Hamburg. Obdachlos zu Lebzeiten, namenlos im Tode - In Hamburg ist es damit vorbei. Auch wer arm und einsam stirbt, wird beim Namen genannt.
Der Obdachlose Andre Heinz Martinßen starb im Februar vergangenen Jahres in einem Zelt unter der Hamburger Kennedybrücke. Weil er keine Angehörigen hatte, wurde der 49-Jährige von Amts wegen auf dem Öjendorfer Friedhof bestattet. Seine Grabnummer lautet 205-03-156. Dank der Initiative des Bloggers Max Bryan erinnert inzwischen ein Kreuz auf dem Grab an den Obdachlosen. In Hamburg werden im Jahr rund 900 Tote so wie Martinßen beigesetzt. Seit einigen Monaten sind ihre Namen für jeden Friedhofsbesucher sichtbar. Zusammen mit dem Geburts- und Sterbedatum stehen sie auf rund 30 neuen Gedenksteinen.
„Es wird immer wichtiger, allen Verstorbenen ein würdiges Andenken bewahren zu können, gerade in Zeiten, wo immer mehr Menschen einsam sterben“, sagt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit bei der Eröffnungsfeier des neuen Grabfeldes. Die Stadt Hamburg bemüht sich seit vielen Jahren um die besondere Gestaltung der Gräberfelder in Öjendorf. Bereits 2003 wurde ein Gedenkstein der Hamburger Künstlerin Ricarda Wyrwol aufgestellt. Er trägt den Schriftzug „Zukunft braucht Erinnern“.
Nicht nur Obdachlose sterben einsam
2007 kam eine weitere Gedenkstätte aus zehn Findlingen hinzu. Auf den Steinen sind in großen Lettern die Bezeichnungen „Vater“, „Mutter“, „Tochter“ und „Sohn“ angebracht. Die von der Künstlerin Maximiliane von Dohnányi erarbeitete Konzeption „Pfad der Erinnerung“ will deutlich machen, dass auch in Armut und Einsamkeit gestorbene Menschen in Beziehungen gelebt haben.
Vor drei Jahren begann eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Parlamentspräsidentin und der Grünen-Politikerin Katharina Fegebank mit Beratungen über eine neuerliche Umgestaltung. Ergebnis sind die hellen, hausförmigen Steine an einem Weg, der zu einer Art Gedenkstätte aus drei höheren Steinen führt. Die Namen der auf den angrenzenden Rasenflächen beigesetzten Toten sind auf Plaketten zu lesen.
Es sind nicht nur Obdachlose, häufig sterben auch andere Menschen in Armut und Einsamkeit, wie die Sprecherin der Hamburger Friedhofsverwaltung, Hedda Scherres, erklärt. Sie wurden auch in der Vergangenheit nicht anonym bestattet. Wer einen Verstorbenen sucht, könne sich an die Verwaltung wenden und mit Hilfe der Nummer die Grabstelle finden.
„Die Leute sollen nicht nur auf eine Nummer gucken“
Doch das war vielen nicht genug. „Ich fand das unpersönlich. Die Leute sollen nicht nur auf eine Nummer gucken“, sagt Bryan. Er wollte die Blumen für seinen Freund nicht neben ein Schild mit einer Nummer legen. Auch Mitarbeiter der Hamburger Straßenzeitung „Hinz & Kunzt“ haben Namenschilder aus Holz an einer Birke auf dem Öjendorfer Friedhof angebracht. Blumen und Grabschmuck zieren den Baumstamm für ihre verstorbenen Zeitungsverkäufer.
Pastorin Sabine Erler kommt alle 14 Tage zusammen mit einem katholischen Priester auf den Friedhof und segnet die Verstorbenen bei der Grablegung aus. „Dass wir uns bestatten, ist eines der sieben Werke der Barmherzigkeit“, sagt sie. Eingeäschert, ausgesegnet und mit Namen versehen werden alle von Amts wegen Bestatteten, sagt Scherres. Es sei denn, es gebe Hinweise, dass der Verstorbene das nicht wollte. Muslime etwa werden ohne Einäscherung beerdigt.
Hamburg habe bei diesem Vorgehen eine Vorreiterrolle in Deutschland, sagt Veit. Nur in Köln habe es noch eine Initiative gegeben, Holzkreuze mit Namen aufzustellen. Scherres hält die Namensnennung nicht für unproblematisch. „Es kann sein, dass jemand das vor seinem Tod nicht wollte“, sagt sie. Andererseits gebe es immer weniger Menschen in Deutschland, die anonym beerdigt werden wollen.