Hamburg. Anwohner in Klein Borstel sehen geplanter Flüchtlingsunterkunft gelassen entgegen. Nur die Größe bereitet ihnen Sorgen.
Um die Mittagszeit ist es ruhig in der Neubausiedlung von Klein Borstel. Kinderfahrzeuge stehen am Straßenrand und auf den gepflegten Grünflächen zwischen den Häusern. Die Gärten sind, wenn überhaupt, durch Hecken voneinander getrennt. Zäune gibt es nicht – bis auf einen. Er umgibt die Fläche, die nach dem Bau einer neuen Siedlung vom ehemaligen Anzuchtgartens des Ohlsdorfer Friedhofs übrig geblieben ist. Das 1,8 Hektar große Grundstück mit Rasen, ungenutzten Gewächshäusern und einer alten Halle liegt nur einen Sprung von den neuen Häusern entfernt.
Ursprünglich sollte es ebenfalls bebaut werden, dann aber hatte man die Fläche aus dem Bebauungsplan herausgenommen. Den rund 3500 Klein Borstelern war das damals nur recht. Sie hatten befürchtet, dass noch mehr Neubürger die Idylle ihres Viertels zwischen dem Ohlsdorfer Friedhof und dem Alstertal stören könnten.
800 Menschen leben derzeit in der zwischen 2007 und 2012 erbauten Siedlung, die über eine Kita verfügt und Konzepte wie autofreies oder generationsübergreifendes Wohnen aufgreift. Hier leben hauptsächlich Familien – Bildungsbürger, meist mit doppeltem Einkommen. Entsprechend tolerant reagieren sie auf das Bekanntwerden der Senatspläne, auf der restlichen Fläche des Anzuchtgeländes eine Wohnunterkunft für Flüchtlinge zu errichten. Bedenken gibt es nur hinsichtlich der geplanten Größe. 700 Zuwanderer sollen hier einziehen, die ersten 250 bereits Ende des Jahres.
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
„Wir haben kein Recht auf heile Welt“, sagt Daria S., die gerade mit ihrer Tochter den Erna-Stahl-Ring entlangschlendert. „Ich komme selber aus dem Ausland und stehe Flüchtlingen grundsätzlich offen gegenüber. Aber so viele neue Bürger lassen sich schwer mit der Infrastruktur vereinbaren. Schon wir hatten Schwierigkeiten, einen Platz in der Kita zu bekommen.“ Seit 2011 wohnt die Polin mit Mann und mittlerweile zwei Kindern hier. Sie habe sich immer über den Blick auf das dichte Grün gefreut, das den Friedhof umgibt, sagt sie. Künftig wird sie von ihrem Fenster auch die Modulhäuser und Wohncontainer sehen.
Anke Bemmann, die seit 2008 in der Siedlung wohnt, wird es genauso gehen. Sie gönnt sich gerade in ihrem Vorgarten einen Kaffee in der Sonne. „Ich habe mich entschieden, erst einmal alles auf mich zukommen zu lassen“, sagt sie. „Allerdings wünsche ich mir, dass wir Nachbarn bald umfassend informiert werden und einen Ansprechpartner bekommen, an den wir uns in Zukunft bei Fragen und Problemen wenden können.“
Nachdem die Nachricht von der geplanten Unterkunft am Montag durchgesickert war, hatten sich viele Bewohner spontan im Zentrum der Siedlung unter freiem Himmel zusammengesetzt. „Es hat sich gezeigt, dass alle voll des guten Willens sind“, sagt eine Teilnehmerin. „Wir wollen alles richtig machen im Umgang mit unseren neuen Nachbarn, sind aber voller Bangen, dass es wegen ihrer großen Zahl schiefgeht.“
Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, schließt das aus. „Die Fläche gibt das her“, versichert er. „Bevor eine Unterbringung für Flüchtlingen eingerichtet wird, prüfen wir, ob diese für den Stadtteil verträglich ist.“ Die Größe der Einrichtung richte sich dabei nach der Größe der vorgesehenen Fläche und ihrem Umfeld. Und das sei in Klein Borstel „gut und sozial stark“. Sein Rat an die Nachbarn: „Einfach hingehen und mitmachen, das baut Berührungsängste ab.“
Für Torsten Zöhl, der seit fünf Jahren in Klein Borstel lebt, ist das eine Selbstverständlichkeit. „Ich möchte gern etwas für Flüchtlinge tun; man kann sie schließlich nicht immer nur in anderen Stadtteilen akzeptieren.“
Manfred Thiele, Vorsitzender des Heimatvereins Klein Borstel, ist zuversichtlich, dass die Neuankömmlinge gut aufgenommen werden. Ende der 1990er-Jahren habe es „eine starke soziale Unterstützung“ für 300 bis 400 Flüchtlinge gegeben, die eine Zeit lang in einem Containerdorf an der Wellingsbüttler Landstraße untergebracht waren. „Ich kann zwar nicht für alle 850 Vereinsmitglieder sprechen, aber auch jetzt verspüre ich eine an sich positive Stimmung. Nur die Größe der Unterkunft macht viele unsicher“, so Thiele.
An der nahen Schule gibt es eigentlich keinen Platz für viele neue Schüler
Andreas Berndt, stellvertretender Schulleiter der nahen Albert-Schweitzer-Schule, sieht den vielen neuen Familien in seinem Einzugsgebiet positiv entgegen, gibt aber zu bedenken: „Wir werden als Bezirksgrundschule gerne neue Schüler aufnehmen, aber unsere Klassen sind eigentlich voll.“ In der kommenden Woche wolle er mit der Schulbehörde nach einer Lösung suchen. Entscheidend sei, dass die Kommunikation zwischen der Leitung der Unterkunft und der Schule gut laufe – im Zweifel müssten Dolmetscher dabei helfen.
Jürgen Filges aus Wellingsbüttel ist an diesem Tag der Einzige, der sich vehement gegen die Unterkunft ausspricht. „Wir nehmen zu viele Flüchtlinge auf“, poltert er, als er mit seinem Hund am Anzuchtgarten vorbeigeht. Mit der Ruhe in der Siedlung werde es vorbei sein, prophezeit er. Filges glaubt nicht, dass es bei 700 Flüchtlingen bleibe. „Sicher werden hier irgendwann mehr als 1000 zusätzliche Menschen leben.“