am Mittag des 17. Mai, verschickte das Bezirksamt Nord eine Mail an Behördenmitarbeiter und Mitglieder der Bezirksversammlung. Darin stand: „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass für Sie zwei von insgesamt 100 Frei-Tickets für das Konzert der Rolling Stones am 09.09.2017 hinterlegt werden.“ Nun beschäftigt sich der Staatsanwalt mit dem Geschenk. Eine Abendblatt-Recherche zeigt: Eine so umfangreiche Bereitstellung von Freikarten für Bezirksamtsmitarbeiter ist selten.
Andere Regelung in Elbphilharmonie
So werden beispielsweise im Deutschen Schauspielhaus sechs kostenlose „Dienstkarten“ pro Premiere an Senatsmitglieder, Deputierte und Mitglieder des Kulturausschusses sowie Mitarbeiter der Kulturbehörde vergeben. Bei der Staatsoper können die „fachlich zuständigen Mitarbeiter der Kulturbehörde“ auf Wunsch kostenlose Dienstkarten erhalten. 114 solcher Karten waren es in der Spielzeit 2016/17.
In der Elbphilharmonie gibt es keine vergleichbare Freikartenregelung. Auch die Karsten-Jahnke-Konzertdirektion geht zurückhaltend mit solchen Karten um. Für ihre Veranstaltungen auf der Freilichtbühne des Stadtparks und in der Alsterdorfer Sporthalle bekomme das Bezirksamt Nord „generell keine Freikarten“, heißt es. „Auf Anfrage“ erhalte die Behörde bis zu zehn Arbeitsausweise, mit denen man auch in den Backstagebereich komme.
Kein Kommentar aus Bezirksamt
Im Bezirksamt Nord will sich zu den ungewöhnlichen Frei-Tickets fürs Stones-Konzert mittlerweile niemand mehr äußern. Der Amtsleiter Harald Rösler (SPD) ist erkrankt. Auch der Konzertveranstalter FKP Scorpio äußert sich nicht. Wesentliche Teile des Sachverhalts sind allerdings unstrittig. Die Frei-Tickets bestanden aus Stehplätzen (98,53 Euro) und Sitzplätzen (168,40 Euro). Sie wurden paarweise vergeben. Zweimal 25 Karten wurden „Bezirksamtsmitarbeitern und ihren Partnern als Anerkennung der Mehrarbeit und mit dem Ziel ihrer Präsenz in der Veranstaltung angeboten“.
So steht es in der Antwort des Bezirksamts auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke. Die übrigen 50 Karten gingen demnach an Mitglieder der Bezirksversammlung. Dort kamen sie offenbar sehr ungleichmäßig an. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Andreas Schott hat das Kartenangebot nicht angenommen („Ich habe Tinnitus“). Weitere Angebote an Mitglieder seiner Fraktion seiem ihm nicht bekannt. Bei den Grünen wurden drei Fraktionsmitglieder bedacht. „Alle haben abgelehnt“, sagt Fraktionschef Michael Werner-Boelz, „das war die sauberste Lösung“. Thomas Domres, Fraktionschef der SPD, nahm die beiden Sitzplatzkarten an. Seine Frau und er haben das Konzert genossen. „Wir haben da viele Bezirksabgeordnete gesehen, auch aus anderen Fraktionen“, sagt er.
Die Rolling Stones im Stadtpark:
Die Rolling Stones im Stadtpark
Den ehrenamtlich tätigen Abgeordneten ist es wohl bestenfalls moralisch zum Vorwurf zu machen, das Geschenk angenommen zu haben. Auch Domres, der die Aktion verteidigt, hatte offenbar Bedenken. Denn er berichtet ungefragt, er habe dem Kulturhaus Eppendorf 300 Euro gespendet – etwa den Gegenwert seiner Stones-Karten. Ganz anders sieht es bei Behördenmitarbeitern aus. Sie dürfen keine Geschenke annehmen. In einem Rundschreiben des Hamburger Personalamts heißt es: „Die Annahme jeglicher Art von Belohnungen, Geschenken oder sonstigen Vergünstigungen in Bezug auf das Amt oder die dienstliche Tätigkeit ist allen Beschäftigten verboten.“ Und weiter: „Ein Verstoß gegen dieses Gebot zieht regelmäßig arbeits- oder dienstrechtliche – im Beamtenverhältnis auch disziplinarrechtliche – und strafrechtliche Folgen nach sich.“
„Die Anzahl der Karten ist absurd hoch“
Das klingt bedrohlich. Und es wird noch ein bisschen bedrohlicher, wenn man sich die zeitlichen Abläufe anschaut. Zwischen Mai, dem Schenkungsmonat, und September, dem Konzertmonat, hatten der Konzertveranstalter FKP Scorpio und das Bezirksamt Nord noch viele Detailfragen zum Stadtpark zu klären. Wollte FKP Scorpio mit seinen Freikarten für gute Stimmung in der Behörde sorgen? Gisela Rüß, Vorstandsmitglied von Transparency International, hält die Schenkung für „nicht genehmigungsfähig“. „Die Anzahl der Karten ist absurd hoch“, sagt sie. Es dürfe nicht einmal der Verdacht entstehen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Schenkung und der behördlichen Dienstleistung geben könne.
Schützen könnte die Behördenmitarbeiter, dass sie sich wohl auf eine Ausnahmegenehmigung zur Annahme der Karten berufen können. Die hatte der Bezirksamtsleiter Harald Rösler im Mai erteilt. Er dürfte deshalb im Fadenkreuz der Ermittler stehen. Ob er, wie es vorgeschrieben ist, vor seiner Entscheidung die Zustimmung der Staatsrätin für Bezirke und Finanzen, Elke Badde (SPD), eingeholt hat, bleibt unklar. Die Finanzbehörde wollte diese Frage nicht beantworten. Allerdings will sie nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „gegebenenfalls dienst- rechtliche Konsequenzen ziehen“.
So ganz nebenbei hat sich das Bezirksamt Nord auch noch als Kartenhändler betätigt. Am 17. Mai, als längst alle Stones-Karten vergriffen waren, schrieb die Behörde per E-Mail an ihre Mitarbeiter, man habe Zugriff auf ein „kleines Kontingent“ verschiedener Kategorien: „A: 98,53 Euro Stehplatz. B: 168,40 Euro Tribünensitzplatz (ziemlich gut). C: 222,15 Euro Tribünensitzplatz (besser).“ Eine ungenannte Zahl von Mitarbeitern griff zu.
Mitarbeit: Andreas Dey, Marc Hasse, Maike Schiller und Holger True