Hamburg. Bürgerschaft gedenkt der Sturmflut-Opfer. Präsidentin warnt vor Folgen der globalen Erwärmung und nimmt Abgeordnete in die Pflicht.

Hamburg wähnte sich damals in Sicherheit. Warum sollte durch Orkan „Vincinette“ an der Nordsee eine Gefahr für die Hansestadt herrschen, 80 Kilometer von der Elbmündung entfernt? Doch der Sturm drückte „unerbittlich“ Wassermassen die Elbe hin­auf, mit dramatischen Folgen – so schilderte es Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) am Mittwoch in der Bürgerschaft, wo sie zum 60. Jahrestag der Flut von 1962 an die Opfer erinnerte.

In den überschwemmten Gebieten lebten fast 120.000 Bürger; Tausende von ihnen mussten ausquartiert werden; 315 Menschen starben. Die an vielen Stellen gebrochenen Deiche seien in einem „teils verheerendem Zustand“ gewesen, sagte Veit, „es gab kein funktionierendes Flutwarnsystem, keine umfassende Koordination der Rettungsdienste“ – „und viele Zuständige waren wohl auch überfordert“.

Bürgerschaft erinnert an Helmut Schmidt

Die Parlamentspräsidentin erinnerte an das Engagement des damaligen Polizeisenators Helmut Schmidt (SPD), der entschlossen Verantwortung übernommen und Anordnungen getroffen habe, für die er eigentlich gar nicht zuständig gewesen sei. Dafür sei der später zum Ehrenbürger ernannte Politiker zu Recht gelobt worden. Doch neben ihm engagierten sich Polizisten, Feuerwehrleute, Soldaten und viele andere. Es sei „dem beherzten Zupacken Tausender Freiwilliger zu verdanken“, dass so viele Menschen gerettet wurden.

Veit: Auch neue Warnsysteme gehören auf den Prüfstand

Zwar seien Hamburgs Deiche heute 2,5 Meter höher als vor 60 Jahren. „Dennoch dürfen die Gefahren niemals unterschätzt werden“, sagte Veit. Sie verwies auf die Starkregen-Katastrophe im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Allein im überfluteten Ahrtal waren mindestens 133 Menschen gestorben, Hunderte verletzt worden. „Diese Katastrophe hat leider gezeigt, dass selbst etablierte Abläufe und moderne Warnsysteme regelmäßig auf den Prüfstand gehören.“

Auch den mit Überschwemmungen vertrauten Hamburgerinnen und Hamburgern müsse klar sein: „Klimawandel, Naturkatastrophen und steigende Wasserstände hören nicht von selbst auf“, sagte Veit – und appellierte an die Abgeordneten: „Wir als gewählte Parlamentarier/-innen tragen Verantwortung dafür, dass dieser menschengemachten Zerstörung Einhalt geboten wird. Wir müssen jetzt handeln, nicht irgendwann, und es muss uns endlich gelingen, diese Haltung auch bei den Menschen zu verankern, die so tun, als sei der Schutz von Umwelt und Natur nur Spinnerei.“

Tschentscher veröffentlichte eine Videobotschaft

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) veröffentlichte am Mittwoch zum 60. Jahrestag der Katastrophe von 1962 eine Videobotschaft. „Die Sturmflut hat großes Leid über unsere Stadt gebracht. Sie hat aber auch gezeigt, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in der Not zusammenstehen“, sagte Tschentscher. „Solidarität und Hilfsbereitschaft haben in Hamburg eine lange Tradition, auf die wir stolz sein können und die uns die Gewissheit geben, dass wir für die Zukunft gut gewappnet sind.“ Die Katastrophenschutzbehörden und Hilfsorganisationen übten in der Hansestadt regelmäßig den Ernstfall. „Die Zusammenarbeit der Einsatzkräfte ist hervorragend – darauf können sich die Menschen in Hamburg verlassen“, erklärte Tschentscher.

Bürgermeister gedenkt in Wilhelmsburg der Katastrophe

Am Mittwochabend fuhr der Bürgermeister zu einer Gedenkstunde in Wilhelmsburg, um dort am Sturmflutdenkmal 1962 eine Feuerschale zu entzünden. Wilhelmsburg war damals besonders schwer getroffen worden; 222 Menschen starben, darunter viele Kinder und ältere Menschen, wie Tschentscher in seiner Rede sagte – im Beisein von Carolyn Decke, Pröpstin des Kirchenkreises Hamburg-Ost, und von Gerd Nitzsche, Vorsitzender des Museums Elbinsel Wilhelmsburg, das bald auch die Geschichte der Sturmflut erzählen soll.

Die Bürgerschaft gedachte am Mittwoch nicht nur der Flutopfer, sondern widmete sich auch dem künftigen Schutz vor Starkregen und Überflutungen, die infolge der globalen Erwärmung zunehmen könnten. So brachten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen einen Antrag ein, in dem sie für den Neubau je eines Schöpfwerks am Storchennestsiel und an der Estemündung plädieren. Diese Bauwerke könnten dazu beitragen, das Süderelbegebiet besser zu entwässern, hieß es. Bisher stelle sich nämlich für den von tief liegenden Marschlandflächen geprägten Raum Süderelbe „die Frage, ob der Schutz bei extremen Starkregenereignissen mit einer einhergehenden Sturmflut und Sperrtiden für die Entwässerung ausreichend gegeben ist“, schreiben SPD und Grüne in ihrem Antrag.

Der SPD-Abgeordnete Alexander Mohrenberg erklärte, schon seit 2004 würden in Planfeststellungsbeschlüssen Schöpfwerke aufgelistet, „die bis heute nicht geplant worden“ seien. Mit dem rot-grünen Antrag komme nun „endlich Bewegung in den Bau dieser Anlagen am Storchennestsiel und am Estesperrwerk“.