Hamburg. Tage nach dem Unglück in der HafenCity, bei dem ein Gerüst in Fahrstuhlschacht fiel, ist ein weiterer Arbeiter gestorben.
Nach dem Einsturz eines Gerüsts in der vergangenen Woche auf einer Großbaustelle in der HafenCity hat sich die Zahl der Getöteten nun auf fünf erhöht. Das bestätigte das Lagezentrum der Polizei in Hamburg am späten Donnerstagabend.
Der Mann war zunächst schwerstverletzt in ein Krankenhaus gekommen. Laut einem NDR-Bericht soll der Leichnam des Verstorbenen am Freitag in sein Heimatland Albanien überführt werden.
Unfall auf Baustelle: Zahl der Todesopfer steigt auf fünf
Nach dem schrecklichen Unglück hatte die Gewerkschaft IG BAU ein Spendenkonto für die Hinterbliebenen und Verletzten eingerichtet.
„Wir wollen ein Zeichen des Mitgefühls und der Unterstützung setzen“, sagte der Leiter der IG BAU Nord, André Grundmann am Donnerstag. Man werden jeden Cent, der auf das Spendenkonto eingehe, eins zu eins an die Hinterbliebenen zur Unterstützung weitergeben. „Jede noch so kleine Summe zählt.“
Fünf Tote auf Baustelle: Gewerkschaft startet Spendenaufruf
Wer helfen möchte, kann seine Spende auf das Konto der GFW der IG BAU, IBAN: DE49 5005 0000 0000 6719 09 bei der Helaba Frankfurt, BIC: HELADEFFXXX, überweisen. Das Spendenstichwort lautet: „Bauunglück Hamburg Hafencity“.
Das Baugerüst war am Montag in der vergangenen Woche um 9.09 Uhr im Überseequartier an der Chicagostraße aus noch ungeklärter Ursache aus dem achten Stock in die Tiefe gekracht. Mehrere Arbeiter wurden unter den eingestürzten Teilen begraben.
Gerüst stürzt in Fahrstuhlschacht – mehrere Tote
Am späten Montagnachmittag begannen Feuerwehrkräfte mit der Bergung einer vierten Leiche in der HafenCity. „Um 19.51 Uhr wurde die Bergung vorerst eingestellt“, so ein Sprecher des Feuerwehr-Lagedienstes am Abend. Doch am Dienstagmorgen gegen 8 Uhr wurde die Bergung des Leichnams fortgesetzt.
Dafür musste die Feuerwehr zunächst das genaue Vorgehen mit Industriekletterern sowie der Polizei absprechen. Denn es brauche umfassende Sicherungsmaßnahmen, um in den Fahrstuhlschacht hinunterzukommen, erklärte der Lagedienst auf Anfrage. „Sie arbeiten mithilfe einer speziellen Abseiltechnik und arbeiten sich Stück für Stück zu dem Leichnam vor“, so Feuerwehrsprecher Philipp Baumann. Mit der eigentlichen Bergung wurde daher erst am späten Nachmittag gerechnet. Gegen 16.30 Uhr dann ein Update: Die Bergungsarbeiten dauerten länger als geplant und sollten sich voraussichtlich bis zum Dienstagabend hinziehen.
Der schwierige und kräftezehrende Einsatz habe nach mehr als 35 Stunden beendet werden können, teilte die Feuerwehr am Dienstagabend mit. Die Spezialeinheit der Höhenrettung von der Feuer- und Rettungswache Barmbek konnte demnach in den Abendstunden Zugang zum verbliebenen letzten Arbeiter schaffen. Gegen 19.20 Uhr gab ein Sprecher der Feuerwehr Hamburg dann auf Anfrage bekannt, dass die bislang verschüttete Person geborgen und ins Gerichtsmedizinische Institut gebracht wurde. Zurzeit finden letzte Arbeiten des Rückbaus durch die Feuerwehr an der Einsatzstelle statt. Die Arbeiten sollen bis spätestens 21 Uhr abgeschlossen sein. Der Sprecher der Feuerwehr Hamburg ging nicht davon aus, dass noch eine weitere Person gefunden werden könnte.
Bei dem tragischen Arbeitsunfall kamen fünf Arbeiter ums Leben.
Zustand des verletzten Arbeiters „so weit stabil“
Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei drei der fünf Opfer um albanische Staatsbürger. Die beiden anderen Opfer konnten, so hieß es am Dienstagnachmittag, noch nicht eindeutig identifiziert werden. Damit widersprachen die Beamten der Stadtentwicklungsbehörde, die zunächst erklärt hatte, es handele sich um Menschen mit bulgarischer Staatsangehörigkeit. Am Nachmittag kamen Angehörige der Verstorbenen zur Unglücksstelle. Sie wurden vom Kriseninterventionsteam des Deutschen Roten Kreuz betreut.
Ein Mann war am Montagnachmittag laut Feuerwehr mit lebensbedrohlichen Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht worden. Dieser Mann starb laut NDR nun Tage später im Krankenhaus.
Am Montag war zunächst nicht klar, ob sich unter den großen Trümmermengen im Fahrstuhlschacht noch weitere Menschen befinden würden. „Wir haben zwar eine Liste der Mitarbeiter abgeglichen, aber ob diese Liste vollständig ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Daher können wir es nicht ausschließen, noch weitere Personen in dem Schacht zu finden“, sagte ein Lagedienst-Sprecher der Feuerwehr am frühen Abend.
Fünf Tote auf Baustelle in der HafenCity: 1300 bis 1500 Arbeiter im Gebäude
Die Feuerwehr war am Montagmorgen mit einem Großaufgebot angerückt. Die Baustelle wurde evakuiert. Zum Zeitpunkt des Unglücks sollen sich nach Angaben eines Bauleiters 1300 bis 1500 Arbeiter in dem Gebäude befunden haben. Auf der Straße standen mehrere Hundert Bauarbeiter. „Es hat einen Unfall gegeben“, sagte ein 40-jähriger Arbeiter aus Rumänien. „Wir sollen alle nach Hause gehen.“
Ein Großraumrettungswagen und Kriseninterventionsteam des DRK waren ebenfalls vor Ort, Notfallseelsorger kümmerten sich um Kollegen, Ersthelfer und weitere Augenzeugen.
HafenCity: Rettung unter „höchster Lebensgefahr“
Feuerwehrsprecher Philipp Baumann sprach an der Unglücksstelle von einer „schwierigen technischen Rettung“, die unter Hochdruck und „höchster Lebensgefahr“ stattfinde. „Es ist auch für die Einsatzkräfte eine sehr schwierige Situation, weil die in den Fahrstuhlschacht gestürzten Teile lose sind“, sagte Baumann über den gewaltigen Trümmerberg. Die Bergung werde sich vermutlich noch über mehrere Stunden ziehen.
„Wir haben hier drei Stockwerke, wo wir Trümmerteile zur Seite schieben müssen und sichern müssen“, sagte der Sprecher. Das sei ein Riesen-Mikado. Gerüststangen lägen kreuz und quer. Insgesamt seien rund 150 Feuerwehrleute im Einsatz. Gegen 15 Uhr wurden die Einsatzkräfte der Innenstadtwache von Kolleginnen und Kollegen aus Stellingen abgelöst.
Senator Grote kondoliert Angehörigen der Opfer
Hamburgs Innensenator Andy Grote kondolierte den Angehörigen der getöteten Bauarbeiter. „Mein Beileid und meine aufrichtige Anteilnahme gelten allen Angehörigen der Opfer“, erklärte der SPD-Politiker am frühen Nachmittag auf der Plattform X (vormals Twitter). Gleichzeitig dankte er den Einsatzkräften, „die seit Stunden alles tun, um die Verletzten des schrecklichen Arbeitsunfalls in der HafenCity schnell zu bergen“.
Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) machte sich am Nachmittag gemeinsam mit Theresa Twachtmann, Geschäftsführerin der HafenCity GmbH, und einem Vertreter des Bauherrn Unibail-Rodamco-Westfield persönlich ein Bild von der Lage am Unglücksort, der am Tor vor der Baustelle von Security bewacht wurde.
„Heute hat sich hier, auf der Baustelle des Überseequartiers, ein schrecklicher Unfall ereignet. Unser Mitgefühl gilt all den Opfern und ihren Angehörigen – auch den Angehörigen des Schwerverletzten“, sagte Pein, die den Einsatzkräften für deren Einsatz, der unter Gefahr für das eigene Leben stattfinde, dankte.
Laut Feuerwehrsprecher Baumann türmten sich die Trümmerteile der Arbeitsplattform, die zwischen dem achten und dem neunten Obergeschoss zusammengebrochen ist und ins Untergeschoss des Fahrstuhlschachts abstürzte, vier Stockwerke hoch. Auch Arbeitsmaterial befinde sich darunter. Die Schwierigkeit sei, dass für das schichtweise Abräumen der Trümmer viele Einsatzkräfte und Arbeitsgeräte in die verschiedenen Stockwerke gebracht werden müssten. „Das ist für uns ein sehr herausfordernder Einsatz.“
Ob eine Überlastung durch Arbeitsmaterial zum Zusammenbruch der Plattform geführt habe, könne man noch nicht sagen. „Da müssen wir die Ermittlungen der Polizei abwarten“, sagte Baumann. An diese werde die Unfallstelle nach den Aufräumarbeiten durch die Feuerwehr übergeben.
Das Amt für Arbeitsschutz sowie zwei Teams des für Brandermittlung und tödliche Arbeitsunfälle zuständigen Landelskriminalamtes 45 nahmen in dem Gebäude derweil bereits ihre Untersuchungen zu dem Unglück auf. Straßen wurden nicht gesperrt, die Einsatzkräfte positionierten sich an der gegenüberliegenden Kaimauer.
Tödlicher Unfall auf Europas größtem innerstädtischen Stadtentwicklungsvorhaben
Der tödliche Arbeitsunfall geschah im südlichen Baufeld des Westfield Überseequartiers. Dort entsteht derzeit eines der größten Einkaufszentren Hamburgs, das im Frühjahr 2024 eröffnen soll. „Das Team arbeitet mit den Einsatzkräften vor Ort zusammen und unterstützt sie“, teilte das zuständige Immobilienunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield in einer ersten Reaktion mit. Der Rettungsdienst stehe in engem Kontakt mit der Polizei.
Die HafenCity wurde Anfang der 1990er Jahre vom damaligen Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) angeschoben und umfasst nach Angaben der HafenCity Hamburg GmbH eine Fläche von rund 157 Hektar. Das Projekt gilt als Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsvorhaben.
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Auf dem 14 Hektar umfassenden Gelände des Überseequartiers entstehen Geschäfte, Gastronomie, Entertainment, Büros, ein Kreuzfahrtterminal, ein unterirdischer Busbahnhof, Hotels mit rund 1150 Zimmern sowie mehr als 1000 Wohnungen. Der nördliche Teil ist bereits seit 2019 fertig, im südlichen Teil laufen die Arbeiten. Das Immobilienunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield investiert dabei den Angaben zufolge mehr als eine Milliarde Euro in die insgesamt rund 260 000 Quadratmeter entstehende oberirdische Bruttogrundfläche.
Nicht das erste Unglück im Überseequartier in Hamburg
Es ist nicht das erste Unglück auf der Baustelle im Überseequartier Süd. Im Juni dieses Jahres brach an der Chicagostraße durch explodierte Gasflaschen ein gewaltiges Feuer in einem zehnstöckigen Rohbau aus. Das Landeskriminalamt nahm Ermittlungen auf.
Am 2. September waren vier Arbeiter bei einem ähnlichen Unfall an einer Baustelle an den Hamburger Elbbrücken – unweit der HafenCity – teils lebensbedrohlich verletzt worden.
Am 6. April 2020 waren zwei Bauarbeiter auf einer Baustelle an der Zweibrückenstraße in der HafenCity von herabfallenden Bauteilen schwer verletzt worden.