Hamburg. Der Michel wurde dreimal zerstört und von den Hamburgern wieder aufgebaut. Ein Verlust aus dem Krieg wird aber erst jetzt ersetzt.

Fast 100 Jahre nach dem Einschmelzen von acht Glocken im Ersten Weltkrieg ist das Glockenspiel des Hamburger Michel wieder komplett. Die noch fehlenden zwei Uhrschlagglocken wurden am heutigen Sonntag, von 10 Uhr an, bei einem Glockenfest geweiht und erstmals angeschlagen. An dem Gottesdienst nahmen Geistliche aus England, Frankreich, den USA und Russland teil. Das Glockenfest in der St. Michaelis-Kirche, Michel genannt, dauert noch bis 19 Uhr an. Etwa 6000 Besucher werden erwartet.

Die Glocken wurden Mitte September von einer hessischen Gießerei geliefert und sollen Anfang des nächsten Jahres im Turm des Hamburger Wahrzeichens installiert werden. Die beiden Glocken wurden mit Spenden von mehr als 1600 Privatpersonen und Unternehmen finanziert. 350.000 Euro kamen bei der Spendenaktion „So klingt Hamburg“ zusammen.

1906 brannte der Michel ab

Nach einem Brand im Jahr 1906 war der Michel wieder aufgebaut worden und hatte zehn neue Glocken bekommen. Doch bereits 1917 musste die Gemeinde sie bis auf eine abgeben. Sie sollten zur Herstellung von Kanonen eingeschmolzen werden. Der damalige Hauptpastor August Wilhelm Hunzinger sagte in seiner Predigt zur Verabschiedung: „Gott will, dass feuerspeiende Schlünde aus diesen Glocken werden, damit unser deutsches Vaterland verteidigt bleibe gegen die Feindschaft aller Welt.“

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine der Glocken unversehrt wiedergefunden und zurückgekauft, fünf weitere wurden 1924 neu gegossen. Auch im Zweiten Weltkrieg musste der Michel vier Glocken abgeben. Sie wurden auf einem „Glockenfriedhof“ im Hamburger Freihafen eingelagert. Zur Produktion von Waffen sollten sie nicht dienen. „Vielmehr soll damit die Kirche zum „Schweigen“ gebracht werden“, heißt es einem Informationsblatt der Gemeinde.

Am Sonntag erstmals zu hören: Die sogenannte Vaterunser-Glocke. Sie trägt die die Inschrift
Am Sonntag erstmals zu hören: Die sogenannte Vaterunser-Glocke. Sie trägt die die Inschrift "Vater vergib!" auf Deutsch, Englisch, Franzsösisch und Russisch. © dpa | Christian Charisius

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die vier abgenommenen Glocken wieder aufgehängt. Im Jahr 2000 kam dank einer Spende eine Läuteglocke hinzu. Seitdem fehlen nur noch die beiden Uhrschlagglocken, die nun ersetzt werden. Die größere wiegt 1700 Kilo und wird nach jeder Bitte des Vaterunser-Gebets im Gottesdienst geschlagen. Zeitgleich erklingt hinter der Orgel ein neues Röhrenglockenspiel. Die Glocke trägt die Inschrift „Vater vergib!“ in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch. Es ist der erste Vers des Friedensgebets von Coventry, das nach der Zerstörung der englischen Kathedrale durch deutsche Bomber 1940 entstand.

Anfang 2016 wird die neue Melodie zu hören sein

Die kleinere, 870 Kilo schwere Halbstundenglocke wird zur halben, dreiviertel und vollen Stunde erklingen. Verziert ist sie mit dem Bibelvers: „Er ändert Zeit und Stunde“ (Daniel 2,21a). Bevor die beiden Glocken im Turm aufgehängt werden, müssen noch Stahlträger in der Kuppel verstärkt werden. Darum werden die Hamburger die neue Uhrschlagmelodie erst Anfang nächsten Jahres hören.

Die beiden riesigen Glocken, die am Sonntag eingeweiht werden
Die beiden riesigen Glocken, die am Sonntag eingeweiht werden © Andreas Laible | Andreas Laible

Die Gemeinde spricht auch von Friedensglocken, denn die Idee zur Spendenaktion kam im Rahmen des Weltkriegsgedenkens auf. An einer ökumenischen Andacht sollten am Sonntag Geistliche aus Coventry sowie aus Frankreich, USA und Russland teilnehmen. Kirchenmusikdirektor Manuel Gera wird eine eigene Vertonung des Friedensgebets von Conventry spielen. Zu dem ganztägigen Glockenfest mit Andachten, Musik und Filmvorführungen werden rund 6000 Menschen erwartet.

Auch acht Roma-Familien werden das Fest verfolgen können. Sie leben seit über einer Woche in einem Gemeindehaus neben der Kirche. Mitte des Monats hatten sie im Michel gegen ihre drohende Abschiebung in Westbalkan-Länder protestiert. Der Kirchenkreis Hamburg-Ost hat angekündigt, dass seine Beratungsstelle die Abschiebungsbescheide der Roma einzeln prüfen wolle.