Hamburg. Betroffene müssen umfassend untersucht werden, sagen Experten. Was man über die Behandlung von Long Covid wissen muss.

Längeres Laufen geht kaum, das Treppensteigen wird zum Horror, die Müdigkeit drückt aufs Gemüt: So geht es häufig Menschen, die an Long Covid oder Post-Covid leiden. Für sie gibt es auch in Hamburg hervorragende Behandlungsmöglichkeiten – nur: zu wenige. Patientinnen und Patienten mit einem Verdacht auf anhaltende Symptome oder regelrechte Dauererschöpfungszustände nach einer Corona-Infektion laufen von Pontius bis Pilatus, ehe ihnen geholfen werden kann. Fallen sie im Job aus, dauert das Wochen.

Ein Hausarzt allein hat oft nicht die Möglichkeiten einer umfassenden Untersuchung. Termine bei allen Fachärzten, die mit ihren Disziplinen helfen könnten, sind eine Frage der Wartezeit. „Leider derzeit keine Behandlungskapazitäten frei“ heißt es bei der Long-Covid-Ambulanz der Asklepios Klinik Nord/Heidberg. Patienten- und Warteliste seien bis Ende September gefüllt. Das UKE hat eine ambulante Nachsorge nur für die, die hier wegen Corona im Uniklinikum lagen.

Long Covid in Hamburg: Privatpraxen bieten Behandlung

Privatpraxen wie das Medizinicum bieten eine spezialisierte Post-Covid-Untersuchung an. Herz- und Lungenspezialisten sind Teil dieses Checks, Augenexperten machen eine OCT-Angiografie, um die Durchblutung der Netzhaut zu messen. „Bei Bedarf“ stehen Neurologen und Psychiater zur Verfügung, heißt es auf der Homepage. Diese Befunderhebung muss privat bezahlt werden. Gesetzlich Versicherte können sie durch eine „Kostenerstattung“ von ihrer Kasse bezahlt be-kommen. Doch das ist nicht garantiert.

Überhaupt haben manche Betroffene Schwierigkeiten, ihre Malaise auf Corona zurückzuführen. Hatten sie beispielsweise schon vor einer Infektion depressive Phasen, einen Burn-out oder körperliche Schwächephasen? Da bleiben noch die Spezialsprechstunde und das Post-Covid-Programm des BG Klinikums. Der Haken: Hier werden nur Menschen behandelt, die sich nachweislich im beruflichen Zusammenhang mit Corona infiziert haben: vorwiegend Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte und Kita-Personal.

BG Klinikum behandelt Post-Covid-Fälle

Chefarzt Dr. Andreas S. Gonschorek leitet künftig das Neurozentrum am BG Klinikum Hamburg.
Chefarzt Dr. Andreas S. Gonschorek leitet künftig das Neurozentrum am BG Klinikum Hamburg. © BG Klinikum Hamburg

Es ist eine Crux mit diesem Long Covid oder Post-Covid, was zumeist gleichbedeutend gebraucht wird. Post-Covid bedeutet jedoch die Phase ab rund drei Monaten nach der Infektion. Hält hier eine Beeinträchtigung die Patienten vom Job in Krankenhaus oder Kita ab, können sie ein Fall werden für Dr. Andreas Gonschorek, Chefarzt im Neurozentrum im BG Klinikum Hamburg.

Er sagt, es gebe eine „Riesenanzahl“ an sogenannten Berufserkrankungsanträgen an die Berufsgenossenschaften nach Covid-19-Infektionen. Das zeige, wie gravierend das Problem, wie hoch die Nachfrage nach Behandlung sei. „Mit den vorhandenen Kapazitäten konnten wir den Bedarf an Behandlungsplätzen nicht decken. Zeitweise hatten wir 30 bis 50 Anfragen pro Woche.“

Techniker Krankenkasse: Betroffene fehlen 105 Tage im Job

Die Techniker Krankenkasse, die in Hamburg die meisten der gesetzlich Versicherten betreut, hat für das Jahr 2020 ermittelt: Von den Menschen im Job, die eine Corona-Infektion per PCR-Test nachgewiesen hatten, entwickelte zwar nur jeder Hundertste Long Covid. Doch diese Patienten waren im Mittel 105 Tage krankgeschrieben. Wer wegen Corona im Krankenhaus lag, fehlte noch länger. „Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer der Long-Covid-Betroffenheit aus, denn nicht jeder lässt sich wegen Müdigkeit krankschreiben“, sagte eine TK-Sprecherin dem Abendblatt. Es gibt zwar inzwischen einen Diagnose- und Abrechnungsschlüssel für Post-Covid. Doch ob Ärzte ihn bei Patienten immer anwenden, ist unklar. Da mittlerweile sogar die PCR-Pflicht für Infizierte gefallen ist, könnte sich das Dunkelfeld noch erheblich ausweiten.

Experte Gonschorek sagt: „Es ist dringend geboten, dass Betroffene ganzheitlich untersucht werden, internistisch (pulmologisch/kardiologisch), neuropsychologisch und psychiatrisch.“ Der Post-Covid-Check im BG Klinikum kann auch mal zehn Tage dauern. Man müsse bisweilen eine aufwendige Magnetresonanz­tomografie des Kopfes oder des Herzens machen. Nach den Ergebnissen der Untersuchungen richte sich die Behandlungsplanung. „Eine eingeschränkte Lungenfunktion oder das Herzrasen, von dem viele Patienten berichten, spielt im Langzeitverlauf meist eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen häufig Fatigue und der sogenannte brain fog.“

Rentenversicherung bietet Post-Covid-Reha

Das sind chronische Erschöpfung sowie Konzentrations- und Bewusstseinsstörungen, ein „Hirnnebel“. „Die Patienten kommen sehr, sehr verunsichert bei uns an. Wenn die Erkrankung schon Monate besteht, kann man das nicht in ein, zwei Arztgesprächen klären“, so Gonschorek.

Auch die Deutsche Rentenversicherung, die für die Rehabilitation von dauerkranken Berufstätigen zuständig ist, hat reagiert. Betroffene können mit dem ärztlichen Befund eine Post-Covid-Reha beantragen. Dauer: drei oder vier Wochen. Auch wenn es bereits eine medizinische Leitlinie gibt, wie man Post-Covid behandelt, stochern die Experten bei den Ursachen im Nebel. Nach Zahlen des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung litten 96 Prozent der Long-Covid-Patienten bereits vor ihrer Infektion an Atemwegserkrankungen, Übergewicht oder anderen Beeinträchtigungen, die eine Genesung erschweren. Der Leidensdruck hält lange an: Von 1200 Befragten sagten in einer Studie der Uniklinik Bonn 89 Prozent, sie benötigten eine weitere Behandlung. Nur 49 Prozent haben diese tatsächlich erhalten.

Der beste Schutz gegen Long Covid ist: keine Infektion. Das wird angesichts der Omikron-Wellen mit ihren Subtypen BA.4 und BA.5 immer schwieriger. Impfungen und Auffrischungen helfen, das Schreckgespenst im Zaum zu halten. Auch wenn viele Verunsicherte ihren Antikörper-Status bestimmen lassen wollen: Man kann dadurch nicht sicher sagen, ob und wie man zukünftig geschützt ist. Darauf macht Dr. Björn Parey aufmerksam, Vizevorsitzender des Hausärzteverbandes. Das Ergebnis zeigt auch nicht sicher, ob man eine (unbemerkte) Infektion hatte.

Trainierte Hunde können Long Covid erschnüffeln

Von der Universität Tel Aviv kommt eine Studie, nach der eine Hochdruck-Sauerstoff-Therapie (über eine Maske) bei Long Covid helfen kann. Die Beschwer-den der Betroffenen wurden gelindert, die vorher im Hirn sichtbaren Veränderun-gen entwickelten sich zurück.

Dass „Dauer-Corona“ ein tierisch ernstes Thema ist, haben Forscher der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover herausgefunden. Sie wiesen in einer Pilotstudie nach, dass trainierte Hunde Long Covid von akuten Infektionen und Gesunden unterscheiden können – durch Erschnüffeln. Die Ergebnisse, so die Studie, unterstütze die Annahme, dass flüchtige organische Verbindungen nach einer ersten Infektion „langfristig bei Post-Covid-19-Patienten vorhanden sind“.

Wenn das Verständnis für Long-Covid-Patienten steigt und vermehrt Therapien angeboten werden, ist wieder Raum für Optimismus. Experte Gonschorek sagt: „Nach der Behandlung gewinnen die meisten an Lebensqualität zurück und können schrittweise wieder in ihren Job.“