Hamburg. Thomas Bickhardt ist Psychologe und bietet Kurse gegen die Reisekrankheit an. Woher sie kommt – und wie sie überwunden werden kann.

  • Seekrankheit wird oft durch Stress ausgelöst.
  • Hamburger Experte bietet Kurse gegen die Krankheit an.
  • Helfen können auch Atemübungen.

Als Thomas Bickhardt Anfang der 90er-Jahre auf dem Frachtsegler „Undine von Hamburg“ mitfuhr, erlebte er oft die üblen Folgen der Seekrankheit. Schwer erziehbare Jugendliche waren an Bord des Traditionsschiffes, und der studierte Psychologe kümmerte sich unter anderem darum, die jungen Menschen auf Kurs zu bringen.

Damals stellte er fest, dass Seekrankheit oft auch durch Stress ausgelöst wird. Und er begann, sich mit dem Ursachen-Mix für die Übelkeit näher zu beschäftigten. Immerhin ein Leid, das lebensbedrohlich sein kann. So müssen manche Segler etwa bei einer Atlantiküberquerung festgebunden werden, damit sie sich nicht ins Meer stürzen, um den Beschwerden ein Ende zu setzen.

Seekrankheit: Hamburger bietet Gruppentherapie auf Elbinsel Kaltehofe

Bickhardt ist nicht nur zur See gefahren, sondern hat fast 30 Jahre im Leuchtturm Kråkenes am norwegischen Vestkap gelebt. Ein Leben in seinem Element, im Wasser, über das er gerade das Buch „Windstärke 15“ geschrieben hat, ein Bestseller.

Doch nun ist er wieder an Land, in Hamburg, wohnt in Wellingsbüttel. Und bietet regelmäßig Kurse gegen Seekrankheit an, meist auf der Elbinsel Kaltehofe. Die Gruppentherapien in seinem Tillit-Institut dauern viereinhalb Stunden und kosten 295 Euro pro Person.

Buch Thomas Bickhardt „Windstärke 15“
Thomas Bickhardt auf der „Undine“. In den 90er-Jahren war der heute 60-Jährige nach seiner Zeit auf der Seefahrtschule Finkenwerder sechs Monate auf dem Segelfrachter unterwegs. © Thomas Bickhardt | Thomas Bickhardt

Dabei bietet der 60-Jährige sogar eine Geld-zurück-Garantie an, wenn ein Teilnehmer sich so gar nicht als geheilt betrachtet. „Doch das ist erst einmal vorgekommen“, sagt Bickhardt lachend, denn bereits in Norwegen hat er Dutzende Seekrankheits-Kurse geleitet und etwa Fischer oder Windkraftversorger, die im rauen Nordatlantik arbeiten, von ihrem Übel geheilt.

Ursachen der Seekrankheit: Hamburger hat sich intensiv damit beschäftigt

Wie entsteht Seekrankheit überhaupt? Dieser Frage hat sich Bickhardt schon während seiner Ausbildung bei der Handelsmarine intensiv genähert. Es kommen mehrere Faktoren zusammen, betont der Familienvater.

  • Das Schaukeln auf einem Schiff bringt die Wahrnehmungssysteme durcheinander. Die Augen liefern andere Informationen als etwa die Gleichgewichtsorgane in den Innenohren. „Im Kapitänssalon der ,Undine‘ gibt es eine riesige Messinglampe. Bei viel Wind pendelt sie stark hin und her“, erklärt Bickhardt das Phänomen. „Doch in Wirklichkeit pendelt die Lampe nicht, sondern das Schiff.“ Und weil solche Informationen falsch verarbeitet werden, bricht das Nervensystem zusammen.
  • Stress, der vielleicht schon mit an Bord gebracht wurde, Beziehungsprobleme oder Jobangst, könnten diesen Kollaps beschleunigen. „Seekrankheit zeigt alle Symptome einer Stressüberlastung, etwa wie nach einem Autounfall“, sagt Bickhardt. Wenn der Stresslevel bereits hoch sei, brächten die Empfindungen auf dem schaukelnden Schiff das System schneller an die Belastungsgrenze.
  • Um das Überleben zu sichern, werden vom Nervensystem alle möglichen Rettungsversuche unternommen. Man übergibt sich, um überflüssigen Ballast loszuwerden, man wird müde. „Viele Leute, die gerade beginnen, seekrank zu werden, fangen an zu gähnen“, schildert Bickhardt seine Beobachtungen. „Das System herunterzufahren, also zu schlafen, ist ein weiterer Versuch unseres Nervensystems, uns am Leben zu halten.“

Kurse gegen Seekrankheit in Hamburg: Balance-Brett hilft bei den Übungen

Um den Körper und seine Wahrnehmungen besser steuern zu können, setzt Bickhardt in seinen Kursen unter anderem auf ein Balance-Brett, das er selber entwickelt hat. Die Teilnehmer müssen versuchen, das Gleichgewicht zu halten. Zugleich zeigt Bickhardt den Frauen und Männern sich bewegende Bilder. Die Teilnehmer sollen versuchen, diese gedanklich abzukoppeln.

Das Lernziel ist die Erkenntnis, dass optische Eindrücke nicht zum Wahren des Gleichgewichts benötigt werden. „Interessant ist, dass Blinde fast nie seekrank werden“, weiß Bickhardt. Ohne die Sehkraft könne es nicht zu optischen Kollisionen kommen.

Dazu kommen weitere Tricks, die Bickhardt den Teilnehmern in seinen Kursen mitgibt:

  • „Viele Segler wissen, dass es hilft, die Augen zu schließen, wenn ein mulmiges Gefühl einsetzt“, sagt Bickhardt, der in Hamburg bisher hauptsächlich Freizeitkapitäne, aber auch schon Seenotretter als Kunden hatte. Doch sich auf einem Schiff mit geschlossenen Augen zu bewegen, könne natürlich nicht die Lösung sein.
  • Am tiefsten Punkt des Schiffes, auf Höhe der Drehachse, „meist ist das zwischen Mitte und Heck“, sagt Bickhardt, seien die Bewegungen am sanftesten.
  • Da Stress als Auslöser eine Rolle spielt, sei es wichtig, sich zu beruhigen. Etwa mit Atemübungen.
  • Die Teilnehmer lernen, die Bewegungen des Schiffes mitzumachen, sich ihnen hinzugeben. „Locker in der Hüfte sein“, nennt es Bickhardt. Festhalten sei da oft hinderlich, auch wenn es aus Sicherheitsgründen natürlich vorgeschrieben sei. Nach einer gewissen Zeit an Bord eines Schiffes bewegten sich die Leute ohnehin anders. Das sei auch der Grund dafür, dass viele Betroffene nur wenige Tage seekrank seien und die Reise später ohne Probleme überstehen würden. „Und wer an Bord tanzt, dem wird auch selten mulmig“, sagt Bickhardt mit Blick auf die Vergnügungen, die so manche Seereise bieten kann.
  • Wichtig sei auch die psychologische Erinnerung. Wer einmal seekrank war, dem wird aus Angst vor einem Rückfall eher wieder schlecht. „Das ist ein unbewusstes Problem“, sagt Bickhardt. „Wir versuchen, diese Erfahrungen umzuschreiben.“

In den Monaten, die Bickhardt nun wieder in Hamburg lebt, habe er in seinen Trainingseinheiten für Segler zahlreichen Betroffenen in Sachen Seekrankheit helfen können. Manchmal auch mit Nachschulungen per Videocoaching. Denn einige Probleme, die Betroffene mit an Bord brächten, ließen sich nur im persönlichen Gespräch lösen. Insgesamt, so Bickhardt, liege die Erfolgsquote bei mehr als 80 Prozent.

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Auf jeden Fall, ist Bickhardt überzeugt, könne nur eine solche intensive Beschäftigung mit dem Thema die Seekrankheit wirklich heilen. Auch bei erfahrenen Seglern beliebte Tipps wie Ingwer oder Armbänder bekämpften die Übelkeit nur selten, und Medikamente seien oft mit Nebenwirkungen verbunden. „Und wer kann sich schon leisten, an Bord ständig müde zu sein?“, sagt Bickhardt, den es wenig überraschend häufig aufs Wasser zieht. Dann schippert er mit seinem Motorboot vor den Küsten seiner alten Heimat Norwegen, ganz ohne seekrank zu werden.