Hamburg. Die Hamburgerin Cornelia Hoppe wuchs als Tochter alkoholsüchtiger Eltern auf dem Hamburger Berg auf. Was sie dort durchleben musste.

  • Cornelia Hoppe ist auf dem Hamburger Berg aufgewachsen.
  • Die Eltern der Hamburgerin waren alkoholabhängig.
  • Ihre Kindheit verarbeitet sie in einem Buch.

Cornelia Hoppe kennt den Kiez gut. Noch besser kennt sie die Kneipen, von denen ihr ehemaliges Wohnhaus auf dem Hamburger Berg umgeben ist, zum Beispiel das St. Pauli Eck. Die grünen Fliesen, die vergilbten Gardinen, die Pflanzen in den Fenstern – „alles sieht noch genauso aus wie damals“, erzählt sie, während sie beim Treffen an einem sonnigen Vormittag durch die dunkle Scheibe des noch geschlossenen Betriebs schaut. „Früher hieß sie allerdings noch anders und war die Stammkneipe meiner Eltern.“

Den Hamburger Berg auf St. Pauli verbinden die meisten Einheimischen heute mit Hamburgs Feierszene. Doch da, wo die einen feiern, liegt das Elend für die anderen oft nur wenige Meter entfernt. Das war hier schon immer so.

St. Pauli: Hamburger Berg für Cornelia Hoppe Schauplatz traumatischer Kindheit

Für Cornelia Hoppe ist der Hamburger Berg Schauplatz einer traumatischen Kindheit, die bis heute nachwirkt. Einer Kindheit, die geprägt ist vom Alkoholismus der Eltern, von Gewalt und von Scham. Und einer Kindheit, über die die Hamburgerin nun gemeinsam mit Wigbert Löer das bewegende Buch „Säuferkind“ geschrieben hat.

Cornelia Hoppe
In diesem Haus ist Cornelia Hoppe aufgewachsen. Ein Gitter gab es damals noch nicht. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

„Hier habe ich die ersten sieben Jahre meines Lebens verbracht“, erzählt die 56-Jährige und deutet dabei auf die unscheinbare Fassade des Gebäudes mit der Hausnummer 27. Der Eingang des Mehrfamilienhauses ist vergittert, „das war er aber früher nicht“, erinnert sie sich.

Hamburgerin war nach dem Kindergarten mit ihren Eltern in Kneipen

„Da wurden dann schon mal der Kinderwagen und der Flur voll uriniert“, sagt die Hamburgerin. Sie wirkt – gekleidet in einem hochwertigen grauen Mantel mit passender Mütze – auf dem vermüllten Gehweg der beliebten Feiermeile seltsam deplatziert. Genau hier liegen die Wurzeln von Cornelia Hoppe, die eigentlich anders heißt, sich und ihre Familie aber mithilfe des Pseudonyms schützen will.

Was heute undenkbar scheint, war Anfang der 1970er-Jahre Hoppes Realität: „Meine Eltern haben mich nach dem Kindergarten, meine frühsten Erinnerungen beginnen bei vier Jahren, mit hierhin genommen. Sie saßen bei Bier und Schnaps am Tresen, ich in einer Sitzecke und malte. Es roch immer nach abgestandenem Bier, manchmal gingen unangenehme Gestalten an mir vorbei und tätschelten mir den Kopf.“

Tochter alkoholsüchtiger Eltern: „Kneipen waren meine Spielplätze“

Unzählige Nachmittage und Abende habe sie hier verbracht, ein warmes Abendessen gab es selten, ein vollwertiges fast nie. Stattdessen an der Tagesordnung: „Meine Eltern, die sturzbetrunken nach Hause wankten, dort weitertranken, sich oft noch stritten – und auch schlugen.“ Es habe, wirft sie ein, auch Nachmittage gegeben, an denen sie mit ihren Eltern zuerst auf dem Spielplatz an der Hein-Hoyer-Straße war – „doch letztendlich waren es immer die Kneipen, die meine Spielplätze waren. Immerhin war es hier im Gegensatz zu unserer Wohnung warm.“

Cornelia Hoppe
Die Stammkneipe von Cornelia Hoppes Eltern heißt heute anders – sieht aber noch genauso aus. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Schon früh sei ihr bewusst gewesen, dass ihre Familie anders ist als andere, sagt Hoppe. „Ich habe schnell die Rolle der Eltern übernommen. Denn ich merkte: Wenn ich etwas essen will, muss ich es selbst machen. Wenn ich ein sauberes Shirt will, muss ich es waschen. Und wenn ich will, dass die Wohnung einigermaßen ordentlich ist, muss ich putzen. In diese Rolle kann man auch als kleines Kind schnell hineinwachsen.“

Auf die Frage, wie sie heute als erwachsene Frau auf ihre Kindheit zurückblickt, antwortet sie daher ohne zu überlegen: „Ich bin um eine behütete Kindheit betrogen worden. Was ich erlebt habe, kann man nur als Großwerden bezeichnen.“

„Ich wurde hinter meinem Rücken als Säuferkind verurteilt“

Dazu gehöre auch, dass sie als Kind auf St. Pauli keinerlei Freundschaften aufbauen konnte. „Mit uns wollte niemand etwas zu tun haben. Ich wurde hinter meinem Rücken als Säuferkind verurteilt. Darum habe ich mich dann auch ganz bewusst für diesen durchaus provokanten Buchtitel entschieden“, verrät sie. Doch auch die eigene Scham über ihr Zuhause, ihre Eltern und deren Sucht sei ein Grund gewesen, weshalb sie sich lange gegenüber anderen Menschen nicht habe öffnen können.

Davon ausgenommen seien damals ihre beiden älteren Brüder gewesen, die allerdings nach einiger Zeit auszogen. „Sie waren trotzdem immer für mich da und mein Zufluchtsort“, stellt die Hamburgerin klar. Besonders tragisch: Ihr ältester Bruder, im Buch heißt er Joachim, starb einige Jahre nach seinem Auszug an den Folgen des eigenen Alkoholismus.

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„Die Wut und die Trauer darüber, dass er es sich so einfach gemacht und aus dem Leben getrunken hat, kam in Schüben“, gesteht die zweifache Mutter. Heute, als Erwachsene, bedeute Alkohol nichts für sie: „Ab und zu trinke ich mal ein Glas Wein, das war es aber auch.“

St. Pauli: Cornelia Hoppe verarbeitet Kindheit auf dem Kiez in einem Buch

Cornelia Hoppe wirkt gefasst beim Spaziergang durch ihren ehemaligen Kiez. „Früher kam mir das alles hier so groß vor, dabei ist es eigentlich nur ein einzelner Block“, sagt sie. Es falle ihr nicht mehr schwer, diese Straßen entlangzulaufen. Dazu beigetragen habe auch die Veröffentlichung ihres Buches.

Cover Säuferkind
Cornelia Hoppe hat ihre Kindheit auf dem Hamburger Berg im Buch „Säuferkind“ verarbeitet.  © Ullstein Verlag | Ullstein Verlag

„Es ist gut, das alles an die Öffentlichkeit zu bringen“, so Hoppe, die sich „viel mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Co-abhängige Kinder“ wünscht und in „Säuferkind“ auch ihre Ehe mit einem alkoholabhängigen Mann thematisiert. Das Buch der Mittfünfzigerin ist deshalb auch eine Mahnung, eine Erinnerung daran, dass die Folgen einer Co-Abhängigkeit noch Jahrzehnte später nachwirken und sogar die Partnerwahl beeinflussen können.

Die Eltern der Hamburgerin sind mittlerweile tot, von ihrem Ehemann hat sich die 56-Jährige schon vor Jahren getrennt. „Auch als Botschaft an meine Töchter, sich so etwas niemals gefallen zu lassen. Bei mir soll dieser Kreislauf aufhören“, sagt Cornelia Hoppe, die mittlerweile in Eimsbüttel wohnt. Die Hamburgerin führt ein gänzlich anderes Leben als damals, kann den Geruch von abgestandenem Bier allerdings auch heute noch schwer ertragen. „Der große Unterschied ist aber: Heute bin ich erwachsen und kann einfach gehen.“

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