Hamburg. Die Bestattungskultur ist im Wandel. 80 Prozent der Beisetzungen auf dem Friedhof Ohlsdorf sind inzwischen Urnenbestattungen.
Die Filteranlage surrt monoton vor sich hin. Es ist warm. Eine Spur von Kalk liegt in der Luft. Zwei mächtige Öfen ragen tief in den fensterlosen Raum hinein. Durch eine münzgroße Luke wirft Achim Fleer einen Blick in das Feuer, das in dem rechten der beiden Gehäuse lodert. In wenigen Minuten wird hier ein hölzerner Sarg eingeschoben, ein Mensch wird eingeäschert. Fleer wendet sich von dem Sichtfeld ab. Der Mann mit großen braunen Augen, glattem Haar und schmalen Koteletten trägt Sicherheitsschuhe und eine Arbeitsjacke mit dem Logo der Hamburger Krematorium GmbH. Er leitet ein achtköpfiges Team, das die Abläufe in der Verstorbenenhalle und im Krematorium auf dem Friedhof Ohlsdorf, dem nach Angaben der Trägerschaft größten Parkfriedhof der Welt, organisiert.
Kosten für Urnenbestattungen sind geringer
Die Vorstellung einer Feuerbestattung beschert vielen Menschen Gänsehaut. Tatsächlich ist die Verbrennung heutzutage mehr Regel als Ausnahme. 80 Prozent der jährlich rund 4700 Beisetzungen auf dem Friedhof Ohlsdorf sind Urnenbestattungen, wie Pressesprecher Lutz Rehkopf berichtet. Warum das so ist? Die Bestattung sei eben auch eine Kostenfrage. „Die Grabstättengebühr ist niedriger, das Pflanzbeet kleiner, der Stein kann einfacher ausgeführt oder weggelassen werden“, erläutert der 51-Jährige. Auch der Transport einer Urne sowohl innerhalb Deutschlands als auch international sei weniger kompliziert.
Die zunehmenden Urnenbeisetzungen sowie die insgesamt rückläufige Zahl der Bestattungen stellen die Trägerschaft des historischen Parkfriedhofs im nördlichen Hamburg vor die Frage, wie freiwerdende Flächen in Zukunft genutzt werden können. In einem groß angelegten Beteiligungsverfahren reichten Bürger im vergangenen Jahr ihre Vorschläge - von der Picknickwiese bis zur Sternwarte – ein. Großflächige Veränderungen werde es nicht von heute auf morgen geben, betont der Sprecher. Schließlich habe jedes Grab eine Mindestruhezeit von 25 Jahren. Dagegen soll es noch in diesem Jahr möglich werden Verstorbene neben ihren Haustieren beizusetzen, berichtet Rehkopf. Die Trägerschaft habe der Stadt einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt.
Große Flächen der Friedhofsanlage werden frei
Für die künftige Planung steht fest: Werden heute noch etwas mehr als die Hälfte der knapp 400 Hektar großen Friedhofsanlage als Grabflächen genutzt, soll es bis 2050 nur noch knapp mehr als ein Viertel sein. „Es ist schon schade, dass viele der schönen Bereiche – gerade an den Teichen – in Zukunft nicht mehr mit Gräbern belegt werden“, sagt Friedhofsgärtnerin Margret Sydow und wirft dabei einen prüfenden Blick auf die üppigen Rhododendronsträucher hinter Kapelle 4. Seit 37 Jahren arbeitet die 54-Jährige auf dem Friedhof Ohlsdorf - erst als Lehrling, später als Vorarbeiterin und schließlich als Meisterin. „Ich fasse immer noch gerne draußen mit an“, betont die zierliche Frau. Das von Wind und Regen zerzauste Haar schiebt sie uneitel aus dem Gesicht. Bald stünden die ersten Vorbereitungen für den Frühling an. Düngemittel und Rasensaat bestellen, die ersten Stiefmütterchen pflanzen - Sydow lächelt und ihre Augen strahlen. Woanders als auf dem Friedhof würde die gebürtige Schleswig-Holsteinerin nicht arbeiten wollen. Wo sonst sei die Bepflanzung so individuell und der Kontakt zu den Kunden so persönlich?
16 Einäscherungen pro Tag
Zurück im Krematorium: Durch die Luke vor den Öfen kontrollieren Fleer und seine Kollegen, ob die Einäscherung nach Plan verläuft. Normalerweise dauere es etwa 80 Minuten bis der Sarg und die Leiche verbrannt sind. „So kommen wir auf 16 Einäscherungen pro Tag“, erläutert Fleer, der ursprünglich für ein Logistikunternehmen gearbeitet hat. Logistisch geht es auch im Krematorium zu. Sein Team arbeitet von 6 bis 18 Uhr im Zweischichtbetrieb – fünf Tage die Woche. Sobald die Leiche verbrannt ist, kehren die Mitarbeiter den Ofen aus. Die ausgekühlte Asche wird mit einem Magneten von metallischen Sargresten befreit. In einem separaten Eimer werden Fremdkörper, wie Fixateure oder künstliche Hüftgelenke, gesammelt. Die fein gemahlene Asche kommt in eine biologisch abbaubare Kapsel, die die Angehörigen für die Beisetzung verwenden können.
So wie Fleer kam keiner seiner Kollegen aus dem Bestattungsgewerbe zum Krematorium. Sein Team besteht aus gelernten Elektrikern, Klempnern und Kfz-Mechanikern. „Ich bin da so reingerutscht“, erzählt der 43-Jährige. Anfangs sei der neue Job schon ungewohnt gewesen, aber er habe gelernt den nötigen Abstand zu wahren. Nur eins hat Fleer zu beklagen: Es gebe so viel zu tun, dass sein liebstes Hobby, das Radfahren, zu kurz kommt. Aber eins ist trotzdem klar: Auch in den nächsten Jahren will er hier arbeiten - auf dem Friedhof Ohlsdorf mitten in Hamburg.