Hamburg. Hamburgs Bürgermeister hat am Deichdenkmal in Kirchdorf der Opfer der Sturmflut vor 60 Jahren gedacht. 315 Menschen starben damals.

„Die Sturmflut ist ein Ereignis, das sich tief in die Seele der Stadt eingebrannt hat“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher am Mittwochabend, als er die Gedenkrede am Wilhelmsburger Flutopfermahnmal hielt, „und nirgendwo hat sie so tiefe Wunden gerissen, wie hier. Zeitzeugen berichten von schrecklichen Ereignissen – aber auch davon, wie unerschrocken und selbstlos viele handelten, um andere zu retten.“ In den überschwemmten Gebieten lebten fast 120.000 Bürger; Tausende von ihnen mussten gerettet werden; 315 Menschen starben.

Zum 60. Jahrestag der Katastrophennacht erinnerten Hamburgs Politiker bei vielen Gelegenheiten an die Ereignisse vom 16. Und 17. Februar 1962, nicht nur in Wilhelmsburg. In Neuenfelde, wo damals die ersten Deiche brachen, gedachte Harburgs Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen gemeinsam mit den Zeitzeugen der Opfer von damals. In der Bürgerschaft gab es eine Gedenkstunde.

Der Sturm drückte unerbittlich Wassermassen die Elbe hinauf

„Hamburg wähnte sich damals in Sicherheit. Warum sollte durch Orkan 'Vincinette' an der Nordsee eine Gefahr für die Hansestadt herrschen, 80 Kilometer von der Elbmündung entfernt? Doch der Sturm drückte unerbittlich Wassermassen die Elbe hinauf, mit dramatischen Folgen“ so schilderte es Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) in ihrer Rede.

Die an vielen Stellen gebrochenen Deiche seien in einem „teils verheerendem Zustand“ gewesen, sagte Veit, „es gab kein funktionierendes Flutwarnsystem, keine umfassende Koordination der Rettungsdienste – und viele Zuständige waren wohl auch überfordert“.

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Die Parlamentspräsidentin erinnerte an das Engagement des damaligen Polizeisenators Helmut Schmidt (SPD), der entschlossen Verantwortung übernommen und Anordnungen getroffen habe, für die er eigentlich gar nicht zuständig war. Dafür sei der später zum Ehrenbürger ernannte Politiker zurecht gelobt worden. Doch neben ihm engagierten sich Polizisten, Feuerwehrleute, Soldaten und viele andere. Es sei „dem beherzten Zupacken Tausender Freiwilliger zu verdanken“, dass so viele Menschen gerettet wurden.

Hamburgs Deiche sind heute 2,5 Meter höher

Zwar seien Hamburgs Deiche heute 2,5 Meter höher als vor 60 Jahren. „Dennoch dürfen die Gefahren niemals unterschätzt werden“, sagte Veit. Sie verwies auf die Starkregen-Katastrophe im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Allein im überfluteten Ahrtal waren mindestens 133 Menschen gestorben, Hunderte verletzt worden. „Diese Katastrophe hat leider gezeigt, dass selbst etablierte Abläufe und moderne Warnsysteme regelmäßig auf den Prüfstand gehören.“

Auch den mit Überschwemmungen vertrauten Hamburgerinnen und Hamburgern müsse klar sein: „Klimawandel, Naturkatastrophen und steigende Wasserstände hören nicht von selbst auf“, sagte Veit – und appellierte an die Abgeordneten: „Wir als gewählte Parlamentarier:innen tragen Verantwortung dafür, dass dieser menschengemachten Zerstörung Einhalt geboten wird. Wir müssen jetzt handeln, nicht irgendwann, und es muss uns endlich gelingen, diese Haltung auch bei den Menschen zu verankern, die so tun, als sei der Schutz von Umwelt und Natur nur Spinnerei.“

In Wilhelmsburg starben 222 Menschen

Wilhelmsburg, wo Peter Tschentsher die Gedenkrede hielt, war damals besonders schwer getroffen worden; 222 Menschen starben, darunter viele Kinder und ältere Menschen, wie Tschentscher in seiner Rede sagte – im Beisein von Carolyn Decke, Pröpstin des Kirchenkreises Hamburg-Ost, und von Gerd Nitzsche, Vorsitzender des Museums Elbinsel Wilhelmsburg, das bald auch die Geschichte der Sturmflut erzählen soll.

„Die Sturmflut hat großes Leid über unsere Stadt gebracht. Sie hat aber auch gezeigt, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in der Not zusammenstehen“, sagte Tschentscher. „Solidarität und Hilfsbereitschaft haben in Hamburg eine lange Tradition, auf die wir stolz sein könne und die uns die Gewissheit geben, dass wir für die Zukunft gut gewappnet sind.“

In Folge der Sturmflut habe man im Hamburg den Katastrophenschutz neu organisiert und die Deichsicherheit kontinuierlich erhöht. „Die Katastrophenschutzbehörden und Hilfsorganisationen in der Hansestadt üben regelmäßig den Ernstfall“, sagte der Bürgermeister. „Die Zusammenarbeit der Einsatzkräfte ist hervorragend – darauf können sich die Menschen in Hamburg verlassen!“

Der Stadtteil Neuhof wurde aufgegeben

Wichtig sei es aber auch, wachsam zu bleiben, denn die, die noch von der Flut erzählen können werden immer weniger. „Deshalb ist es gut, dass wir die Finanzierung des Elbinsel-Museums jetzt gesichert haben und dass der Umbau zu einem Museum mit dem Schwerpunkt auf der Sturmflut demnächst beginnen kann“, sagte Tschentscher.

Der Wilhelmsburger Bürgerschaftsabgeordnete Michael Weinreich erinnerte daran, dass die Flut für die Elbinsel weitreichendere Folgen hatte, als nur die Katastrophenschäden und Todesopfer. „Es gab massive Umwälzungen“, sagte er. „Der Stadtteil Neuhof wurde aufgegeben und auch das Reiherstiegviertel sollte eigentlich Hafenerweiterungsgebiert werden. Gleichzeitig gab es massiven Sozialwohnungsneubau im Wilhelmsburger Osten.“

Weinreich dankte auch den anwesenden Katastrophenhelfern von Deichwacht, Feuerwehr und Rettungshundestaffel. „Wir leben immer noch in einem gefährdeten Gebiet“, sagte er. „Ohne Sie könnten wir hier nicht gefahrlos zusammenstehen oder abends entspannt im Wohnzimmersessel sitzen. Danke!“