Hamburg. Erst Hetzparolen, dann Faustschlag: Antisemiten überfallen friedliche Mahnwache an der Mönckebergstraße und flüchten mit E-Scootern.
Einmal im Monat, immer sonnabends, trifft sich die kleine Mahnwache für Israel gegen Antisemitismus vor dem Saturn-Markt an der Mönckebergstraße. Meist geht es da friedlich zu. Doch am vergangenen Sonnabend ist alles anders, als gegen 14 Uhr plötzlich eine Gruppe junger Männer auftaucht.
Erst skandieren sie antisemitische Hetzparolen, dann streckt einer der Männer einen Demonstranten mit einem Schlag ins Gesicht nieder. Das 60 Jahre alte Opfer der Attacke liegt noch immer schwer verletzt im Krankenhaus.
Judenfeindlicher Angriff: Männer schrien "Scheiß Juden"
Andreas M., Initiator der Mahnwache, hat den Vorfall aus nächster Nähe beobachtet. „Es waren etwa drei oder vier offenbar arabischstämmige junge Männer. Sie schrien ,Scheiß Israel’, ,Scheiß-Juden’ und ,Free Palästina’“.
An der Mahnwache nimmt auch Andreas R. teil, 60 Jahre alt, erst seit Kurzem Mitglied der Gruppe, seine Mutter ist Jüdin. Sie steht an diesem Sonnabend neben ihm, während er eine israelische Flagge schwenkt. „Einer der Männer sagte zu ihm: Ich f… deine Mutter“, erinnert sich Andreas M..
Der Angesprochene habe den Pöbler dann zur Rede stellen wollen. „Einer der Männer hat ihm sofort die Faust ins Gesicht geschlagen“, sagt Andreas M. „Ich habe es krachen gehört.“ Kurz darauf seien die jungen Männer auf E-Scootern vom Tatort geflüchtet.
Judenfeindlicher Angriff: Polizei sucht Täter
Eine Sofortfahndung der Polizei nach dem Schläger und seinen Begleitern bleibt am Sonnabend erfolglos. Bei dem Täter soll es sich, so die Polizei, um einen 18 bis 25 Jahre alten, etwa 1,75 Meter großen Mann von „südländischer Erscheinung“ handeln. Andreas M. und andere Zeugen haben die Männer fotografiert und Bilder der Polizei zur Verfügung gestellt.
Außerdem hätten die Beamten eine Reihe von Aussagen aufgenommen, sagt er. Stand Dienstag waren die Täter noch nicht gefasst. Die Ermittlungen des Staatsschutzes, sagt Polizeisprecherin Evi Theodoridou auf Abendblatt-Anfrage, „dauern diesbezüglich noch an“.
Der 60-Jährige hat einen Nasen- und Jochbeinbruch erlitten, gestern ist er operiert worden. „Wir stehen in Verbindung mit ihm. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, aber er braucht viel Ruhe, ist sehr geschwächt“, sagt Andreas M. Er hat die Mahnwache vor sechs Jahren ins Leben gerufen, um ein Zeichen dagegen zu setzen, dass noch immer Juden im Land der Täter zu Opfern werden.
Mahnwache bereits im Sommer 2020 unter Polizeischutz
Nach dem brutalen Angriff habe er einen langen Brief an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geschrieben und darin auch die Frage gestellt, wie die Stadt jüdische Mitbürger vor Attacken zu schützen gedenke. „Eine Antwort darauf habe ich bis heute noch nicht bekommen“, sagt er. Schon im Sommer 2020 sei nach heftigen verbalen Beleidigungen die Mahnwache für drei Monate unter Polizeischutz gestellt worden. Am kommenden Sonnabend sei vor dem Saturn eine große Demo geplant.
Nach dem Aufflammen des Nahost-Konflikts war die Zahl der registrierten judenfeindlichen Straftaten in Hamburg sprunghaft gestiegen – von durchschnittlich drei im Monat auf 17 zwischen dem 10. und 31. Mai. Am 28. Mai zogen dann bei einer pro-palästinensischen Demo rund 200 Menschen über den Steindamm.
"Politisch aufgehetzte Minderheit unter Muslimen"
Der Hamburger Verfassungsschutz schreibt diese Aktion der verbotenen islamistischen Gruppierung Hizb-ut-Tahrir zu. Die Teilnehmer, schwarz gekleidet, teilweise uniformiert und straff organisiert, skandierten unter anderem „Nieder mit den Besatzern“ und „Israel – Kindermörder“, während sie Särge über die Straße trugen. Zwei Tage zuvor hatte ein Autofahrer einem 20 Jahre alten Radler, der eine Kippa trug, auf der Ludwig-Erhard-Straße zugerufen: „Ihr Juden gehört alle vergast.“
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Zwar erhielten Hamburger jüdischen Glaubens auch viel Zuspruch aus muslimischen Gemeinden, sagt der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, dem Abendblatt.
Doch: „Es gibt eine politisch aufgehetzte, gewalttätige Minderheit unter den Muslimen, häufig junge Leute, die meinen, sie müssten Rache üben für vermeintliches Unrecht im Nahen Osten“, sagt Stricharz. „Natürlich gibt es auch die Gefahr von rechts, aber die größten Sorgen bereitet den Juden in Hamburg die Gefahr, die von dieser Gruppe ausgeht.“