Hamburg. Michael T. war bei einer Mahnwache für Israel auf der Mönckebergstraße krankenhausreif geprügelt worden. Wird er das Geld jemals sehen?

Diese Attacke wird Michael T., damals 60 Jahre alt, sein Lebtag nicht vergessen. Nicht nur, weil sie den Mann psychisch fertig gemacht hat: Ohne Medikamente könne er nicht mehr durchschlafen, erzählte er dem Abendblatt, er leide unter Panikattacken. Ganz konkret hat der unvermittelte Faustschlag eines jungen, syrischstämmigen Mannes ihn vor zweieinhalb Jahren das Augenlicht gekostet: Er ist auf der rechten Seite beinahe blind.

Die unfassbare Tat, die ein bundesweites Echo gefunden hatte, ereignete sich am 18. September 2021 während der Mahnwache für Israel, die regelmäßig vor dem Saturn-Elektronikmarkt an der Mönckebergstraße stattfindet. Jetzt hat ihm eine Zivilkammer des Hamburger Landgerichts ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro zugesprochen – ein in dieser Höhe äußerst ungewöhnlicher Betrag.

Fast blind: Warum Aram A. 100.000 Euro Schmerzensgeld zahlen soll

„Mit dem Schmerzensgeld sollen insbesondere die immateriellen Schäden abgedeckt werden, die mit dem fast vollständigen Verlust der Sehfähigkeit des rechten Auges verbunden sind“, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen dem Abendblatt. Es diene aber auch der Genugtuung des Opfers. Das Urteil sei am 4. April verkündet worden und noch nicht rechtskräftig. Die „Mopo“ hatte zuerst über den Ausgang des Zivilprozesses berichtet.

Aktuell scheint der heute 19-Jährige nicht in der Lage zu sein, die Summe aufzutreiben. Der Titel allerdings bleibt bestehen, auch wenn der junge Berliner irgendwann Geld verdienen und liquide werden sollte. Dann könnte Michael T. auf sein Recht pochen – sofern das Urteil denn rechtskräftig wird.

Im Hellen nur mit Augenklappe: Das Opfer Michael T. vor dem Hamburger Strafjustizgebäude nach dem Prozessauftakt gegen den Schläger
Im Hellen nur mit Augenklappe: Das Opfer Michael T. vor dem Hamburger Strafjustizgebäude nach dem Prozessauftakt gegen den Schläger © Bettina Mittelacher (Frankenfeld) | Bettina Mittelacher

Die Attacke am 18. September 2021 sei der gewaltsame Höhepunkt einer Reihe von judenfeindlichen Angriffen auf die Mahnwache für Israel gewesen, sagte Organisator Andreas M. dem Abendblatt jetzt. „Das passiert weiterhin ständig, dass uns Menschen – meist sind es Muslime – beleidigen und bedrohen“, sagt er. „Es ist ein Skandal, dass unsere Mahnwache unter diesen Bedingungen von so wenigen Polizisten geschützt wird.“

Angriff auf Mahnwache: Opfer erleidet Augenhöhlen- und Jochbeinbruch

Damals hatte die Mahnwache das Pech, im Fokus einer Gruppe junger Männer zu stehen. Das Opfer Michael T. sagte dem Abendblatt, dass mehrere Männer Hetzparolen wie „Scheiß Israel“, „Scheiß-Juden“ und „Free Palästina“ schrien. Michael T.‘s Mutter ist Jüdin, sie stand damals neben ihm, während er die israelische Flagge schwenkte. Nach einer weiteren unflätigen Beleidigung schlug einer der Männer ihm mit der Faust ins Gesicht: Aram A., damals 16 Jahre alt.

Michael T. fiel zu Boden, erlitt einen Nasen-, Augenhöhlen- und Jochbeinbruch. Durch den Angriff war auch seine Brille zertrümmert worden, ein Splitter verursachte einen kapitalen Schaden an seinem rechten Auge. Die Sehfähigkeit auf der Seite sei seitdem erheblich eingeschränkt, er könne nur noch Hell und Dunkel erkennen, erzählte Michael T. dem Abendblatt beim Prozessauftakt gegen seinen Peiniger im Juni 2022. Bei hellem Sonnenlicht müsse er eine Augenklappe tragen, zum Schutz des Auges. Aram A. wurde im Mai 2023 – in der Berufung – vom Landgericht Hamburg wegen schwerer Körperverletzung und Beleidigung zu einer zweijährigen Jugendstrafe mit Vorbewährung verurteilt.

Jugendlicher Schläger spielte in Holocaust-Film mit

Ausgerechnet Schläger Aram A. spielte damals als Jungschauspieler laut „Bild“ im Film „Evolution“ mit, in dem es um eine Familie von Holocaust-Überlebenden geht. Er mimte darin „Ali“, der einem jüdischen Mitschüler das Leben zur Hölle macht und auch handgreiflich wird.

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Seine Agentur hat die Kooperation mit ihm längst beendet. Und: Kurz nach dem Urteil kam außerdem heraus, dass gegen ihn, während das Verfahren in Hamburg noch lief, in Berlin wegen Vergewaltigung ermittelt wurde.