Hamburg. Ralf W. schoss auf einen spielenden Jungen. Das Gericht kaufte ihm sein Geständnis in vielen Punkten nicht ab.

ßerlich ist Ralf W. nichts anzumerken, der große Mann im grauen Kapuzenpulli wirkt beherrscht, er faltet die Hände und blickt ruhig nach vorne, zum Gericht. Dabei dürfte das Urteil dem 54-Jährigen kaum passen. Gerade hat ihn das Amtsgericht, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das bedeutet, sofern das Urteil Rechtskraft erlangt: drei Jahre Gefängnis, Bewährung ausgeschlossen.

Ralf W. hat ein Kind angeschossen. Auf einem Spielplatz. Weil es dort, wo es laut sein durfte, laut war. Er habe „Luft abgelassen“, sagte der 54-Jährige später vor Gericht. Zwar feuerte er „nur“ mit einem Luftgewehr, aber das war aufgemotzt wie echtes Kriegsgerät: Schalldämpfer, Zielfernrohr, dazu spitze, messingummantelte Diabolo-Geschosse, wie sie bei der Jagd auf Kleintiere eingesetzt werden. Im Internet werden derartige Projektile beworben mit Slogans wie: „Die durchschießen alles, was sich Ihnen in den Weg stellt!“

Ralf W: Das gab so ein ätzendes Geräusch

In den Weg gestellt hat sich Ralf W. am 23. Juli 2016 niemand. Damit bei dem früheren Bundeswehroffizier an diesem schönen Sommertag die Sicherungen durchbrannten, reichte es völlig aus, dass etwa 35 Meter von der Wohnung seiner Freundin entfernt ein Kind auf dem Spielplatz am Alsterberg Freistöße übte und dabei den Fußball mehrmals gegen einen Zaun drosch. „Das gab so ein ätzendes Geräusch“, sagte der 54-Jährige. Wegen eines Tinnitus sei er besonders lärmempfindlich.

Und an jenem 23. Juli, nach einer strapaziösen Fahrradtour, auch ruhebedürftig gewesen. Gegen 16.30 Uhr schnappte er sich voller Wut sein neues Luftgewehr mit einer Durchschlagskraft von 7,2 Joule, lud durch und gab zwei Schüsse auf den 13 Jahre alten Jungen ab. Tim J. traf eine Kugel nahe der Leber. Er musste in Vollnarkose operiert werden, über die Tat kann er noch immer nicht sprechen. „Da hätte eine Menge mehr passieren können“, sagt Amtsrichterin Monika Schorn. Ebenso gut hätte das Geschoss den Jungen im Bereich der Augen, der Halsschlagader oder der Schläfe treffen können – mit dann vermutlich erheblich schlimmeren Folgen.

Richterin: Sie hätten einfach Ohropax nehmen können

Richterin Schorn spricht von einer „gefährlichen Körperverletzung“, nicht nur wegen des Einsatzes der Waffe, sondern auch, weil die Tat das Leben des Jungen potenziell gefährdet habe. Die Annahme eines „minderschweren Falls“ verbiete sich hier. Ursprünglich war gegen Ralf W. wegen eines heimtückischen Mordversuchs ermittelt worden. Über ein versuchtes Tötungsdelikt lasse sich in diesem Fall zwar diskutieren, so Schorn. Letztlich reichten die Indizien dafür aber nicht aus.

Die Richterin spricht am Donnerstag von einer „unfassbaren Tat“. Lärm hin oder her – es sei nicht hinnehmbar, dass auf ein Kind geschossen werde. Gerade Ralf W. als Soldat, als jemand, der also die Schießordnung kennt und im Umgang mit Waffen geschult ist, hätte mit der Situation, mit dem Lärm, anders umgehen müssen. „Sie hätten einfach Ohropax nehmen können.“ Um solche Situationen künftig zu vermeiden, ist der lärmgeplagte Angeklagte inzwischen umgezogen, ins Hamburger Umland: Dort sei es ja ruhiger.

Gleich in mehreren Punkten habe das Gericht dem Angeklagten nicht geglaubt, so Schorn. Objektiv habe Ralf W. die Tat zwar gestanden und damit dem Jungen eine Aussage vor Gericht erspart. Auch habe der 54-Jährige Reue gezeigt. Doch dass er gezielt auf Tim schoss, um ihn zu verletzen, wovon das Gericht überzeugt ist, hatte Ralf W. stets abgestritten. „Sie haben versucht, vieles zu ihren Gunsten zu relativieren“, sagt Schorn. So habe der Angeklagte unter anderem erklärt, er habe auf die Füße des Jungen gezielt und einen Warnschuss abgeben wollen. Ein fußballspielender Junge könne den geräuscharmen Schuss aus einem Luftgewehr aber gar nicht hören. Und: Wenn der Angeklagte auf die Füße des Kindes gezielt hätte, hätte er es gar nicht getroffen. Grund: Die Zieloptik sei so kalibriert gewesen, dass es eine Abweichung des Schusskanals um 22 Zentimeter nach unten gegeben habe.

Zudem habe der 54-Jährige ausgesagt, dass er sich das Gewehr zugelegt habe, um sich als Sportschütze zu versuchen. Doch statt mit den Zielscheiben im Keller zu üben, habe er nur auf Vögel nahe der Wohnung geschossen, „zu jeder Tag- und Nachtzeit“. Das Verhalten spreche dafür, dass Ralf W. mit dem Gewehr vor allem andere „ätzende“ Lärmquellen wie gurrende Tauben oder Elstern ausschalten wollte.

Der Fall geht in die nächste Instanz, daran lässt die Verteidigung keinen Zweifel. Richterin Schorn gibt dem 54-Jährigen noch einen Tipp mit auf den Weg. In der Berufung sei er gut beraten, ein „volles Geständnis abzulegen“. Schorn: „Sie sollten außerdem über eine Verhaltenstherapie nachdenken. Damit Sie lernen, besser mit Ihrer Lärmempfindlichkeit umzugehen.“