Hamburg. Das Ehepaar Orth verlor bei der Ahrtal-Flut ihr Kind. Nun starten sie mit der Pâtisserie Johanna in der HafenCity einen Neuanfang.
Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 veränderte das Leben von Familie Orth. In dieser Nacht tobte die Flut wie ein Tsunami durch ihren Heimatort Bad Neuenahr-Ahrweiler im Rheinland und nahm Inka und Ralph Orth das Liebste: Ihre Tochter Johanna kam damals mit gerade einmal 22 Jahren ums Leben.
In der HafenCity in Hamburg beginnt für das Ehepaar nun ein neues Leben. Am Freitag (23. Februar) eröffnen sie die PâtisserieJohanna – in Gedenken an ihre Tochter.
HafenCity: In der neuen Pâtisserie dreht sich alles um Johanna
Johanna ist nicht mehr am Leben, aber sie lebt dennoch weiter. In der Pâtisserie Johanna (Am Sandtorkai 23) in einer früheren Markthalle dreht sich alles um edle Schokoladenspezialitäten, um Pralinés und Macarons – und eben auch um Johanna.
Die junge Frau mit den markanten braunen Augen ist auf einem großformatigen Schwarz-Weiß-Porträt zu sehen. Sie strahlt auf dem Foto, das eine Wand der Patisserie ziert. Ab Freitag können Gäste dort feines Gebäck genießen. In ihrer Konditorinnenkleidung erweckt Johanna den Eindruck, als sei sie hautnah dabei. Und genau darum geht es auch. „Die Fotos tun mir gut, sie ist immer dabei“, sagt Inka Orth.
Nach dem Tod der Tochter fängt Ehepaar in der HafenCity ein neues Leben an
Auch eine lebensgroße Bronzestatue ihrer verstorbenen Tochter – mit Blick auf die gläserne Manufaktur – gibt es in dem edel eingerichteten Laden. Johanna war zierlich, gerade einmal 1,58 Meter groß. Neben der Statue sitzt Kater Liam – ebenfalls aus Bronze, ebenfalls lebensgroß. Er kam mit Johanna bei der Flut im Ahrtal ums Leben.
Um diesen Verlust irgendwie zu verkraften und den immensen Schmerz ertragen zu können, geht das Ehepaar Orth einen ungewöhnlichen Weg: Es fängt in Hamburg – seit mehr als 30 Jahren ihre Lieblingsstadt – ein neues Leben an und führt den Traum seiner Tochter fort, machen diesen mit der Pâtisserie in der Speicherstadt zu seinem eigenen.
Johanna träumte von einer Pâtisserie – ihre Eltern leben nun diesen Traum
Denn es war auch Johannas Traum. Inspiriert von ihrer Oma Marlies, einer leidenschaftlichen Bäckerin, wurde die junge Frau Konditorin, machte ihren Meister und wollte später eine Pâtisserie eröffnen – ein eigenes Café, benannt nach ihrer Oma. „In diesem Café wollten wir als ganze Familie mithelfen“, sagt Inka Orth. Doch dann kam alles ganz anders.
Die verheerende Flut vernichtete diese Träume in einer Nacht. Johanna wurde in ihrer Erdgeschosswohnung – wie so viele Menschen im Ahrtal – von den Wassermassen im Schlaf überrascht. Kurz zuvor, um 1 Uhr in der Nacht, hatte sie noch mit ihren Eltern telefoniert. Aber dann brach das Gespräch ab.
Ahrtal-Flut: Johanna wurde zwei Tage später tot in der Tiefgarage gefunden
Ihre Eltern waren auf Mallorca. Was genau passiert ist, wissen sie nicht. Sie kamen gleich am nächsten Morgen mit dem ersten Flieger zurück, erreichten das Unglücksgebiet nur schwer. Johannas Leiche wurde zwei Tage später in der Tiefgarage ihres Wohnblocks gefunden. Johanna ist eines von 135 Flutopfern.
Zurück blieben Inka und Ralph Orth und Sohn Max, der heute 29 Jahre alt ist. Ihre Seniorenresidenz Villa Sibilla, die sie im Ahrtal leiten, wurde durch die Wassermassen zerstört.
Der Schmerz um Johannas Tod brachte Inka Orth körperlich an ihre Grenzen. „Ich konnte in den Tagen danach kaum gehen“, sagt die 59-Jährige. Alle Kraft war weg. „Ich musste etwas tun“, sagt sie. Handeln. Sie belegte als Quereinsteigerin Konditorkurse, holte sich mit Marcel Reinhardt aus Stuttgart als Betriebsleiter und Chef-Patissier einen der besten – alles für Johanna und für sich selbst. Es ist ihre Art der Heilung.
HafenCity: Hamburgs vielleicht edelste Patisserie eröffnet am Freitag
Auf 700 Quadratmetern ist am Sandtorkai etwas Einzigartiges entstanden. Nein, das ist keine normale Pâtisserie – es hat die Anmutung eines Sternerestaurants. Alles ist in Schwarz-Gold gehalten, sehr edel und doch sehr gemütlich. Von den Sanitäreinrichtungen bis zur großen Bar mit Kaffeespezialitäten, Wein und Champagner: Hier steckt Liebe zum Detail und viel Herzblut drin.
„Im Ahrtal hätten wir eine solche Patisserie mit so hochwertigen Produkten nicht eröffnen können“, sagt Inka Orth. „Das Ahrtal ist noch nicht so weit, dafür braucht es das Großstadtpublikum.“ Im Ahrtal, erzählt sie, gebe es noch immer keine Hotels, vieles liege noch brach, müsse aufgebaut werden.
HafenCity: Patisserie am Wasser – Angst vor Hochwasser hat das Paar nicht
Dass ihre Patisserie sehr nah am Wasser liegt, ist kein Problem für die Orths. Natürlich haben sie sich vorab über den Hochwasserschutz informiert. „Wir sind von den Vorkehrungen in Hamburg beeindruckt“, sagt Ralph Orth.
Es gab die vergangenen Jahre viele Baustellen in ihrem Leben, eine nach der anderen arbeiteten die beiden ab: Erst der Wiederaufbau ihrer Seniorenresidenz im Ahrtal, dann ihr Pâtisserie-Projekt in Hamburg – in den vergangenen vier Monaten entkernten sie die ehemalige Markthalle in der Speicherstadt, ließen sie völlig neu ausbauen. Es war eine Investition im siebenstelligen Bereich.
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Pâtisserie Johanna in der HafenCity ist wie eine Therapie für die Eltern
Im Logo der neuen Patisserie ist ein Schmetterling – auch dieser ist Johanna gewidmet. „Während der Trauerfeier hat sich ein Schmetterling in einen Blumenstrauß gesetzt. Und er ist nicht weggeflogen“, sagt Inka Orth. Es tröstet, das als Zeichen von Johanna zu sehen.
Und die Flut, die beschäftigt das Ehepaar weiterhin. Dass noch immer niemand für das Versagen der Behörden verantwortlich gemacht wird, macht die Familie wütend. „Diese Pâtisserie ist eine Therapie“, sagt Inka Orth. Eine Hilfe, um überhaupt weitermachen zu können. „Das alte Leben kriegt man nicht zurück.“