Hamburg. Die Zahl der Anzeigen steigt auf 195. Insgesamt zählt die Polizei 306 Opfer. Alle Tatverdächtigen sollen Migrationshintergrund haben.
Zwei Wochen nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht hat die Polizei die ersten Täter identifiziert. „Wir haben acht Tatverdächtige ermittelt“, sagte Frank-Martin Heise, stellvertretender Leiter des Landeskriminalamts (LKA), im Innenausschuss der Bürgerschaft am Donnerstagabend. Dabei geht es um Taten im Bereich der Großen Freiheit und auf dem Jungfernstieg. „Alle haben einen Migrationshintergrund“, sagte Heise. Einige von ihnen seien Flüchtlinge, die in entsprechenden Unterkünften untergebracht seien. Andere lebten bereits seit mehreren Jahren in Hamburg.
Festnahmen allerdings, so machte die Polizei im Innenausschuss klar, habe es bislang nicht gegeben. Dem Vernehmen nach wird noch weiter gegen diese Männer ermittelt, um ihnen die Taten auch zweifelsfrei nachweisen zu können, hieß es am Rande der Sitzung.
In der Zwischenzeit ist die Zahl der Anzeigen laut LKA-Vize Heise auf 195 gestiegen. Die Polizei komme bislang auf 306 Opfer. Die unterschiedlichen Zahlen kommen zustande, wenn etwa mehrere Opfer zusammen zur Polizei gehen. Diese Aussagen werden dann zu einer Anzeige zusammengefasst. Die Opfer beschrieben die Täter als „Südländer“, „Nordafrikaner“ oder mit „dunkler Hautfarbe“.
Zahl der Tatverdächtigen wird noch steigen
Zu den konkreten acht Verdächtigen kommt laut LKA-Vize Heise eine weitere Gruppe von 18 bis 20 Männern, die ebenfalls auf St. Pauli und an der Binnenalster unterwegs gewesen seien. Bei diesen fehle jedoch „ein konkreter Tatvorwurf“, so Heise weiter. „Die Zahl dieser Männer wird aufwachsen.“ Auf Nachfrage sagte er, dass es bislang keine Ermittlungen gegen diese Männer gebe.
Diese Gruppe von Verdächtigen ist auf Fotos zu sehen, welche die Polizei sichergestellt hat. Auf diesen Aufnahmen sind mögliche Taten zu erkennen. Sie sollen nun den Opfern gezeigt werden, in der Hoffnung, dass diese dann auf Straftaten wie etwa Diebstahl oder sexuelle Handlungen hinweisen können. „Sie sind auf dem besten Weg, zu Tatverdächtigen zu werden“, erläuterte Innenstaatsrat Bernd Krösser.
In der Silvesternacht sei gegen die Rechte und Würde verstoßen worden, sagte Innensenator Michael Neumann (SPD) zu Beginn der Sitzung des Innenausschusses. „Wir ärgern uns und sind betroffen, dass so viele Menschen Opfer von Gewalt geworden sind.“ Neumann machte gleichzeitig klar, dass er Vertrauen in die Polizisten und die Polizeiführung habe. Diesen Taten werde „konsequent nachgegangen“.
Nur vier Anzeigen mit sexuellem Hintergrund in der Silvesternacht
Polizeipräsident Ralf Meyer machte deutlich, dass es im Vorfeld der Silvesterfeier auf dem Kiez und am Jungfernstieg keine Hinweise auf derartige Taten gegeben habe. Zwar seien zum Teil auch „hemmungslos Böller in Menschengruppen“ geworfen worden. Es sei zu Körperverletzungsdelikten und auch zu Diebstahl, Raub und Widerstandshandlungen mit diversen Festnahmen gekommen. Allerdings habe es sich dabei um ein für Silvester übliches Lagebild gehandelt. Allein auf dem Kiez seien in dieser Nacht etwa 50.000 Menschen unterwegs gewesen.
In der Silvesternacht seien vier Anzeigen mit sexuellem Hintergrund eingegangen. Meyer selbst habe, nachdem er erst am 4. Januar davon erfahren habe, das LKA mit der Aufklärung beauftragt. Erst später habe sich laut LKA-Vize Heise herausgestellt, dass am Neujahrstag 14 derartiger Anzeigen vorlagen. Der Grund für die späte Erkenntnis: Die Anzeigen seien an unterschiedlichen Dienststellen eingegangen. „Wir haben diese Anzeigen erst im späteren Verlauf unter dem Einfluss von Köln betrachtet“, so Heise.
Kritik an fehlender Videoüberwachung
Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU, sprach den Opfern sein Mitgefühl aus und zeigte sich gleichzeitig „verärgert, dass auch in Hamburg Frauen Opfer so widerlicher Straftaten ehrloser Täter geworden sind“. Gleichzeitig sei er aber auch „verärgert und beschämt“, dass „Hamburg die Frauen nicht schützen konnte“. Er warf Innensenator Michael Neumann es als schweren Fehler vor, die Videoüberwachung auf dem Kiez abgeschaltet zu haben.
„Dadurch wird nicht nur die Ermittlung der Täter erschwert, sondern der Polizei fehlte damit ein wichtiges Instrument, um die Vorfälle erkennen und unmittelbar einschreiten zu können.“ Neumann erwiderte, dass er lediglich der Einschätzung des damaligen Polizeipräsidenten gefolgt sei, der wegen datenschutzrechtlicher Hürden keinen Sinn in der Videoüberwachung gesehen habe.
FDP-Innenpolitiker Carl Jarchow zeigte sich ratlos, weshalb, wie er sagte, Gastronomen und Anwohner auf St. Pauli, bereits früher derartige Taten beobachtet hätten, die Polizei aber unvorbereitet gewesen sei. Polizeipräsident Meyer hielt dagegen, dass das nicht sein könne. Die Vorstellung, dass es sich um bekannte Taten gehandelt habe, sei aus seiner Sicht „absurd“.